Interview mit Dr. Günther Deschner: Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte

Interview mit Dr. Günther Deschner: Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte

„Wir sind Deutsche! Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte“

Zeithistorische Betrachtungen zu deutsch-jüdischen Beziehungen bewegen sich seit Jahrzehnten im negativen Bereich, was auf Grund der jüngsten Geschichte bis zu einem gewissen Grad auch verständlich ist. Doch das ganze Bild ist eben nicht nur pechschwarz. Es gibt auch positive Ereignisse und Fakten, die jedoch von unseren Mainstream-Medien kaum aufgegriffen werden, z.B. „Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte“. Bernd Kallina sprach darüber mit Dr. Günther Deschner.


„Wir sind Deutsche! Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte“, so lautete das Vortragsthema von Dr. Gunter Deschner bei der Herbsttagung d er „Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt“ (ZFI) am 18./19. November 2016. Die ZFI wurde Anfang der 1980er Jahre von den – inzwischen verstorbenen – sudetendeutschen Historikern Professor Helmut Diwald und Dr. Alfred Schickel gegründet. Eine jüngere Nachwuchsgruppe um den im Juni neu gewählten 1. ZFI-Vorsitzenden Gernot Facius, früher stellevertretender Chefredakteur der Tageszeitung Die Welt, ist seit Anfang 2016 durch Weiterführung der Tagungsreihe und wissenschaftliche Forschungsarbeiten bestrebt, die Tradition einer, um Objektivität bemühten Geschichtsschreibung für Deutschland und Europa sicherzustellen. Dr. Deschner gab in Ingolstadt während der ZFI-Herbsttagung der Aula zu seinem Thema Uber „Jüdische Patrioten“ folgendes Interview:

Herr Dr. Deschner, Ihr Ingolstädter Vortragsthema entsprach auch einem Ihrer Filmprojekte der 1990er Jahre, kurz nach der friedlichen Revolution in Mitteldeutschland und in Osteuropa. Wie kam es zur Idee dieses Films, und was waren die maßgeblichen Gründe seiner Realisierung?

Daß es zunächst zu einem Dokumentarfilm mit dem Titel „Ich bin Deutscher! Jüdische Patrioten in Deutschlands Geschichte – Vergessen, verkannt, wiederentdeckt“ gekommen ist, hat eine Vorgeschichte, die bis in die Zeit der Wiedervereinigung der Jahre 1989/90 reicht. Denn als die Vereinigung von West- und Mitteldeutschland auf der Tagesordnung stand, hatten sich damalige jüdische Wortführer im In- und Ausland negativ zur deutschen Einheit geäußert, was bei Kanzler Helmut Kohl, der ja die Chance zur Wiedervereinigung aufgriff, starke Irritationen auslöste. Als ich Gelegenheit hatte, im Bundespresseamt die Unhaltbarkeit dieses Vorwurfes eines Teiles von jüdischen Vertretern darzulegen und als Reaktion die Produktion eines Informationsfilms über positive Aspekte deutsch-jüdischer Beziehungen vorschlug, griff das Amt den Gedanken auf, und mein Projekt konnte verwirklicht werden.

Welche Äußerungen jüdischer Repräsentanten führten denn zu den erwähnten starken Irritationen im Kanzleramt?

Zunächst gab es ja nicht nur jüdische Stellungnahmen, die das Eintreten für nationale Interessen – in diesem Fall für die Einheit im kleinsten Deutschland seit tausend Jahren – mit der Gefahr eines „neuen Auschwitz“ denunzierten. Ich denke dabei an den für bedeutend gehaltenen Rhetorikprofessor Walter Jens, der damals im Westdeutschen Rundfunk (WDR) über die „Preisgabe der DDR-Kultur“ jammerte. Die Wiedervereinigung sei für ihn „ein geschichtsferner Traum“, meinte er nach dem Mauerfall in Berlin und machte dann mit der Bemerkung, die deutsche Einheit sei, „da es Auschwitz gab, nicht denkbar“, Front gegen die unmittelbar bevorstehende Wiedervereinigung und damit auch gegen die Präambel des Grundgesetzes der alten Bundesrepublik Deutschland, in der nämlich als Verfassungsauftrag stand, „die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“.

Von Günter Grass waren zu Zeiten der friedlichen Revolution in der DDR ähnliche Töne zu hören, aber wie lauteten die Einwände von einflußreichen jüdischen Kreisen?

Ich nenne den Nobelpreisträger Elie Wiesel, der den einheitsorienterten Deutschen mitteilte, Zitat: „Wir Juden können die Vereinigung Deutschlands nicht in Betracht ziehen, ohne inneren Widerstand zu empfinden“. Und der israelische Politiker Jitzchak Schamir malte im US-Fernsehen den ewigen deutschen Teufel an die Wand. Sein Argument gegen die deutsche Einheit hies, Zitat: „Ein wiedervereinigtes Deutschland könnte versuchen, wieder Millionen Juden zu töten.“ Hinzu kamen noch eine Flut von Kommentaren einflußreicher jüdischer US-Journalisten wie William Safire und Jack Rosenthal, die – teilweise – noch abenteuerlicher waren, aber via New York Times und International Herald Tribune in der ganzen Welt verbreitet wurden. Das ein Gregor Gysi, damals Chef der in PDS umgetauften SED, gegen die deutsche Einheit war, überraschte niemanden. Selbst jüdischer Herkunft, appellierte er an die jüdische Welt, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu verhindern, indem er schrieb, Zitat: „Dies ist schlecht für die Welt, insbesondere aber für die Juden.“ Kurzum: Da hatte sich also in vielen Hirnen die Überzeugung festgesetzt, die deutsche Einheit, die Wiederherstellung eines gemeinsamen Nationalstaates der Deutschen, muß etwas mit Antisemitismus, mit Judenfeindschaft oder gar mit einem „neuen Auschwitz“ zu tun haben – ein im Grunde genommen absurdes Wahngebilde, wie es sich nur im Gedanken-Gefängnis einer antinationalen oder antideutschen Neurose halten konnte!

Nun überwog im rechten Milieu auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein Bild des jüdischen Intellektuellen, das man eher als von starker Affinität zu linken, linksliberalen, vor allem aber auch zu kommunistischen Ideologien geprägt verband. Daß es aber auch eine respektable deutschnationale Tradition im deutschen Judentum gab, war vielen im rechten Politsegment kaum bewußt, dem linken Bereich war dies eher peinlich. War es Ihre Intention, diese Wissenslücke zu schließen?

Genau darum ging es mir! Für jeden Historiker und Publizisten sollte Wahrheit eine Richtschnur seines Urteils sein. Zwar gibt es in der Geschichtsschreibung keine absolute Wahrheit, aber ein redliches Bemühen um eine Annäherung an sie durchaus. Für mich als konservativen bzw. rechten Historiker ist dieser Weg einer Annäherung an die Wahrheit unabdingbar. Und so finde ich es skandalös, wenn man die Geschichte von Deutschen und Juden immer nur aus der Perspektive der NS-Judenverfolgung betrachtet. Mit großer Freude registrierte ich unlängst den Essay von Filipp Piatov, einem Vertreter der jüngeren jüdischen Generation in Deutschland, der in der Tageszeitung Die Welt schrieb, daß „jüdische Jugendliche sich nicht mehr nur über den Holocaust definieren wollen“ – denn das sei ja „trostlos“. Dem kann ich nur beipflichten.

Sie wollen also das Positive der deutschjüdischen Beziehungen in Vergangenheit und Gegenwart stärker betonen, ohne die dunklen Kapitel der Judenverfolgung im Dritten Reich ganz außer acht zu lassen?

Ja! Die ausschließliche Holocaust-Fixierung, da kann ich nur nochmals die Meinung unseres jüdischen Landsmanns Piativ unterstreichen, ist „trostlos“. Es wird dabei nämlich völlig übersehen, daß viele Juden seit den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich für den deutschen Nationalstaat eine ausgesprochen positive Rolle spielten. Viele von ihnen waren „deutschnational“. Im heutigen „Kampf gegen Rechts“ würde sie auch ihr Judentum nicht mehr davor schützen, als „Nazis“ ausgegrenzt zu werden. Sich dieser jüdischen Deutschen zu erinnern, ist ein Gebot des Anstands und auch ein Faktor im Prozeß der Wiederaneignung unserer Nationalgeschichte.

In Ihrem Film spielte ebenso wie im Vortrag bei der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle (ZFI) der Name Michael Wolffsohn eine wichtige Rolle. Inwiefern?

Weil der in Israel als Kind deutsch-jüdischer Emigranten geborene Historiker Wolffsohn sich vehement für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzte. Er stellte auch die Teilungsgeschichte unseres Landes im Gefolge des Zweiten Weltkrieges auf den Boden der Tatsachen, indem er schrieb: „Für die lange Aufrechterhaltung der Teilung gab es ganz andere Ursachen“, so Wolffsohn zur antideutschen Stimmungsmache mit Auschwitz in der Wendezeit 1989/90. Die Angst vor Deutschland sei eines der Bindemittel der internationalen Staatenordnung nach 1945 gewesen. Nicht Moral, sondern machtpolitische Überlegungen im Kalten Krieg bzw. im Ost–West-Konflikt führten zur Teilung Deutschlands, stellte er klar, um dann hervorzuheben: „Wenn Deutschland nicht wegen Auschwitz geteilt wurde, dann kann die Vereinigung Deutschlands auch nicht wegen Auschwitz verhindert werden.“

Und wenn Sie in historischer Rückschau noch tiefere Blicke in die deutsche Geschichte werfen, welche deutschjüdischen Persönlichkeiten waren da besonders prägend im Sinne einer positiven Ergänzung?

Ich kann hier eine erfreuliche Vielfalt von Persönlichkeiten entdecken. Generell gilt sozusagen im Überblick: Bereits bei der Entwicklung eines deutschen Nationalbewußtseins zu Beginn des 19. Jahrhunderts, danach in den Befreiungskriegen gegen Napoleon, dann im Kampf für die Freiheit und Einheit in der Revolution von 1848, bei der Reichsgründung von 1871, im Ersten Weltkrieg, beim Aufbau der Weimarer Republik und selbst noch zum Wiederbeginn deutscher Staatlichkeit nach 1945 – stets waren Juden maßgeblich an der Gestaltung und Sicherung des deutschen Nationalstaates beteiligt. Weder von deutschen Antisemiten noch von Juden anderer Gesinnung ließen sich diese deutsch-jüdischen Patrioten beirren. Für sie galt das Bekenntnis des deutschen Juden Walter Rathenau: „Mein Volk ist das deutsche Volk, meine Heimat das deutsche Land!“ Diesem Vaterland blieben sie treu, manche bis zur Selbstverleugnung.

Ein in der Tat bemerkenswertes Bekenntnis zum Deutschtum von Walter Rathenau! Gibt es noch andere Beispiele dieser Art?

Mehr als genug! Ich denke da z. B. an den Historiker Ludo Moritz Hartmann, der im Jahre 1848 die Wahl der Farben Schwarz–Rot–Gold als Symbol der großdeutschen Einheit aller Deutschen durchsetzte, oder 100 Jahre später, der Historiker Hans-Joachim Schoeps, der sogar kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Studenten an der Universität in Erlangen Reichs-Gründungsfeiern abhielt, an denen ich als sein Schuler teilnahm. Unvergeßlich ist auch der führende Sozialdemokrat und Burschenschafter Ferdinand Lassalle, der sich einen starken Kaiser an der Spitze eines großen Reiches wünschte. Oder der kriegsfreiwillige Reichstagsabgeordnete, Ludwig Frank (SPD), der 1914 gleich zu Beginn des Ersten Weltkrieges in Frankreich fiel. Ob die Breslauerin Esther Manuel, die als „Schwarzer Jager Johanna“ bekannte Freiwillige der antinapoleonischen Befreiungskriege, oder Hugo Preus, der Jurist und Vater der Weimarer Verfassung, der aus Protest gegen den Versailler Vertrag und gegen das Anschlußverbot Osterreichs als Minister zurücktrat… Sie alle waren Protagonisten der deutschen Nationalgeschichte, viele waren „Große Deutsche“ und – sie waren Juden. Mein Plädoyer für eine umfassende Rückbesinnung deutsch-jüdischer Verhältnisse soll also heißen: Sich dieser Juden in ihrer Bedeutung für die Zeit von den Befreiungskriegen bis zu Deutschlands „zweiter Chance“, der Einheit vom Oktober 1990, zu erinnern, gehört zum Prozeß der Wiederaneignung dieser 200 Jahre deutscher Nationalgeschichte, zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Juden und zum entkrampften Umgang mit dieser Geschichte.

Nun gab es nicht nur die von Ihnen gerade hervorgehobenen Juden, die ein für viele überraschend positives Verhältnis zu Deutschland betonten, sondern auch andere, die damit weniger anfangen konnten, oder?

In der Tat repräsentierten die von mir hier beispielhaft erwähnten patriotischen, ja häufig deutschnationalen Juden nur eine, wenn auch eine beträchtliche Fraktion innerhalb der deutschen Judenheit. Es gab insgesamt drei Haupt-Strömungen: Die Zionisten, die Internationalisten und eben die deutschen Patrioten. Also drei jüdische Lager in Deutschland, die sich gegenseitig oft heftig befehdeten…

Inwiefern?

Der Literaturhistoriker und Rabbinersohn Ludwig Geiger schlug z. B. vor, den Zionisten in Deutschland die bürgerlichen Ehrenrechte abzuerkennen, andere Juden forderten sogar die Ausweisung dieser „wurzellosen Halbnaturen“. Oder, anderes Beispiel für die Konflikte der damaligen Zeit: Als der Zionisten-Führer Theodor Herzl 1897 zum 1. Zionistischen Weltkongreß nach München einlud, distanzierte sich der Deutsche Rabbinerverband von dem „landesverräterischen Unternehmen“ und setzte durch, daß der Kongreß ins Ausland, nach Basel, verlegt werden mußte. Und der „Zentralverein deutscher Staatsburger jüdischen Glaubens“, der zwei Drittel der deutschen Juden vertrat, erklärte in seinem Grundsatzprogramm, Zitat: „Wir deutschen Staatsburger jüdischen Glaubens stehen fest auf dem Boden der deutschen Nationalität. Unsere Gemeinschaft mit den Juden anderer Lander ist keine andere als die Gemeinschaft der Katholiken und Protestanten Deutschlands mit den Katholiken und Protestanten anderer Lander.“

Welche Rolle spielten Juden in der deutschen Armee, z. B. als Soldaten im Ersten Weltkrieg?

Eine kaum zu unterschätzende und heute weitgehend vergessene Rolle: Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges appellierte z. B. der „Centralverein der Juden Deutschlands“ mit aufrüttelnden Worten, Zitat: „Wir rufen Euch auf, über das Maß der Pflicht hinaus Eure Kräfte dem Vaterland zu widmen.“ Rund 100.000 Juden dienten in der feldgrauen Uniform oder in der Kaiserlichen Marine und der „Schutztruppe“. 80.000 deutsch-jüdische Soldaten waren an der Front, 12.000 von ihnen fielen für Deutschland. Wie sich jüdischer Geist in der Wehrfrage ausdruckte, zeigt ein Brief, den ein jüdischer Viehhandler aus Bamberg, Vater von sechs Kindern – er fiel 1916 –, aus dem Feld schrieb, Zitat: „Es haben sich bei uns (in Bamberg) auch 18 Juden freiwillig ins Heer einstellen lassen. Dabei will ich nicht zurückstehen und unsere jüdische Pflicht erfüllen. Verflucht sei, wer in dieser Zeit nicht den letzten Blutstropfen für das Vaterland hergibt!“ All das zeigt uns, das auch die bei Antisemiten so beliebte Klischeevorstellung, Juden seien schlechte Soldaten („Überall grinst ihr Gesicht, nur im Schutzengraben nicht!“) Unsinn war. Schon in den Befreiungskriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts war unter den preußischen Juden der Anteil an Freiwilligen in absoluten Zahlen natürlich weit geringer, relativ gesehen jedoch dreimal hoher als unter den Christen.

Herr Dr. Deschner, Sie erwähnten Ihren Hochschullehrer in Erlangen, Professor Dr. Hans-Joachim Schoeps, im Zusammenhang von Reichsgründungsfeiern nach 1945. Er war als deutscher Jude ein glühender Anhänger der preußischen Idee. Wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Als einen „unzeitgemäßen Preußen“ und den „letzten preußischen Juden“ hat man den deutschen Historiker, Theologen und Religionswissenschaftler Hans-Joachim Schoeps (1909– 1980) ihn genannt, kurz den „Preußen-Schoeps“. So habe auch ich ihn wahrgenommen. Er verkörperte etwas Erhabenes, ja etwas Aristokratisches. Schoeps hatte zwar strenge Ansichten, aber andererseits eine im Umgang verbindliche, fast liberale Art. Auch diese innere Spannung macht einen Teil seiner Faszination aus, die er auf die ausübte, die ihn erlebten. Und dann muß man bei einer Rückschau auf ihn sich vergegenwärtigen, daß er in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten zu den bekanntesten und mit seinen Preußen- Büchern auch meistgelesenen Historiker in der Bundesrepublik gehörte. Als deutscher Jude, der im Dritten Reich in die Emigration getrieben worden, dennoch bekennender Deutscher geblieben und bald nach dem Krieg wieder heimgekehrt war, vermochte er mit seinem Plädoyer für das von den Siegern und ihren deutschen Handlangern als „deutsche Ursünde“ verdammte Preußen einer verunsicherten Generation ein geistiges Geländer zu bieten, an dem sie neuen Halt finden konnte.

Wie erlebten Sie ihn auf dem Campus? Sie studierten bei ihm in Erlangen, er war auch Ihr Doktorvater!

In seinen engeren Schülerkreis konnte er – wie ein Magnet die Eisenfeilspane – brillante Köpfe und Querdenker anziehen. Normale „Brotstudenten“ wurden durch martialisch klingende Anforderungskataloge abgeschreckt. „Damit Geistesgeschichte“, so ließ er in der Seminarbibliothek anschlagen, „nicht mit gebildetem Geschwätz verwechselt wird, ordne ich an: Wer sich bei mir zu einem Seminar anmeldet, muß entweder ein abgeschlossenes Studium oder wenigstens den erfolgreichen Besuch von zwei Hauptseminaren in Fächern der philosophischen, theologischen, juristischen oder medizinischen Fakultät nachweisen sowie die passive Beherrschung von zwei toten und die aktive von zwei lebenden Sprachen.“ Dementsprechend waren Niveau und geistiges Klima seiner Seminare.

Man nannte Schoeps auch „den Doktorvater einer Neuen Rechten“. Zu seinen Schülern zählen neben Ihrer Person u. a. auch die Historiker Hellmut Diwald und Werner Maser sowie die Wissenschaftler und Publizisten Robert und Marcel Hepp, nicht zuletzt Hans- Dietrich Sander. Wie würden Sie die Wirkungsgeschichte dieser Schoeps- Schule beschreiben?

Viele seiner Schüler, vor allem Diwald, haben dazu beigetragen, daß die nachkriegsdeutsche Geschichtsschreibung nicht noch tiefer ins „Täter–Opfer-Schema“ abgerutscht ist. Andere haben – wie Marcel Hepp im Vorzimmer von Franz-Josef Straus und als langjähriger Chef des Bayernkurier – dazu beitragen können, daß in den „staatstragenden Parteien“ über lange Zeit Reste nationalkonservativen Denkens erhalten geblieben sind. Heute sind seine überlebenden Schuler eher Einzelgänger.

Wie reagierte unser jüdischer Landsmann Professor Hans-Joachim Schoeps auf die massiven Angriffe der 68er, die ihn ja übelst als „Nazi-Juden“ beschimpften und mit Fäkalien attackierten?

Es gab eine Fülle von Attacken auf ihn. Seine Vorlesungen wurden „kaputtbesetzt“, auf seinem Vortragspult wurde er regelmäßig mit einem Haufen Scheiße original progressiv-revolutionärer Herkunft begrüßt. Je weiter sich die Linkstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft der 1960er Jahre verstärkten, desto scharfer wurde auch Schoeps im Ton und desto weniger schützte in seine jüdische Herkunft. Die Angriffe kamen immer näher, vor allem von der APO, die den lästigen Professor, der schon verschiedentlich energische Maßnahmen gegen den neuen linken Extremismus verlangt hatte, jetzt als „Nazi-Juden“ oder gar „jüdischer Obersturmbannführer“ verunglimpfte. Ja, wie reagierte Schoeps darauf? Er war bis ins Mark getroffen. Gottseidank hat er den übelsten Hetzer auf diesem Gebiet, den inzwischen 80jahrigen Wolf Biermann, nicht mehr erleben müssen, der ihn vor wenigen Jahren sogar als einen „Heil-Hitler-Juden“ abkanzelte.

Herr Dr. Deschner, vielen Dank für dieses Gespräch!

 

Dieses Interview erschien zuerst in der Dezemberausgabe der des österreichischen Monatsmagazins DIE AULA 2016.


Vita von Dr. Günther Deschner

Jahrgang 1941, Schüler des nationalkonservativen deutschjüdischen Historikers Hans-Joachim Schoeps („Preußen-Schoeps“), ist Journalist, Buchautor (u. a. Die Kurden. Volk ohne Staat; Reinhard Heydrich. Biographie eines Reichsprotektors) und Dokumentarfilmer. Zehn Jahre bei der damals konservativen Tageszeitung Die Welt von Axel Springer, leitete er nacheinander die Ressorts „Kulturpolitik“, „Deutschlandpolitik“ und „Kultur“ und schrieb nebenher u. a. für Criticón. Anschließend Verlagsleiter und Geschäftsführer bei LÜBBE und STRAUBE, verlegte er u. a. die nationalkonservativen Star-Autoren Hellmut Diwald und Wolfgang Venohr. Als Produzent, Autor und Regisseur von Dokumentarfilmen zu politischen, historischen und Medienthemen erregte er vor allem mit seinen gegen den Strich gebürsteten ARD-Porträts über den Stern und den Spiegel Aufsehen. Andere erfolgreiche Produktionen folgten – so die Politiker-Porträts „Franz Josef Strauß – mit der Kraft eines Naturereignisses“ und „Helmut Kohl – Kanzler der deutschen Einheit“ (SAT 1).

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