„Die BRD als Demokratie-Sonderweg” Josef Schüßlburner zu den Verbotserwägungen gegen die AfD

Der bis 2018 im höheren Verwaltungsdienst des Bundes tätige Regierungsdirektor a.D. Josef Schüßlburner, der auch eine internationale Karriere beim Generalsekretariat der UNO in New York und bei der Brüsseler EU-Kommission durchlief, hat soeben eine Studie veröffentlicht: „Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative”. Zudem betreibt der Verfasser die Website links-enttarnt.de mit den Themenschwerpunkten Parteiverbot, Verbotsersatzsystem und Sozialismusbewältigung. Jüngst gegen die AfD gerichtete Verbotsforderungen aus den Reihen der Konkurrenzparteien sind Anlaß für eine Erörterung der vielfältigen Hintergründe zur Ausgrenzungsproblematik der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag.

Mit DEM EXPERTEN SPRACH IN MÜNCHEN BERND KALLINA

Im November 2020 hat vor allem der Vorsitzende der deutschen Innenministerkonferenz, Georg Maier (SPD), die Möglichkeit eines Verbotsverfahrens gegen die Alternative für Deutschland (AfD), aufgeworfen. Alexander Dobrindt, Chef der Landesgruppe der CSU im Bundestag, sieht die AfD „auf direktem Weg zur neuen NPD“ und deutet damit ebenfalls die Möglichkeit eines Verbotsverfahrens an. Droht tatsächlich ein Verbot der AfD?

Zu einem förmlichen Verbot wird es nicht kommen, weil dies dem Demokratieimage der BRD doch schaden würde. Schon deshalb hatte das für Parteiverbote zuständige Bundesverfassungsgericht Wege gefunden, die als „verfassungswidrig“ erkannte NPD trotzdem nicht zu verbieten, um eine dann zu erwartende internationale Beurteilung als „menschenrechtswidrig” zu vermeiden. Aber es wird mit solchen Verbotsüberlegungen fast schon amtlich angekündigt, daß das Ziel eines Parteiverbots, nämlich die Beseitigung einer Oppositionspartei, mit anderen Methoden erreicht werden soll, nämlich durch das, was ich als Parteiverbotsersatzregime bezeichne.

Worin besteht dieses Verbotsersatzregime?

Nun, der gesamten AfD steht die Einstufung als „Verdachtsfall” der Verfassungsfeindlichkeit und des (ideologischen) Rechtsextremismus durch die Innenministerkonferenz bevor. In der BRD gibt es die Kategorie der „vom Verfassungsschutz beobachteten Partei”, zu der eine Verbotsentscheidung noch nicht ergangen ist, wie dies einmal das Verfassungsgericht gekennzeichnet hat. Dabei wird eine Oppositionspartei (nie eine Regierungspartei) als „verfassungsfeindlich” bzw. „extremistisch” in sogenannten Verfassungsschutzberichten im Sinne des „Anzeichens eines Verdachts” wegen politischer oder ideologischer Aussagen wie etwa Kritik an der staatlichen Duldung massiver illegaler Einwanderung als „fremden-” oder „islamfeindlich“ oder hinsichtlich einer Kritik an der Vergangenheitsbewältigung als „revisionistisch” oder „relativierend” aufgeführt.

Damit verbunden ist der Einsatz der Inlandsgeheimdienste zur Parteiüberwachung mit Förderung von Spaltungstendenzen. Schließlich folgen massive Diskriminierungsmaßnahmen gegen Parteimitglieder, insbesondere gegen im öffentlichen Dienst beschäftigte, gegen die Disziplinarverfahren mit dem Ziel der beruflichen Existenzvernichtung wegen ideologischer Verfassungsuntreue durchgeführt werden.

Und dies, obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof dieses System im Falle einer kommunistischen Lehrerin – Vogt-Entscheidung von 1995 – als menschenrechtswidrig erkannt hat! Wobei AfD-Beamte sicherlich nicht so weit rechts stehen, wie die DKP-Lehrerin links stand! Damit verliert die Partei qualifizierte Mitglieder, die sie dem Wahlvolk als Parlamentskandidaten anbieten könnte. Es wird auch die Freiheit der Parlamentswahl tangiert!

„Liberale Demokratien des Westens kennen keine Parteiverbote wie die BRD“

Bereits in Ihrem 2004 erschienenen Werk „Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik“ kamen Sie zu dem für viele verblüffenden Ergebnis, daß es sich bei der BRD nicht um eine „liberale Demokratie des Westens“ handele. Aus Ihrer Sicht spielt dabei vor allem die staatliche Oppositionsbekämpfung eine zentrale Rolle.

Diese Erkenntnis kommt schon in einer Aussage im KPD-Verbotsurteil des Verfassungsgerichts von 1956 zum Ausdruck, wonach „die liberalen Demokratien des Westens“ ein derartiges Parteiverbot, wie dies im Grundgesetz (GG) geregelt sein soll – und dann auch Grundlage des Verbotsersatzregimes darstellt -, nicht kennen und es auch der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 fremd war. Zur Bewertung eine Kommentierung eines Parteiverbots in Südkorea in der etablierten „Zeitschrift für Parlamentsfragen” von 2016: „Im internationalen Vergleich steht Korea mit seinem historischen Parteiverbot in der Reihe nur weniger anderer Staaten wie Deutschland, Spanien, Thailand und der Türkei.” Anders als in normalen Demokratien wird bei einem BRD-Parteiverbot wie in Südkorea nicht (nur) auf objektive Kriterien wie Illegalität der politischen Betätigung abgestellt, sondern es geht um „Werte“, was ziemlich schnell und methodisch unvermeidbar auf eine staatsideologische Abgrenzung hinausläuft.

Was meinen Sie mit einer „staatsideologischen Abgrenzung”?

Nun, es werden Meinungsäußerungen, etwa Kritik am Islam, als Beleg für „Verfassungsfeindlichkeit” benutzt, weil man mit einer derartigen – durchaus legalen! – Meinungsäußerung „Lebensentwürfe von Menschen“ beeinträchtigen und damit die Menschenwürdegarantie des GG als Fundamentalnorm nicht beachten würde. Mit derartiger Staatsabstrusität wird weit über das Ende der Besatzungszeit hinausgehend das präventive alliierte Lizenzierungssystem als nachträgliches Parteiverbot oder Verbotsersatzregime ideologisch fortgeschrieben, bei dem die damals nationalliberale FDP die größten Schwierigkeiten hatte, Demokratiekonformität bescheinigt zu bekommen. Konservative Parteien wurden – zur Wahrung der alliierten Teilungsoption Deutschlands – allenfalls als Regionalparteien lizenziert, wie etwa die Bayernpartei erst nach Bruch des Verhältnisses USA / UdSSR oder die Niedersächsische Landespartei, die sich schließlich als Deutsche Partei (DP) konstituieren konnte.

Massive Behinderungen der größten deutschen Oppositionspartei, der AfD, hingen dabei wesentlich mit der speziellen Verfassungsform des 1949 gegründeten deutschen Nachkriegsstaates „West“ zusammen, dem vielgelobten GG. Allerdings in einer – wie Sie zugestehen – nicht leicht durchschaubaren Weise. Entwirren Sie doch den komplexen Problemknäuel für interessierte Laien.

Das Problem stellt nicht unbedingt der GG-Text selbst dar, auch wenn zentrale Vorschriften nicht besonders gelungen formuliert sind, sondern dies ergibt sich aus der Frage, weshalb man eigentlich ein derartiges GG „für die Bundesrepublik“, wie es bezeichnenderweise heißt, benötigt.

Welche Alternative hätte es gegeben?

Man hätte so wie in Österreich vorgehen können, indem man einfach die unstreitig freie und demokratische Verfassung von 1919 wieder in Kraft setzt. Diese WRV, die juristisch besser formuliert ist als das GG und auch der politischen Freiheit mit Volksbegehren, Volksabstimmung und Volkswahl des Staatsoberhauptes, aber auch dem Staatsschutz (befristete Diktaturgewalt des Präsidenten) besser Rechnung trägt als das GG, hätte man natürlich ändern können (etwa durch Etablieren der Verfassungsgerichtsbarkeit, die in Österreich schon bestanden hatte). Aber dies bei Beachtung der Vorschriften über Verfassungsänderung und ohne alliierte Verfassungsintervention! Dies hätte aber bei freien Verhältnissen nicht zu einer „wehrhaften Demokratie” mit der zentralen, eigentlich grotesken Bedeutung von Parteiverbot und Inlandsgeheimdienst geführt. Daß keine freien Verhältnisse vorlagen, ergibt sich aus dem Schlußartikel 146 GG, der eine freie Verfassung als Ablösung des GG ermöglicht.

Das aus Ihrer Sicht Problematische am GG ist eine quasi im Hintergrund wirkende „alliierte Überverfassung“, die sich im etablierten Parteiensystem der BRD dahingehend ausgewirkt habe, daß sie den Interessen der Siegerkoalition von 1945 entspreche. Aber hat sich das heute – nach Jahrzehnten – nicht weitgehend verflüchtigt?

Das GG konnte aufgrund des einschneidenden Besatzungsregimes, das in Teilaspekten bis 1990 gegolten hat, nur eine Art internationaler Gemeindeordnung sein — so Prof. Jahrreiß. Damit hat die alliierte Interessenlage das GG überlagert und sich auf dessen Verständnis und Anwendung ausgewirkt: Aus einem Asylrecht für Deutsche (Auslieferungsverbot an die SBZ) – so hätte man den ursprünglichen GG-Text verstehen können – ist dabei ein Ausländerrecht zur Masseneinwanderung geworden, und unter Berufung auf die Atlantikcharta von 1941 hat zuletzt das Verfassungsgericht einen an sich als verfassungswidrig erkannten Absatz von § 130 StGB (Volksverhetzung) doch für verfassungsgemäß erklärt. Der alliierte Geheimdienst- und Überwachungsvorbehalt wird als NATO-Recht in der BRD in einer Weise fortgeführt, wie dies kein anderes NATO-Mitglied zu machen hat. Der Kalte Krieg hat eine gewisse Emanzipation ermöglicht, indem aus dem besatzungsrechtlichen „Antifaschismus” ein auch gegen links gerichteter Antitotalitarismus gemacht wurde, der in der BRD das KPD-Verbot ermöglicht hat, was vergleichbar in Österreich undenkbar war. Nachdem aber die USA am Antitotalitarismus kein Interesse mehr haben, kann es wieder nur den Antifaschismus geben, d.h. die BRD von 2020 steht ideologisch der Situation von 1946 näher, als dies 1960 oder auch 1980 der Fall gewesen ist. Daß die CDU-Kanzlerin in Thüringen einem Kommunisten wieder ins Amt des Ministerpräsidenten verholfen hat, der einen von der AfD mitgewählten Liberalen ersetzt, sollte deshalb nicht verwundern.

Die von Ihnen geschilderten verfassungspolitischen Zusammenhänge sind seitens maßgeblicher Führungskader der AfD offenbar noch nicht im notwendigen Ausmaß erkannt worden. Wie erklären Sie sich dieses Wahrnehmungsdefizit der doch sicherlich um die Stärkung ihrer Partei bemühten AfD-Politiker?

Maßgebliche AfD-Politiker kommen aus der „Mitte“ und sind sozialisiert, die BRD als den freiheitlichsten Staat zu verstehen, wobei dem GG vor allem der erreichte Wohlstand als Freiheit zugeschrieben wird, den es aber wie in Österreich auch mit einer fortgesetzten freien Vorkriegsverfassung gegeben hätte. Da sie als CDU-Mitglieder die BRD als eine normale Demokratie erfahren konnten, können sie sich einfach nicht vorstellen, daß – was aber in GG-Kommentaren nachzulesen ist – die BRD einen Demokratie-Sonderweg darstellt, und halten die Vorwürfe gegen Teile der Partei spontan für berechtigt, was sie zu Abgrenzungen als Befreiungsschlag greifen läßt, dabei aber die staatlich gewollte Parteispaltung fördert. Zur BRD-Sozialisierung gehört auch eine fromme Einstellung zum GG, die auf die religiöse Selbstermächtigung des Amerikanismus zurückführt, der sich – in einer zur Reeducation der Deutschen sich auf den Sinai beziehend – für die weltgeschichtliche Verwirklichung von Freiheit zuständig sieht, in Deutschland dazu aber ein Besatzungsregime errichtet hat. Diese Haltung läßt die AfD auf die Gerichtsbarkeit hoffen, die jedoch das Verbotsersatzregime grundsätzlich abgesegnet hat, ohne es als solches anerkennen zu wollen. Die Erfolgsaussichten des Rechtswegs sind wegen der Irrationalität des BRD-Verfassungsschutzes kaum kalkulierbar. Ein effektives Überleben der Partei würde nur eine politische Gegenstrategie bewirken, die man unter dem Schlagwort „Verwirklichung der liberalen Demokratie des Westens in der BRD“ propagieren müßte. Eine negative Gerichtsentscheidung etwa wegen geheimdienstlicher Überwachung könnte man dann als Beleg für die grundlegende Änderungsbedürftigkeit des Demokratie-Sonderwegs BRD entsprechend der Empfehlung des Europarates von 1999 zu Parteiverboten und analogen Maßnahmen darstellen. Diese wirkliche Alternative setzt jedoch die Erkenntnis der BRD als Demokratie-Sonderweg voraus.

„Rechtswidriges Verhalten kann man der AfD nicht vorwerfen …”

Sie haben das von den Geheimdienstorganen der BRD gegen die AfD gesammelte „Belastungsmaterial” einer Prüfung unterzogen. Wie ist es zu bewerten, und würde das in anderen „westlichen Demokratien“ wirklich zu so weitgehenden Einstufungen wie bei der AfD reichen als – vorläufig – in Teilen „extremistische“ Partei, die deswegen mit Verbotsmaßnahmen rechnen müsse?

Man kann nur linksliberale Autoren zustimmend zitieren: „In Demokratien ist es nicht üblich, Bürgerinnen und Bürger auf eine gesinnungsbezogene Verfassungstreue zu verpflichten und Parteien – obgleich diese sich an die Spielregeln des friedlichen Meinungskampfes halten – als ‚extremistisch” abzustempeln und von einem Geheimdienst kontrollieren zu lassen“ (Leggewie/Meier, Nach dem Verfassungsschutz, Berlin 2012). Rechtswidriges Verhalten oder auch nur die Absicht hierzu kann man der AfD nicht vorwerfen; dies wird zwar versucht, nimmt sich aber ziemlich albern aus, wenn etwa problematisches Bedrängen eines CDU-Abgeordneten mit Fragen durch nicht hinreichend kontrollierte Bundestagsbesucher der AfD-Fraktion als gewollte Einschüchterung des Bundestages vorgeworfen wird — was die jüngsten Verbotsdrohungen ausgelöst hat! Oder aber es wird wirklich monströs, wenn ein SPD-Staatsminister die AfD zum parlamentarischen Arm des Terrorismus erklärt. Es fehlen dabei sämtliche rechtsstaatlichen Zurechnungskriterien, sondern es gibt nur an den Haaren herbeigezogene ideologische Zurechnungen.

Dem AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland wird der „Vogelschiß“-Vergleich bei der Einordnung der NS-Ära in die deutsche Geschichte vorgehalten, da durch seine Kritik einer Minimierung der mehr als tausendjährigen deutschen Geschichte auf die überdimensional aufgeblasenen zwölf Jahre der Zivilisationsbruch des Dritten Reiches verfassungsfeindlich relativiert werde. Stellen derartige Aussagen juristisch zu ahndende Angriffe auf die Verfassung dar

Selbstredend nicht. Das ist ideologiepolitische Spinnerei, die aber in der BRD ernsthaft als „Verfassungsschutz” läuft! In der staatlichen Ideologiepolitik, die einem Rechtsstaat fremd sein müßte, erkennt man auch die Fortsetzung der alliierten Politikanliegen, mit denen sich die etablierten Parteien zwischenzeitlich in einer Weise identifizieren, als seien sie Mit-Kriegssieger. Dies erleichtert den Einsatz des Inlandsgeheimdienstes gegen politische Opposition, was ja weniger eine auf gesetzliche Tatbestände ausgerichtete Polizeimaßnahme darstellt, sondern eher militärwissenschaftlich auf Bekämpfung mit dem Ziel der Eliminierung ausgerichtet ist.

Auch sei es verfassungsfeindlicher Extremismus, wenn sich Parteien und Gruppierungen, z.B. die AfD oder die „Identitären“, programmatisch und gewaltfrei gegen illegale Masseneinwanderung nach Deutschland positionieren, weil dadurch angeblich „Ausländerfeindlichkeit” geschürt werde. Wie überzeugend wirkt das auf Sie?

Die AfD hat bei den letzten Bundestagswahlen sehr von der Akzeptanz der Masseneinwanderung durch etablierte Kräfte profitiert, die der Ex- Verfassungsrichter Papier als eindeutigen „Verfassungsbruch” durch die Kanzlerin bezeichnete. Der AfD muß es daher aus Sicht der über das Instrument „Verfassungsschutz” konkurrierenden Kräfte verwehrt werden, weiterhin von diesem Thema zu profitieren. Deshalb soll in der Wahrnehmung des Wahlvolkes das Problem der illegalen Einwanderung durch das Problem des Extremismus der Opposition ersetzt werden: Masseneinwanderung ist dann kein Wahlkampfthema mehr, sondern die „Verfassungsfeindlichkeit” der Opposition.

Teile der AfD-Parteiführung glauben nun, sich durch Abgrenzungs- und Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber Personen und Gruppierungen den umfassenden Bekämpfungsoperationen des Verfassungsschutzes entziehen zu können. So wurde z.B. der angeblich „rechtsextreme Flügel” innerhalb der AfD vorbeugend aufgelöst. Was heißt eigentlich „rechtsextrem“ in rechtlicher Hinsicht?

„Extremismus“ ist kein Rechtsbegriff, sondern ein Bekämpfungsbegriff. Er findet sich in der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des „Verfassungsschutzes“ nicht; das Verfassungsgericht hat in einem Beschluß von 2010 die rechtliche Untauglichkeit des Begriffs erkannt: „Ob eine Position als rechtsextremistisch möglicherweise in Abgrenzung zu „rechtsradikal“ oder „rechtsreaktionär“ einzustufen ist, ist eine Frage des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung“. Damit wird deutlich, daß es beim Parteiverbotsersatzregime um Politik geht und nicht um Rechtsfragen.

Bringen diese Abgrenzungs- und Unvereinbarkeitsbeschlüsse der AfD Entlastung?

Sofern die Unvereinbarkeitsbeschlüsse auf die Vergangenheit ausgerichtet sind, bringt sich die Partei um wichtige Mitglieder. Ein Willy Brandt hätte, wie zahlreiche andere, wegen extremistischer Vergangenheit nicht SPD-Mitglied werden können, wenn die SPD auf die Vergangenheit bezogene Unvereinbarkeitslisten aufgestellt hätte. Würde der „Verfassungsschutz”, auf dessen Erkenntnisse diese AfD-Abgrenzungen zurückgehen, nicht vor allem ideologisch, sondern auf rechtliche Tatbestände ausgerichtet operieren, könnte man diesen Listen etwas abgewinnen. So aber bringt sich die Partei um wichtiges Rekrutierungspotential, wenn sie etwa die Erklärung der Verfassungsfeindlichkeit bezüglich der „Identitären Bewegung“ gehorsam nachvollzieht und dabei nicht erkennt, daß das Vorgehen gegen diese die Probe für das Vorgehen gegen die AfD selbst war.

Aus dem bisher Gesagten ergibt sich jedenfalls, daß in der BRD eine Mitte-rechts-Koalition, bestehend etwa aus Union und FDP mit der AfD, momentan und auf absehbare Zukunft ein Ding der Unmöglichkeit darstellt. Anders in Österreich, wo die programmatisch mit der AfD vergleichbare FPÖ in den vergangenen Jahrzehnten sowohl mit der SPÖ als auch mit der ÖVP Koalitionen eingegangen ist. Was unterscheidet diese beiden deutschen Staaten in dieser Frage?

Nach Zurückdrängen des Antifaschismus wegen des Kalten Krieges hat es auch in der BRD diese Koalition aus Adenauer-CDU mit CSU, nationalliberaler FDP und rechtskonservativer DP gegeben, wobei letztere „weiter rechts“ stand als die später vom „Verfassungsschutz” zur politischen Unwirksamkeit gebrachten „Republikaner“, funktionale Vorgänger der AfD. Daß eine derartige politische Erfolgskoalition der Regierung Adenauer, die die wesentliche Weichenstellung für den bundesdeutschen Wohlstand vorgenommen hat, nunmehr in einer ähnlichen Weise nicht mehr möglich erscheint, kann nur auf die gegenüber Österreich stärkere internationale Einbindung der BRD zurückgeführt werden. So erlaubt die NATO-Mitgliedschaft die Umformulierung von Besatzungsrecht zu Abreden der Truppenstationierung. Alliierte Interessen haben zwar auch in Österreich das Verfassungsrecht, etwa durch das Verbotsgesetz und im Staatsvertrag, überlagert, aber diese sind nicht in der Weise direkt in das Verfassungsrecht eingegangen, wie dies durch die Funktionalisierung des GG in der BRD geschehen ist. Was seinerzeit bei der ersten ÖVP/FPÖ-Koalition als „Österreichsanktionen” offen durchexerziert wurde, das geschieht im Falle der BRD kontinuierlich. Gewissermaßen vorzeitige amtliche Veröffentlichungen zum Prozeß der Wiedervereinigung belegen die Telefonate ausländischer Regierungschefs mit dem deutschen Kanzler, die zum Vorgehen gegen die „Republikaner“ drängten. Auch bei den „Österreichsanktionen“ war eigentlicher Adressat die BRD, wie aus Stellungnahmen der damaligen Zeit nachgewiesen werden kann. So hat die „FAZ” am 12. Februar 2000 die Frage gestellt: „Wird Österreich geprügelt, um den Deutschen die Rute ans Fenster zu stellen?“, und ein Berater des französischen Präsidenten, Emmanuel Todd, durfte in der „FAZ“ vom 26. Februar 2000 „die deutsche Frage” wegen Haider als „wieder offen” bezeichnen und hat dabei deutschen Nationen — anders als Italienern oder Franzosen — das Recht abgesprochen, „rechtsextreme Regierungen zu bilden“. Es ist eben doch ein Unterschied, ob der „Faschismus“ nur in Österreich ausbricht oder ganz Deutschland erfaßt, wobei „Faschismus“ bei „deutschen Nationen” — kongenial mit der BRD-Verfassungsschutzideologie – schon den Nationalliberalismus meint, den Todd der FPÖ zum Vorwurf machte!

„30 % Wählerpotential für eine Rechtspartei“

 Sie haben hierbei auch die WRV ins Spiel gebracht, die mit der österreichischen Verfassung korrespondiert, und die Schweizer Verfassung als Orientierungspunkt für eine Verfassungsalternative der deutschen Rechten genannt, nach der Beobachtung: Je normaler eine Demokratie, desto eher ist der Erfolg der politischen Rechten gewährleistet. Wie das?

Nun, die politische Wirklichkeit neigt nach rechts. Wenn man den Leuten die Freiheit läßt, die durch Demokratie zum Ausdruck kommt, dann setzt sich im Normalfall bei einigermaßen vernünftigem Verhalten (das bei einem Herrn Strache leider nicht zu erkennen war) eine rechte Mehrheit durch. Von den deutschsprachigen Staaten ist die Schweiz das freieste Land, Österreich wegen der Besatzungsherrschaft und damit verbundenen Hinterlassenschaften schon weniger, und die BRD ist aus den dargestellten Gründen am wenigsten frei. Das Ergebnis dieser unterschiedlichen Freiheitsgrade wird durch die Stärke der maßgeblichen Rechtspartei gespiegelt. Das Potential von bis zu 30 % für eine Rechtspartei ist aber auch in der BRD anerkannt. Die mit „Verfassungsschutz” zum Ausdruck kommende Hysterie der Konkurrenzparteien zeigt an, daß ihnen diese Situation bewußt ist — wohl viel deutlicher als dem maßgeblichen AfD-Personal. In politologischen Studien ist häufig zu lesen, daß bis zu einem Drittel der Bevölkerung ein „geschlossenes rechtes Weltbild” hätte, aber es wird dann nicht gefragt, wie es um eine Demokratie bestellt ist, wenn diese Situation nicht annähernd im Parlament gespiegelt wird – und dies trotz Verhältniswahlrechts!

Was wären denn die wichtigsten Grundvoraussetzungen für den langfristigen Erfolg der AfD, die ja aus dem erwähnten Wählerreservoir von bis zu 30 % schöpfen könnte?

Wesentlich ist eine klare Ausrichtung auf das Konzept einer „liberalen Demokratie des Westens”, was vor allem eine grundlegende Reform des Staatsschutzrechts beinhaltet, die im legitimen Eigeninteresse nachhaltig propagiert werden muß. Dabei gilt es, Abschied zu nehmen von der quasireligiösen Aufwertung des GG. Auch wenn dieses GG als geltende Verfassung zu akzeptieren ist, konzeptionell ist eher die Haltung der maßgeblichen Richtung der japanischen Regierungspartei zur unter US-Besatzung erlassenen „MacArthur-Verfassung“ einzunehmen: Zum Zwecke der Demokratie hätte es des GG nicht bedurft, wie nicht zuletzt Österreich belegt. Es ist zumindest eine nach Artikel 146 GG vorgesehene Volksabstimmung über das Grundgesetz zu fordern, damit durch das Prinzip der Volkssouveränität die ideologischen Überlagerungen abgetragen werden. Außen- und militärpolitisch ist die Neutralität zumindest nach dem Beispiel Österreichs, wenn nicht der Schweiz anzustreben, weil nur dadurch ein wirklicher und auch notwendiger Bruch mit der Besatzungsgeschichte möglich erscheint und zur Verwirklichung einer normalen Demokratie in der BRD notwendig ist.

 

Dieses Interview erschien zuerst in der Ausgabe IV-2020 der quartalsweise in Graz erscheinen Zeitschrift ABENDLAND.

 

Anmerkung:

Die Schweriner Erklärung der AfD zum Verfassungsschutz „Wir verurteilen den Mißbrauch des ‚Verfassungsschutzes’ zu parteipolitischen Zwecken. Die Erfahrungen, die wir im Umgang mit den Landesämtern und dem Bundesamt dieser Behörde gemacht haben, lassen keinen anderen Schluß zu: Der ‚Verfassungsschutz’ ist heutzutage ein Machtinstrument, welches gegen parteipolitische Konkurrenten eingesetzt wird und insbesondere dem Regierungsschutz dient.” Das sind die ersten Sätze der „Schweriner Erklärung“, die von fünf Ostverbünden der AfD anläßlich der „Schloßgespräche“ in Schwerin am 16. Oktober 2020 zum Thema „Demokratie und Verfassungsschutz“ veröffentlich wurden. Eingeladen dazu hatte die AfD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern. An einer Diskussionsrunde zur Thematik nahmen teil RD a.D. Josef Schüßlburner und die Vertreter aus AfD-Landtagsfraktionen der ehemaligen DDR: Nikolaus Kramer, Björn Höcke, Dennis Hohloch und Oliver Kirchner.

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