Der 18. Januar 1871 markierte nicht eigentlich den Gründungstag des Zweiten Deutschen Kaiserreiches. Staatsrechtlich fand diese bereits am 1. Januar 1871 mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung statt. Diese Reichsverfassung war die veränderte Verfassung des Norddeutschen Bundes, nachdem durch Verträge die süddeutschen Staaten Bayern, Württemberg, Baden und Hessen im November/Dezember 1870 beigetreten waren. Insofern stellte der 18. Januar 1871 recht eigentlich die Amtsübernahme des Deutschen Kaisers bzw. die „Proklamierung“ des Reiches dar.
Bis zum Jahresende 1870 war diese Deutsche Einigung keineswegs gesichert. Besonders die Verhandlungen mit dem Königreich Bayern fanden unter großen Schwierigkeiten statt, da das Land für sich Sonderrechte forderte, die weder Preußen noch die anderen deutschen Staaten zuzugeben bereit waren. Nur der Beharrlichkeit, dem diplomatischen Geschick und der Erfindungsgabe Otto von Bismarcks war es zu danken, dass das Einigungswerk kurz vor Ultimo nicht doch noch scheiterte. Eine ausführliche Schilderung der Ereignisse bringt Erich Brandenburg in seinem Werk „Die Reichsgründung“ von 1916, die hier nachgelesen werden kann. Brandenburg beschreibt nicht nur die spannende Phase der Verhandlungen zwischen Bismarck und den süddeutschen Staaten, sondern beleuchtet auch die „Kaiserfrage“, den Streit über den Titel des Kaisers, der sich bis zum Tage der Proklamation hinzog. Bekanntlich wollte Wilhelm I., ohnehin nicht restlos begeistert von seiner neuen Würde („Was soll mir der Charaktermajor?“), „Kaiser von Deutschland“ und nicht „Deutscher Kaiser“ heißen, wie es aber bereits in der Verfassung festgeschrieben war. Bismarck kostete es erhebliche Mühen, um den König von Preußen doch noch umzustimmen. Wie groß die Verstimmung zwischen beiden gewesen ist, bezeugt die Tatsache, dass der Kaiser nach der Proklamation an seinem neuen Reichskanzler vorüberschritt, ohne ihm die Hand zu reichen. Wer Otto von Bismarcks Version der Geschichte in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ nachlesen will, kann das hier tun.
Manuel Ruoff greift in einem Beitrag in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ aus dem Jahre 2005 die Rolle auf, die der bayerische König Ludwig II. in diesem Geschehen spielte. Wer erfahren möchte, was Bismarck sich alles einfallen lassen musste, um die Zustimmung des „Märchenkönigs“ zur Reichsgründung zu erhalten, kann das an dieser Stelle nachvollziehen.
Der Akt der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 ist von vielen Seiten beschrieben worden, darunter von zahlreichen Augenzeugen. Eine übersichtliche Schilderung der Zeremonie hat Theodor Fontane in seinem bedeutenden Werk „Der Krieg gegen Frankreich 1870-1871“ gegeben. Wer sich dafür interessiert, kann das hier nachlesen. Schließlich fügen wir hier noch den Brief an, den der neue Kaiser Wilhelm I. noch am Tage der Proklamation an seine Gemahlin, Kaiserin Augusta, nach Berlin schrieb und aus dem nicht nur Begeisterung zu lesen ist.
Zu Allerletzt: Den Text der Proklamation selber, den Otto von Bismarck, nachmaliger Reichskanzler, selbst verfasst hat und im Spiegelaal von Versailles vorlas, haben wir bereits zur Kenntnis gegeben. Kaum einer wird aber wissen, dass eine Tonaufnahme der Stimme Bismarcks existiert, die auf einem Edison-Phonograph von Theo Wangemann am 7. Oktober 1889 im Schloß Friedrichsruh aufgenommen wurde. Obwohl die Tonqualität zu wünschen übrig lässt, bekommt man doch einen Eindruck, wie der Reichsgründer an jenem denkwürdigen Tag des Jahres 1871 geklungen haben mag (hier anhören, Quelle YouTube).
(Bild oben: Die von Anton von Werner in mehreren Fassungen als Gemälde festgehaltene Proklamationsszene im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871, dem Jahrestag der Krönung Friedrichs I. zum König in Preußen zu Königsberg 1701. Die hier abgebildete Fassung malte Werner zum 70. Geburtstag des Reichskanzlers im Jahre 1885. Das Werk befindet sich heute im Besitz der Otto-Von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh/Sachsenwald.)