Von Willy Wimmer
Die Aufnahmen in den abendlichen BBC-Nachrichten waren deutlich. Vor Jahren hatte es das schon einmal gegeben, als im Schwarzen Meer russische Fliegerkräfte derart über ein amerikanisches Kriegsschiff hinwegdonnerten, daß dieses einen rumänischen Hafen ansteuern mußte, weil Dutzende von Seeleuten sich aus dem Dienst nach diesen Erfahrungen verabschieden wollten. Jetzt schossen auf Armlänge Migs der russischen Streitkräfte haarscharf am britischen Kriegsschiff „Defender“ vorbei. Ziel und Zweck des Vorgehens war es, das britische Schiff dazu aufzufordern, die russischen Hoheitsgewässer unverzüglich zu verlassen. In diese Hoheitsgewässer war das britische Kriegsschiff ohne Genehmigung eingedrungen.
Schon in den BBC-Nachrichten zeigte sich eine unverständliche und auch in London ungewöhnliche Diskrepanz zwischen der BBC-Berichterstattung durch einen BBC-Reporter, der sich an Bord des Eindringlings befand und der britischen Regierung, Während London alles so normal darstellte, wie es hätte normal sein können, war der Bericht von Bord Dramatik pur. Man wurde allerdings den Eindruck nicht los, daß die offizielle Haltung zu dem Vorfall nach einem alten Motto von Heinz Rühmann ablief: stellen wir uns mal ganz dumm.
Der Hintergrund für diese Einstellung war der Umstand, daß die britische Flotte für ihr Kriegsschiff den Umstand ignorierte, daß die Gewässer der Krim seit der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation eben nicht mehr ukrainische, sondern jetzt russische Hoheitsgewässer sind. Das muß man nicht anerkennen, aber selbst aus britischer Sicht handelt es sich um „umstrittene Gewässer“ und in Anbetracht der Russischen Föderation als Hoheitsträger um ein gewußtes und genau kalkuliertes Spiel mit dem Feuer. Die Bilder, die der BBC-Reporter von der Brücke des britischen Kriegsschiffes überspielte, machten jedem klar, um was es sich handelte. Die Mannschaft bereitete sich auf den Ernstfall vor, um dann doch beizudrehen.
Das ist ein Spiel nicht nur mit dem Feuer. Es ist ein Spiel mit dem Untergang, in das nicht nur die britische Marine verwickelt sein könnte. Für das NATO-Provokationsmanöver, das in diesen Tagen in diesem Gebiet unter dem Kunstnamen „Poseidon 21“ stattfindet, dürfte das Verhalten der Royal Navy gegenüber der Russischen Föderation Modellcharakter haben. Für uns alle bedeutet dieses rücksichtslose Spiel mit dem Frieden, daß wir uns im Krieg befinden können, ohne es vorher gemerkt zu haben. Das Vorgehen des britischen Kriegsschiffes auf Weisung der britischen Regierung zeigt noch etwas anderes und das ist nicht zu überbieten. Einen Tag vor dem Zwischenfall an der Südspitze der Halbinsel Krim und unweit des Zentralhafens der russischen Scharzmeer-Flotte in Sewastopol, in dessen unmittelbarer Nähe sich ein riesiger Soldatenfriedhof von Angehörigen der deutschen Wehrmacht befindet, hatte nicht nur Russland seiner Opfer des Krieges gedacht, der mit dem Angriff des Deutschen Reiches auf die damalige Sowjetunion begann. Die Dimension dieses Krieges und der Opfer, die vor allem das russische Volk und die anderen Völker der damaligen Sowjetunion tragen mußten, versetzt die Welt heute noch in Schrecken. Im unmittelbaren Umfeld dieses Tagen mit dem dritten Weltkrieg so zu drohen, wie es ein Schiff ihrer Majestät vor der Küste der Krim durchführte, ist an Perversität nicht zu überbieten.
Daran sind die letzten Tage ohnehin nicht arm. Das zeigte der Besuch des neuen amerikanischen Außenministers, Herrn Blinken, in Berlin. Ein öffentlicher Auftritt galt dem Mahnmal in Berlin-Mitte und die damit verbundene Mahnung war die, diese Gräuel nie zu vergessen. Wie wahr, aber warum hat dann der gesamte Westen die Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg verraten, indem er durch den Krieg 1999 gegen Jugoslawien die Charta der Vereinten Nationen und das Gewaltmonopol der UN zerstörte? Warum geht die Bundesregierung seither hin, und stellte durch die Führung von Angriffskriegen Deutschland wieder auf das Rechtsniveau des 1. September 1939? Warum wird der deutsche Rechtsstaat, der den deutlichen Unterschied zu den Nazis ausmachen sollte, in Sachen „Schutz der deutschen Staatsgrenzen“ wieder geschreddert und das mit unabsehbaren Folgen? Während das Bundesamt für Verfassungsschutz überall neue Nazis ausmacht, müssen die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes feststellen, daß sich angeblich die Zellen dieser „Nazis“ im Staatsapparat breitgemacht haben. Was haben die Verantwortlichen bislang übersehen oder warum haben sie weggeschaut? Wie kann man den Menschen im Lande den Besuch und die verständliche Mahnung von Minister Blinken am Mahnmal erklären und dann das Verhalten von USA, Deutschland und anderen in der Ukraine, wo mit EU und NATO-Geldern ukrainischen Formationen in den Konflikten eingesetzt werden, die sich bewußt in die nationalsozialistische Tradition stellen? Es muß die Hybris der Mächtigen sein, das Schicksal von uns allen in den Dreck zu ziehen.
Das, was in den russischen Küstengewässern durch das britische Schiff veranstaltet worden ist, kann uns morgen durch das deutsche Marineschiff „Bayern“ an der chinesischen Küste passieren. Die Erklärungen zu diesem Einsatz klaffen meilenweit auseinander. Hier wird durch das Verteidigungsministerium beschwichtigt. Nein, es sei keinesfalls daran gedacht, umstrittene Gewässer mit China auszutesten. Auf CNN erklärt ein ehemaliger NATO-Oberbefehlshaber zeitgleich, daß genau darin der Auftrag der Bundesmarine, zusammen mit der französischen Marine, vor Chinas Küsten bestehe. Natürlich ist mit der Flugzeugträger-Kampfgruppe „HMS Elizabeth“, in Begleitung amerikanischer Führungsschiffe der Einsatz ungleich gewichtiger. Man sollte nicht vergessen, daß der Einsatz eines atomar bestückten U-Bootes die gesamte Erde unbewohnbar machen kann. Großbritannien hat in Fernost wesentlich dazu beigetragen, die Grundlage „ein Land, zwei Systeme“ für Hongkong und eben für Taiwan unwirksam zu machen, nachdem das 1998 mit Beijing wegen der Rückgabe von Hongkong vereinbart worden war. Ist der Einsatz der britischen Trägergruppe jetzt die Grundlage für das Austesten Chinas für die chinesischen Hoheitsgewässer. Und was hat die Bundemarine da oder im Schwarzen Meer verloren. Mit dem NATO- Vertrag hat das alles nichts mehr zu tun.