Wer steuert wen? Politik oder Justiz?

Von Prof. Dr. Eberhard Hamer

Unser Staatsrecht kennt Gewaltenteilung, d.h. dass die Verwaltung (Exekutive) von der Politik (Legislative) gesteuert wird, dass aber die Rechtsprechung (Justiz) unabhängig die beiden anderen Gewalten am Recht justieren, also korrigieren soll. Dieses Gewaltenteilungsprinzip hat vor allem in unserem Zivilrecht – dem Recht zwischen Privatpersonen – einen hohen Rang. Die deutschen Zivilrichter haben sich immer verbeten, wenn vor allem Minister ihnen hineinreden und Vorschriften machen wollten. Die Zivilgerichtsbarkeit hat in unserem Rechtssystem den höchsten Unabhängigkeitsrang immer und mit Erfolg verteidigt.

Im Strafrecht sieht das schon anders aus. Die Staatsanwälte sind weisungsabhängig von ihren Vorgesetzten, letztlich also vom Generalstaatsanwalt – einem politischen Posten. So kann die Politik darüber bestimmen, ob Anklagen – vor allem mit politischem Bezug – zurückgenommen oder erhoben werden.

Wenn etwa eine Verleumdung durch die Presse (wie beim Autor) durch ein Gericht abgeurteilt und als rechtswidrig erkannt wurde, kann die Generalstaatsanwaltschaft auf politischen Einfluss hin das Urteil aufheben lassen und einen Freispruch des politischen Publizistenfreundes bewirken. Unsere Strafjustiz ist also nicht nur abhängig, sondern auch zunehmend politisch gesteuert. Dies hat sogar die EU schon bemängelt, weil Deutschland gegen die politische Abhängigkeit der ungarischen Justiz zu Felde zieht, aber selbst die Strafjustiz weiter politisch steuern will.

Deutschlands Strafjustiz ist also politisch dominiert, was sich auch an unterschiedlicher Behandlung von Inländern und Ausländern in vielen Urteilen nachweisen lässt.

Die größte Abhängigkeit besteht aber zwischen Exekutive und Legislative einerseits und der Verwaltungsjustiz andererseits. Nicht nur, dass die Verwaltungsrichter – ebenso wie die Finanzrichter – aus den Verwaltungslaufbahnen der Exekutive kommen; – Es spielt, je höher die Gerichte, umso mehr Politik bei der Berufung der Richter mit, am meisten beim Bundesverfassungsgericht. Die Richter werden durch das Parlament bestimmt; nicht aufgrund ihres überragenden Rechtswissens, sondern aufgrund ihrer einseitigen politischen Herkunft. Die drei Altparteien haben sich die Posten immer prozentual aufgeteilt, so dass meist ein Parteimitglied – oft ein Parteiprominenter – in das höchste deutsche Verfassungsgericht berufen wurde; mal ein SPD-Funktionär, mal ein CDU-Funktionär, mal ein FDP-Funktionär. Der Weg zum obersten Verfassungsgericht geht also nicht über Rechts-, sondern über Parteikarrieren.

Entsprechend spielen auch politische Gesichtspunkte für das Bundesverfassungsgericht entscheidende Rollen. Die politischen Parteien bestimmen nicht nur, wer Bundesverfassungsrichter wird, sondern Regierungen haben schon mehrfach versucht, die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu beeinflussen, nicht nur Kohl gegenüber Herzog (Alteigentümerurteil).

Noch nie aber hat es eine solche Dreistigkeit der Einflussnahme der Regierung auf das Bundesverfassungsgericht gegeben wie in Merkels Einladung Mitte Juli an das gesamte Bundesverfassungsgericht nach Berlin zu einem gemeinsamen „Gespräch“ und Essen zusammenzukommen. Das Bundesverfassungsgericht ließ sich einladen von einer Person, über die der Zweite Senat in der Woche darauf entscheiden musste, ob sie mit der Aufforderung an ihre Partei und an die SPD, den gewählten FDP-Ministerpräsidenten in Thüringen sofort auszutauschen, verfassungswidrig gehandelt hat oder nicht.

Wenn man die Abhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts von den Politikern kennt, denen sie ihr Amt verdanken, in deren politischem Dunst sie groß geworden sind und mit denen vielfältige Altbeziehungen noch bestehen, wird man sich nicht wundern, wenn die von der Politik berufenen Verfassungsrichter nach Einladung und freundschaftlicher Beratung“ von Merkel ein verfassungswidriges Verhalten von Merkel im kommenden Urteil nicht feststellen. Wenn also eine Partei oder Regierungschefin ihre Landespolitiker anweist, einen gewählten Ministerpräsidenten abzuwählen, weil dieser seine Wahl zum Ministerpräsidenten auch der AfD verdanke, dann hat Kanzlerin Merkel das Ergebnis einer demokratischen Wahl verfassungswidrig zu korrigieren befohlen. Es wird also interessant sein festzustellen, mit welchen Argumenten das Bundesverfassungsgericht nach dem Kanzlerbesuch diesen Verfassungsbruch beurteilt.

Einen Vorgeschmack dessen, was da „in Sachen Merkel“ kommt, hat das gleiche Bundesverfassungsgericht mit seinen Argumenten für die Euro-Verschuldung gebracht. Unstreitig verbietet europäisches Recht mehrfach und der Lissabon-Vertrag eindeutig die europäische Staatsschuldenübernahme und die Haftung der Mitgliedsländer untereinander für fremde Schulden. Dies gilt auch für die EZB. Als nun der ESM eine gemeinschaftliche Schuldenhaftung in Höhe von 390 Milliarden Euro vorsah, bestand die Gefahr, dass Deutschland für alles haften müsse, wenn die anderen nicht zahlen können oder wollen. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bundesregierung für 190 Milliarden hafte, für ihren Anteil, hat aber die Gesamthaftung, d.h. die Haftung jedes Partners für alles, völlig außer Acht gelassen, sogar falsch interpretiert, um das der Koalition und Regierung vorgelegte Haftungspaket nicht zu torpedieren (was das Bundesverfassungsgericht eigentlich hätte tun müssen).

Als dann die Gruppe Lucke eine Einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts gegen den Bundespräsidenten beantragte, dieser möge das Mega-Schuldenpaket der EU von 800 Milliarden nicht unterschreiben, weil dies ebenfalls eine Gesamthaftung – also die Haftung Deutschlands für alles – enthalte, hat das Gericht erst diese Argumentation für richtig gehalten, aber wenige Tage später den Eilantrag zurückgewiesen, „weil Eilbedürftigkeit nicht bestehe“. Es sollen also wieder nach der alten Juncker-Methode Fakten geschaffen werden: „Wir beschließen etwas, stellen es in den Raum, warten ab, ob es großes Geschrei gibt und wenn nicht, machen wir weiter. Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“ Das Bundesverfassungsgericht hat also wieder einmal rechtswidriges Handeln der EU und rechtswidrige Beschlüsse der Bundesregierung Fakt werden lassen, so dass eine Entscheidung darüber erst in den nächsten Jahren uninteressant werden wird.

Der deutsche Staatsbürger kann also von seinem höchsten Gericht keinen Rechtschutz mehr erwarten gegen rechts- und verfassungswidriges Handeln der EU und seiner eigenen Regierung.

Schon früher hat einmal eine unselige Regierung unsere Verfassungsgerichte besetzt, gesteuert und bestimmt. Das Bundesverfassungsgericht sollte deshalb Einflussnahmen der Regierung besonders empfindlich behandeln, um nicht wieder in den Verdacht der Regierungssteuerung zu kommen.

Die Entscheidung über das verfassungsmäßige oder verfassungswidrige Handeln von Merkel in der Sachsen-Ministerpräsidentenfrage wird hierfür ein Test sein.

Foto: Mittelstandsinstitut Niedersachsen

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