Die deutsche Politik wird nicht von Vernunft und Tatsachen bestimmt, sondern von weltfremder Ideologie. Die Regierenden sind Moralisten, aber keine moralischen Politiker. Was für sie zählt, ist der persönliche Ehrgeiz, nicht das Gemeinwohl. Das war unter Merkel so und wird unter ihren Satrapen Scholz, Habeck und Lindner so bleiben. Was für den Corona-Schwindel galt, gilt auch für den Klima-Wahn. Doch die steuergeldbezahlten Phantasten werden an der Realität scheitern. So ist sich Dr. Gert Maichel, ehemaliger RWE-Vorstand sicher, dass auch die Kernkraft nach Deutschland zurückkehren wird, wie er in einem Interview mit Moritz Schwarz in der neuen Jungen Freiheit (Nr. 43/21) darlegt.
„Die Frage ist nicht ob, sondern wann“
Kehrt die Kernkraft zurück? Der ehemalige RWE-Manager Gert Maichel ist sich sicher, daß auch Deutschland sich der Atomenergie künftig nicht entziehen kann
Moritz Schwarz
Herr Dr. Maichel, kommt es zu einer weltweiten Renaissance der Kernenergie – wie die neuen Zahlen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA nahelegen?
Gert Maichel: Eine Renaissance, also „Wiedergeburt“, geschieht, wenn etwas gestorben ist. Die Atomkraft ist weltweit aber nicht „gestorben“, sondern wird, wie wir etwa am neuen französischen Wirtschaftsprogramm, aber auch in anderen Ländern sehen, verstärkt eingesetzt. Richtig ist aber, daß laut IAEA die Bedeutung der Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten dramatisch wachsen könnte.
Was ist der Grund dafür?
Maichel: Vor allem das Bedürfnis nach Versorgungssicherheit sowie die derzeit herrschende Klimaschutzpolitik.
Das heißt, ohne das von den Grünen und Fridays for Future beförderte Pariser Klimaschutzabkommen gäbe es diese neue Blüte der Kernkraft gar nicht?
Maichel: Das sehe ich nicht so, denn die Klimaschutzpolitik mag ein wesentlicher Treiber in der Sache sein, ist aber wie gesagt nicht der einzige.
Hat der mutmaßlich kommende Atomkraft-Boom etwas mit der aktuellen Energiepreiskrise zu tun?
Maichel: Wohl kaum, denn das ist keine Reaktion auf die Preisexplosion der letzten Wochen. Die schon länger bekannten Planungen für weitere Atomkraftwerke in unseren Nachbarländern Polen, Tschechien, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien, vor allem aber in Rußland, China, Indien, den USA und Kanada sind Folge strategischer Überlegungen für langfristige Versorgungssicherheit, Energieunabhängigkeit und Klimavorsorge.
Aber ist der Atomausstieg nicht mitverantwortlich für das derzeitige Explodieren der Energiekosten?
Maichel: Mit dem Anziehen der Öl- und Erdgaspreise in den letzten Monaten hat der Atomausstieg nichts zu tun. Ursache sind vielmehr vor allem die extrem angestiegene Ölnachfrage der globalen Wirtschaft nach Abklingen der Corona-Krise, besonders in Asien, bei bis jetzt wegen der Pandemie reduzierten Fördermengen durch die Ölförderländer sowie die schwere Verwüstung von Ölförderanlagen im Süden der USA durch die jüngsten Hurrikane. Zudem, was Gas angeht, hat sicher auch Herr Putin die Hand im Spiel. Ich denke aber, bis Sommer wird sich das normalisieren, und die Preise werden wieder sinken. Allerdings, wenn auch nichts damit, so hat der Atomausstieg wohl doch einiges zu tun mit dem schon länger beobachteten Steigen der deutschen Stromkosten zu den höchsten weltweit. Denn das Herausnehmen der billigen Kernkraft aus dem Strommix führte zum Einsatz teurerer Energieerzeugung – vor allem wegen des auf beinahe fünfzig Prozent gestiegenen Staatsanteils am Strompreis –, sowie zu teuren Stromimporten aus dem Ausland.
Aber würde eine intakte Kernenergiewirtschaft ermöglichen, die für den aktuellen Preisanstieg verantwortlichen Faktoren zumindest teilweise auszugleichen?
Maichel: Aber selbstverständlich, denn Atomstrom wäre dann zum Beispiel nicht mit den zuletzt extrem angestiegenen Zusatzkosten des CO2-Zertifikateregimes belastet.
War der deutsche Atomausstieg also ein Fehler?
Maichel: Ein Fehler, und nicht nur wegen der Kosten, sondern auch weil wir uns viel stärker importabhängig machen, weil wir auf eine CO2-freie sichere Stromerzeugung verzichten müssen, und weil wir die Technologieführerschaft verlieren.
Aber Angela Merkel hat unlängst ausdrücklich versichert, sie hinterlasse ein „starkes Land“.
Maichel: Na ja, auf dem Gebiet der Energiewirtschaft sind wir erheblich geschwächt worden. Es gibt jetzt schon Rückzugsbewegungen aus der energieintensiven Industriefertigung. Kein Investor wird in Deutschland mehr eine Produktion mit den weltweit höchsten Stromkosten wagen. Ich sehe darin schon die Gefährdung des deutschen Wirtschaftsstandorts.
In einem offenen Brief in der „Welt“ haben vergangene Woche etwa zwei Dutzend Persönlichkeiten, darunter Theo Sommer, James Hansen und Steven Pinker, gefordert, Deutschland solle die für Ende 2022 geplante Vollendung des Ausstiegs verschieben, da es derzeit noch zwölf Prozent seines Energiebedarfs durch Atomkraft deckt und diese nicht problemlos ersetzen kann.
Maichel: Die Unterzeichner bekümmern allerdings weniger die Versorgungssicherheit und die exorbitanten Energiepreise, sondern daß dann mehr fossile Energieträger verbrannt werden müßten, was zu zusätzlichen sechzig Millionen Tonnen CO2 pro Jahr führe und zur Folge habe, daß Deutschland sein durch die Politik gesetztes Klimaziel bis 2030 nicht erreiche. Das zeigt, daß was für die Energieerzeugung allgemein gilt, auf Kernkraft ganz besonders zutrifft: Es ist eine wesentlich durch Politik getriebene Aktivität. Und Politik wiederum wird wesentlich durch Ideologien, Stimmungen, Ängste etc. bestimmt. Dagegen könnte sich eine mehr faktenbasierte Energiepolitik dem Ausstieg aus dem Ausstieg nicht verschließen.
Aber wer will den hierzulande eigentlich noch? Hat sich die Energieindustrie nicht längst mit dem Ausstieg arrangiert und profitiert von der subventionierten Energiewende, will also gar nicht zurück?
Maichel: In der Tat, ich denke, für die ist „der Drops gelutscht“. Denn die Prozesse um Entschädigung hat man gewonnen, und was man ganz sicher nicht will, ist sich erneut die Finger zu verbrennen – da ein Wiedereinstieg zweifellos zu einer neuen Protestwelle führen würde. Von den Betreibern ist da also keine Initiative zu erwarten. Wenn, dann kann der Impuls dazu nur aus der Politik kommen.
Aber wer außer der AfD und „Nuklearia“, einem Verein wissenschaftlicher Atomenergieenthusiasten (JF 26/21), setzt sich heute politisch noch dafür ein?
Maichel: Eben, und die AfD kann durch ihre Isolation den Anstoß ja auch gar nicht politisch wirksam einbringen. Nuklearia kenne ich zwar gut, es ist aber in der Tat leider nur ein kleiner Haufen von überzeugten Anhängern der Kernkraft, der sich aus einem Arbeitskreis der Piraten-Partei entwickelt hat. Das kann sich jedoch ändern. Denn diese Gruppe hat alle guten, wissenschaftlichen Argumente auf ihrer Seite, und die Führung des Vereins ist keine Lobby für Industrieinteressen, sondern für die Sache an sich. Das finde ich bewundernswert!
Was bedeutet es für Deutschland, sollte der weltweite zweite Frühling der Atomkraft tatsächlich anbrechen?
Maichel: Dann würde immer offensichtlicher, daß wir mit unserem Ausstieg keine Nachahmer finden, dieser also seine Funktion, als Vorbild zu dienen, verfehlt hat, sowie daß wir als Technologienation keine Beachtung mehr erfahren.
Kann Deutschland nicht einfach die weltweite Entwicklung ignorieren? Schließlich „muß man nicht ebenfalls neu tapezieren, wenn der Nachbar renoviert“, wie SED-Chefideologe Kurt Hager mit Blick auf Gorbatschows Perestroika bekanntlich einst sagte.
Maichel: Natürlich kann Deutschland das, aber die Folgen werden wir – wie auch auf anderen Gebieten, wo immer technologiefeindlicher agiert wird – im Niedergang unserer Wirtschaftskraft und damit unseres Wohlstands sehen. Wir brauchen ja nur auf die drastisch gesunkene Autoproduktion zu gucken oder die Probleme, die unsere Chemiewirtschaft mit der Politik bei der neuen Gentechnik hat.
In einem Gastbeitrag für den „Focus“ hat der Publizist Gabor Steingart nun eine Diskussion über einen Wiedereinstieg in die Atomkraft gefordert – hat das Aussicht auf Erfolg?
Maichel: Die politische Debatte darum ist doch schon längst wieder im Gang. Sie hat nur noch nicht jene erreicht, die die Hebel zum Umschalten in der Hand haben. Sie wird jedoch, da habe ich keinen Zweifel, auch bei diesen ankommen, spätestens wenn etwa bei einem extremen Stromversorgungsengpaß, einem „Blackout“, Haushalten und Industrie die Lichter ausgehen.
Sie haben als Industriemanager die Debatte um die Atomkraft viele Jahre miterlebt. Was waren die Gründe dafür, daß sie verloren wurde?
Maichel: Es wurden auf allen Seiten Fehler gemacht. Vor allem aber hat die Politik sich durch die links majorisierten Medien und mit Blick auf eine Landtagswahl in Baden-Württemberg ins Bockshorn jagen lassen, während die Industrie es leid war, sich immer wieder an den Pranger gestellt zu fühlen.
Als Manager und Präsident des Deutschen Atomforums waren Sie allerdings auch Lobbyist. Wie unabhängig ist also überhaupt Ihre Ansicht? Sprechen Sie nicht auch noch heute mehr als ehemaliger Lobby-Vertreter denn als Fachmann?
Maichel: Tatsache ist, damals wie heute sprechen alle fachlich wissenschaftlich abgesicherten Argumente für die Kernkraft. Das damalige Atomforum wurde von den Atomkraftwerksbetreibern und ihren Zulieferern getragen, die sich in starker Abhängigkeit von der Politik und der öffentlichen Meinung sahen. Doch wie ich schon sagte, diese war so überwältigend stark, daß kein Verband und keine Industrie dagegenhalten konnte.
Allerdings barg die Atomkraft immer unwägbare Risiken. Die Gefahr eines GAU kann nur minimiert, aber nie ausgeschlossen werden, und eine sichere Lagerung strahlender Abfälle über Tausende Jahre kann natürlich auch niemand garantieren. Ist der Atomausstieg also im Grunde nicht richtig – falsch ist nur wie übereilt, dilettantisch und verantwortungslos er von der Regierung Merkel umgesetzt wird?
Maichel: In der öffentlichen Debatte wird gern die Tatsache übersehen, daß, selbst wenn man die Unfälle von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima mit einrechnet, die Energieerzeugung aus Atomkraft zu jenen Großtechnologien der neuen Zeit gehört, die die wenigsten Todesfälle verursacht haben. Sicher ist diese deshalb, weil man die Risiken kennt und sie zu beherrschen gelernt hat. Darüber hinaus gibt es neue Konzepte, die noch effizienter und sicherer sind. Ich möchte nur auf den in Deutschland entwickelten neuen Dual-Fluid-Reaktor, kurz DFR, verweisen – ein sogenannter Salzschmelze-Reaktor, weil sein Kernbrennstoff geschmolzene Salze sind, wie zum Beispiel Uranchlorid. Und der inhärent – das heißt aus naturgesetzlichen Gründen – sicher ist. So ist etwa ein Unfall wie in Tschernobyl nicht mehr möglich, weil bei dieser Technologie die Voraussetzungen dafür fehlen. Außerdem kann er auch unseren jetzigen hochstrahlenden Abfall zu Strom umwandeln sowie die Halbwertzeit der dann noch übrigen geringen Menge Abfalls so drastisch reduzieren, daß sich eine Endlagerproblematik gar nicht mehr stellt.
Es gibt Kritiker wie Sie, die warnen, der Atomausstieg koppele Deutschland von einer internationalen, modernen Technologieentwicklung ab und befördere unseren Abstieg als Industrienation. Es gibt aber ebenso Kritiker, die warnen, der Wiedereinstieg – und Ausstieg aus der Energiewende – koppele uns von einer internationalen, modernen (grünen) Technologieentwicklung ab und befördere unseren Abstieg als Industrienation. Wer hat recht?
Maichel: Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Wir haben in Deutschland heute noch sechs auf modernstem Stand arbeitende Kernkraftwerke in Betrieb, die in wenigen Monaten aber abgeschaltet werden sollen. Es gibt jedoch noch keine Möglichkeit, um den inhärenten Nachteil von Photovoltaik und Windkraft, nämlich daß sich ihre Energie nicht speichern läßt, auszugleichen. Günstiger und sicherer als mit diesen sechs Reaktoren kann man Strom CO2-frei nicht erzeugen. Mein Plädoyer ist also, diese für weitere zehn Jahre laufen zu lassen und in dieser Zeit die Forschung für Anwendung und Einsatz der neuen Kernkraftkonzepte wie Dual-Fluid sowie die Entwicklung von Speichermöglichkeiten zu intensivieren. Deutschland wird sich auf Dauer technologischen Weiterentwicklungen in der Atomenergie nicht verschließen können. Deshalb bin ich mir sicher, daß die Frage nicht ist ob, sondern nur wann die Hebel dafür umgelegt werden. Derzeit sieht es allerdings so aus, als ob die ideologiegetriebene grüne Politik dies noch eine ganze Weile verhindert. Je länger ihr das gelingt, desto größer wird unser Rückstand und desto länger wird es dauern, diesen einmal wieder aufzuholen. Und um so größer wird dann auch der Schaden für unser Land. Ein Schaden, den leider nicht jene ausbaden müssen, die ihn uns eingebrockt haben, sondern wir alle – wenn Deutschland nämlich absteigt.
Dr. Gert Maichel, der Jurist und Industriemanager war von 2000 bis 2005 Vorstandsmitglied der RWE AG, zuständig für Energie- und Umweltpolitik sowie Forschung und Entwicklung, außerdem als Vorstandsvorsitzender der RWE Power AG verantwortlich für alle Energieerzeugungsaktivitäten des Konzerns. Von 2001 bis 2004 bekleidete er zudem das Amt des Präsidenten des Deutschen Atomforums. Heute berät er Energiefirmen. Geboren wurde er 1949 in Timmendorfer Strand in Holstein.
Foto: Kernkraftwerk Neckar-Westheim (Quelle Wikipedia gemeinfrei).