Im Kampf um die „Neue Weltordnung“ formieren sich seltsame Allianzen, deren Partner vordergründig eigentlich Feinde sein müssten: Islamismus und Marxismus in Gestalt des „Gender Mainstreaming“ sowie Kapitalismus und linke Gesellschaftsideologie. Doch sie alle eint ein rücksichtsloser Totalitarismus, der Andersdenkende und Minderheiten gnadenlos bekämpft. Hinter allem jedoch versteckt sich ein Materialismus, der keine Werte und keine Moral kennt. Lesen Sie hierzu den folgenden Beitrag von David Engels aus der neuen Jungen Freiheit Nr. 48/21:
Kaum zu bremsen
„Woker“ Kapitalismus: Was widernatürlich wirkt, ist kein Unfall der Geschichte
David Engels
Angesichts der zunehmenden Beschränkung aller denkbaren Freiheitsrechte ist nur verständlich, daß radikale Vorstellungen von Liberalismus erneut großen Zulauf haben. In der Tat genügt ein Blick etwa in einen der Romane von Ayn Rand, um festzustellen, daß ihre psychologische Charakterisierung des Kollektivismus und dessen Kontrastierung mit dem von Rand gepredigten freien und selbstbestimmten Individuum nicht ganz aus der Luft gegriffen sind.
Und doch täuscht der hierdurch suggerierte Dualismus zwischen Kollektivismus und Liberalismus. Denn beide sind letztlich nur die zusammengehörenden Varianten ein- und desselben Weltbildes, das den Menschen im wesentlichen auf seine wirtschaftliche Funktion und die Welt auf einen rein materialistischen Objektivismus reduzieren will.
Wer an der traurigen Wahrheit dieser Vermutung zweifelt, möge einen Blick auf jenen seltsamen „woken“ Kapitalismus werfen, der sich seit dem Ende des Kommunismus zeitgleich mit der zunehmenden Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur in der westlichen, sondern der gesamten Welt ausgebreitet hat und kulturmarxistische Ideologie mit einem damit angeblich unvereinbaren hochkapitalistischen Produktions- und Finanzsystem verquickt.
Sei es das Klimaengagement Amazons, die Hate-Speech-Politik Facebooks, die LGBTQ-Schlagseite Ikeas, die Multikulti-Werbung Benettons, das Gendern des Otto-Katalogs, der „Kampf gegen Rechts“ von Alnatura oder die AfD-Hausverbote vieler deutscher Restaurants: Vom größten bis zum kleinsten Betrieb unterstützen alle vorbehaltslos den linken Zeitgeist – und zwar nicht aus oberflächlichem Opportunismus, sondern aus langfristigem Kalkül.
Denn was auf den ersten Blick widernatürlich scheint, ist auf den zweiten nur logisch. Der Ultraliberalismus in seiner Endphase bewirkt zum einen durch sein Streben nach möglichst effizienter Vermarktung seines Angebots eine Nivellierung und Vermassung breiter Volksschichten, die zu austauschbaren Konsumenten degradiert werden. Zum anderen generiert er immer mächtigere Monopole und Oligopole, welche als Big Tech, Big Data oder Big Pharma oder aufgrund ihrer gewaltigen Macht und internationalen Ausrichtung kaum noch gebremst werden können.
Die einander widerstreitenden Interessen einer kleinen, ultraliberalen Machtelite auf der einen Seite und den großen Massen auf der anderen müssen aber nicht unbedingt zum Klassenkampf führen, wie Marx erwartete, sondern können ganz im Gegenteil durch entsprechende ideologische Manipulation ausgehebelt werden. Indem die großen Konzerne sich nämlich nicht mehr als patrimoniale oder elitäre Gegenspieler der breiten Massen offenbaren, sondern sich angeblich auf deren Seite stellen beziehungsweise deren Ansichten geschickt zu ihren eigenen Gunsten manipulieren, bestätigen sie eine bereits von Oswald Spengler vorhergesagte Entwicklung.
Ihm zufolge käme es im derzeitigen Abendland entweder zur Entstehung eines sozialistischen Systems, das allerdings zunehmend eine mächtige und auch wirtschaftlich einflußreiche Nomenklatura hervorbringen würde, oder aber eines ultrakapitalistischen Systems, das seine Bürger beziehungsweise Konsumenten zunehmend planwirtschaftlich verwalten würde, um seine Überlebensfähigkeit zu garantieren: der Milliardärssozialismus.
Unter diesem Gesichtspunkt ist es daher auch nur logisch, wenn die großen Betriebe von ihrer tatsächlichen Machtstellung abzulenken versuchen, indem sie ihre wahren, extrem asymmetrischen Besitzstrukturen durch Hervorhebung angeblich kollegialer „corporate identity“ verschleiern und zum einen auf ihr Engagement für „globale“ Ziele verweisen (wie etwa den Kampf für das Klima, für die Dritte Welt oder für die Demokratie), zum anderen ein gesellschaftspolitisches Ideal bewerben, das unter dem Deckmantel menschenrechtlicher Vokabeln faktisch die Zersetzung der bisherigen bürgerlichen Solidarstrukturen bewirkt, etwa durch Multikulturalismus, LGBTQ- und Gender-Ideologie, antichristliche Propaganda oder die allgemeine Ablehnung von Nationalstaat und abendländischer Zivilisation. Der „woke“ Kapitalismus ist also kein Unfall in der Geschichte des Ultraliberalismus, sondern vielmehr dessen Lebensversicherung.
Daher ist auch die Forderung zur Rückkehr zum angeblich „guten alten Liberalismus“ der 1970er oder 80er Jahre ein (wenn auch verständlicher) Irrtum, da er nur Feuer mit Feuer bekämpfen und sich für die Restitution von Verhältnissen einsetzen würde, die in kürzester Zeit doch wieder nur analoge Konsequenzen produzieren. Auch der Verweis auf die Notwendigkeit einer strengeren staatlichen Steuerung des Liberalismus etwa durch Kartellpolitik, freies und gleiches Bildungssystem oder soziale Marktwirtschaft geht am eigentlichen Problem vorbei.
Denn Staat, Parteien und Gesellschaft haben jene Ideale ja nicht gezwungenermaßen, sondern freiwillig aufgegeben und somit zur Genüge demonstriert, daß die Buchstaben des Gesetzes keinerlei Garantie gegen die Instrumentalisierung der ursprünglichen Strukturen bieten, wenn der sie belebende Geist ein anderer geworden ist.
Das einzige Mittel gegen jene Entwicklung kann daher auch nur in einem inneren Wandel der Abendländer oder wenigstens einer künftigen neuen Führungselite liegen, die sich durch Rückbesinnung auf die frühere Mission unserer Zivilisation erneut vom brutalen Materialismus des Liberalismus löst und die Akkumulation von Reichtum nicht zum Selbstzweck einer gesamten Gesellschaft werden, sondern die hierdurch freigesetzten Energien vorrangig anderen, höheren Zielen zukommen läßt.
Ob diese nun im Äußeren liegen und Schutz wie Mehrung des Abendlands beinhalten, oder im Inneren und die Verfolgung spiritueller wie künstlerischer Interessen anstreben – also jenen beiden Formen der Sublimierung, welche über Jahrhunderte hinweg die echte, innere und äußere Größe unserer Kultur ausgemacht haben.
Prof. Dr. David Engels ist Professor für Römische Geschichte in Brüssel und forscht am Posener West-Institut (Instytut Zachodni).