Erneut hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zur „Bundesnotbremse“ Treue zu denen bewiesen, die es besetzt halten: dem Parteienkartell. Der Verfassungsrechtler Dr. habil. Ulrich Vosgerau meint dazu in einem Kommentar, den wir im Folgenden ganz wiedergeben: >>Möglicherweise wird dieser einstimmig ergangene Beschluss später einmal – im Verein mit dem bekannten „Klimaschutz“-Beschluss ebenfalls des Ersten Senats – als Meilenstein der Chinesifizierung des deutschen Verfassungslebens gelten müssen.<<
Der Beitrag erschien zuerst auf tychiseinblick.de am 30.11.2021.
Die „Bundes-Notbremse“, also das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Notlage von nationaler Bedeutung vom 22. April 2021, war eine derzeit nicht mehr in Kraft befindliche, weil am 30. Juni 2021 ausgelaufene Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag als Reaktion auf den seinerzeit misslungenen „Oster-Lockdown“ erlassen hatte. In ihm wurden weitreichende Freiheitseinschränkungen, wie zum Beispiel die Beschränkung privater Zusammenkünfte, nächtliche Ausgangssperren, Schließung von Schulen, Freizeiteinrichtungen und Ladengeschäften einseitig von der Überschreitung eines sogenannten 7-Tages-Inzidenzwertes von über 100 „Neuinfektionen“ – in der Tat allerdings nur positiven Testungen, ohne jede Rücksicht darauf, ob jemand wirklich erkrankt ist und wenn ja, wie schwer – abhängig gemacht. Diese Rechtsfolgen ergaben sich unmittelbar aus dem Bundesgesetz, es war also keinerlei Prüfung der regional wirklich existierenden Gefahr durch die örtlich zuständigen Behörden vorgesehen, etwa im Hinblick auf die Fragen: Ist überhaupt jemand krank? Und: wie steht es mit der Belegung der Krankenhäuser und Intensivstationen?
Gegen die „Bundes-Notbremse“ wurden rund 900 Verfassungsbeschwerden erhoben, von denen über 700 – aus unterschiedlichen Gründen – bereits erledigt sein sollen. Das Bundesverfassungsgericht hat nun über eine Reihe der noch nicht erledigten Verfassungsbeschwerden endgültig entschieden und sie vollständig abgewiesen. Die „Bundes-Notbremse“ sei verfassungsgemäß.
Die Entscheidung überrascht insofern nicht, als die meisten dieser Verfassungsbeschwerden auch mit Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz verbunden gewesen waren, die das Bundesverfassungsgericht bereits im Mai durchweg und geradezu brüsk abgewiesen hatte. Gleichzeitig überrascht die Entscheidung aber inhaltlich. Möglicherweise wird dieser einstimmig ergangene Beschluss später einmal – im Verein mit dem bekannten „Klimaschutz“-Beschluss ebenfalls des Ersten Senats – als Meilenstein der Chinesifizierung des deutschen Verfassungslebens gelten müssen.
Was die Entscheidung mit dem Klimaschutz-Beschluss gemeinsam hat, ist die im deutschen Verfassungsrecht bislang nicht anerkannte Prämisse: Wenn niemand genau weiß, ob eine Gefahr wirklich besteht und wie groß sie sein mag, es aber staatlich geförderte Interessenten gibt, die zwecks Durchsetzung gewisser gesellschaftlicher Veränderungen enorm große Gefahren an die Wand malen, dann können Grundrechte großflächig ausgesetzt werden. Nicht der Staat muss reale Gefahren beweisen, sondern der Bürger, der seine Grundrechte ausüben will, seine Ungefährlichkeit und zwar zu denjenigen Bedingungen, die der Staat jeweils festsetzt.
Die Verwaltungsgerichte werden faktisch ausgeschaltet
Die „Bundes-Notbremse“ bricht mit allen herkömmlichen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts. Denn normalerweise ist eine Entscheidung der vor Ort zuständigen Behörden nach den Umständen des Einzelfalles aufgrund eines Gesetzes erforderlich, sodass die Maßnahmen der jeweils wirklich bestehenden Gefährdungslage angepasst werden können; und gegen die Entscheidung der vor Ort zuständigen Behörden ist der Rechtsweg gegeben.
Durch die unmittelbar durch ein Gesetz und allein aufgrund eines „Inzidenzwertes“ herbeigeführten Freiheitseinschränkungen – wobei ja ein hinreichend hoher Inzidenzwert von Behörden, die durchgreifende Freiheitseinschränkungen durchsetzen wollen, auch „herbeigetestet“ werden kann – wird demgegenüber nicht nur mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz gebrochen, sondern auch mit der Rechtsweggarantie. Denn die Verwaltungsgerichte werden faktisch ausgeschaltet, wenn die Rechtsfolge sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und keine behördliche Abwägung mehr möglich ist.
Nicht entschieden wurde heute über die Verfassungsbeschwerde unter anderem des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Florian Post, in der diese rechtsstaatliche Problematik am besten auf den Punkt gebracht worden ist. Nach den heutigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts dürfte sie aber weitgehend aussichtslos sein.
Der Erste Senat, also der Harbarth-Senat des Bundesverfassungsgerichts, entwickelt sich – ohne dass hiergegen bislang ein Aufstand der Staatsrechtslehre erkennbar würde – zum Totengräber des freiheitlichen Verfassungsstaates. Die Wiedereinführung der „Bundes-Notbremse“ wird in der Politik bereits gefordert. Wir steuern auf chinesische Verhältnisse zu. Vermutlich ist das alles nur eine Übung: Der „Ernstfall“ kommt dann im Verlaufe der nächsten zehn Jahre in Gestalt des „Klimaschutzes“. Auch hier hat der Erste Senat ja bereits den Grundstein gelegt.