Unsere neue Außenministerin Annalena Baerbock verströme bei ihrem ersten Auslandsbesuch in Frankreich „den Charme globalisierter bourgeoiser Eliten“, meint Ulf Poschardt in der Tageszeitung DIE WELT zwiespältig. Kritischer sieht sie Dr. Bruno Bandulet im Aufmacherbeitrag der aktuellen „Jungen Freiheit“ (Nr. 50/21): Ihr Habitus speise sich aus einer Mischung aus Forschheit, moralischem Dünkel und Naivität. Die SWG dokumentiert die Sichtweise von Dr. Bandulet auf die bevorstehende „grüne Außenpolitik“, die begründeten Anlass zu schweren Befürchtungen für die internationale Lage unseres Landes gibt:
Außenpolitik als Praktikum
Das Auswärtige Amt wird grün: Wie Deutschland sich auf internationalem Parkett nach Kräften blamiert
Bruno Bandulet
Wenn sie nicht hochgestapelt hätte, säße sie womöglich schon im Kanzleramt. Jetzt wird sie nur Außenministerin und die Jüngste in einer illustren Reihe, die zurückgeht bis Konrad Adenauer oder, wenn man so will, bis Otto von Bismarck. Schmeichelhafter würde ein Vergleich mit Heiko Maas ausfallen. Der machte wenig falsch, weil er wenig tat. Und um die Außenpolitik kümmerte sich ohnehin Angela Merkel.
Von Annalena Baerbock ist nicht zu erwarten, daß sie nichts tut. Sie tritt an, der deutschen Europa- und Weltpolitik einen neuen Schliff und eine andere Richtung zu geben. Ihr Habitus speist sich aus einer Mischung aus Forschheit, moralischem Dünkel und Naivität. Den Machthabern in Moskau und Peking droht sie mit einer härteren deutschen Gangart. Nordstream 2 würde sie am liebsten als Investitionsruine in der Ostsee versenken. Ihre feindselige Aversion gegenüber der nationalkonservativen Regierung in Warschau ist hinlänglich bekannt. Deutsche Außenpolitik soll künftig, so steht es auch im Koalitionsvertrag, „wertebasiert“ und den Menschenrechten sowie dem „Klima“ verpflichtet sein.
Wenn unter Außenpolitik die Vertretung nationaler Interessen zu verstehen ist, dann wird sie künftig in Berlin nicht stattfinden – falls man die blumigen Ankündigungen ernst nimmt und falls der mehr geerdete Olaf Scholz mitspielt. Die Kollision mit den Realitäten ist unvermeidlich. Wie beispielsweise soll die westeuropäische Definition von Menschenrechten inklusive LGBTQ weltweit durchgesetzt werden? Auf der Seite des Auswärtigen Amtes ist zu lesen, daß mehr als 70 Länder einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen als Verbrechen einstufen, „das mit schweren Strafen verbunden ist“. Da bleibt dem AA nichts anderes übrig, als deutschen Auslandsreisenden äußerste Zurückhaltung zu empfehlen. Auch Berlin wird die Rechtsordnung in 70 Ländern nicht umschreiben können.
Das Problem mit den Menschenrechten besteht auch darin, daß sie von der westlichen Führungsmacht gegen mißliebige Regime instrumentalisiert, im Umgang mit nicht wenigen verbündeten Regimen aber beschwiegen werden. Die Amerikaner haben eingesehen, daß sie die inneren Verhältnisse in China und Rußland nicht ändern können. Sie verfolgen ihre geopolitische Agenda. Bei aller berechtigten Kritik an den verheerenden Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen der Ära Merkel ist ihr zugute zu halten, daß sie den engen Spielraum der deutschen Politik nutzte, um zwischen den drei Großmächten zu navigieren und dabei stets die außenpolitischen Interessen der Exportnation Deutschland ins Kalkül zog. Weiß Frau Baerbock eigentlich, daß die Energiewende ohne russisches Erdgas scheitern muß oder welche Bedeutung dem Handel mit China für die deutsche Industrie zukommt?
Zu befürchten ist, daß sich Deutschland in den eskalierenden Konflikt der Vereinigten Staaten mit China und Rußland hineinziehen läßt und sich im schlimmsten Fall zwischen allen Stühlen wiederfindet. Ein Außenpolitiker in der Tradition Bismarcks wird sich immer auch in den Standpunkt der Gegenseite hineinversetzen, ohne diesen deswegen zu teilen. Die Unabhängigkeit der Ukraine, an deren Grenzen zum zweiten Mal in diesem Jahr russische Truppen aufmarschiert sind, wurde vom Kreml hingenommen, bis die Farbenrevolution auf dem Maidan in Kiew 2014 eine prowestliche Regierung installierte. In die Nato wurde die Ukraine nicht zuletzt wegen des deutschen Widerstandes nicht aufgenommen, was Washington freilich nicht daran hinderte, Militärausbilder zu entsenden, Waffen zu liefern und gemeinsame Manöver zu veranstalten.
Äußerungen Putins lassen darauf schließen, daß sich der Kreml mit einem neutralen Status des „Grenzlandes“ (so die Übersetzung des Wortes „Ukraine“) zufriedengeben würde. Putin beklagt, der Westen nutze die Ukraine als Aufmarschgebiet gegen Rußland. Die Lösung bestünde aus seiner Sicht in einer Finnlandisierung, womit das dem Westen kulturell und mental zugehörige Finnland in Zeiten des Kalten Krieges nicht schlecht gefahren ist. Es war der damalige US-Präsident George W. Bush, der den Ukrainern vor 30 Jahren riet, sich nicht von Rußland zu trennen. Jetzt ist das Land mit seiner tragischen Geschichte brutalen Pressionen ausgesetzt, ohne in einem hypothetischen Kriegsfall auf westlichen Beistand hoffen zu können.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte mit dem Satz, die Zeiten festgelegter Interessensphären seien vorbei, womit er nicht die USA gemeint haben kann. Auf lange Sicht steht Washington vor einem Dilemma. Jüngste Planspiele des Pentagon kamen zu dem Ergebnis, daß die USA und ihre Verbündeten in einem konventionellen Krieg mit Rußland oder China mit schweren Niederlagen rechnen müßten. Ein Konflikt mit beiden Großmächten gleichzeitig verbietet sich von selbst. Eine Denkschule des außenpolitischen Establishments der Ostküste empfiehlt bereits, die Kräfte auf China zu konzentrieren und einen Ausgleich mit Moskau zu suchen. Sollte sie sich irgendwann durchsetzen, wäre jeglicher Rußlandphobie in Kreisen der Berliner Koalition der Boden entzogen.
Nicht dem „Klimaschutz“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, gebührt „oberste Priorität“, sondern der Sicherung des Friedens in Europa. Daß Berlin dabei wenig in die Waagschale legen kann, ist selbstverschuldet. Die ständigen Appelle an Europa laufen ins Leere, weil die EU Außenpolitik nicht kann. Europäische Stärke ist ohne deutsche Stärke nicht vorstellbar. Mit mageren 1,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die in die deutsche Verteidigung fließen, ist die Bundeswehr hoffnungslos unterfinanziert. Ein Wille, daran etwas zu ändern, ist nicht erkennbar.
Wer soll denn Annalena Baerbock und ihre Koalitionäre ernst nehmen, wenn sie ein „dienendes Verständnis für die EU“ versprechen oder eine „Feminist Foreign Policy“ ankündigen? Der alte Profi Sergej Lawrow, der seit 2004 dem Außenministerium der Russischen Föderation vorsteht, bestimmt nicht. Auch nicht sein amerikanischer Amtskollege Antony Blinken, ein zu den Bellizisten zählender langjähriger Insider in Washington. Außenpolitik als Praktikum und „Learning by doing“ sind deren Sache nicht. Im Zweifelsfall wird die ausgewiesene Atlantikerin Baerbock den Vorgaben aus Washington folgen und dem europäischen Konglomerat aus EU-Kommission, EZB und der sich neu formierenden französisch-italienischen Achse ein „dienendes Verständnis“ entgegenbringen. Zu deutscher Souveränität und nationalen Interessen ist ihr bisher nichts eingefallen.