Die Äußerungen des „Weltärztepräsidenten“ Dr. Ulrich Montgomery zum Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes, durch welches die „G2“-Regelung im Einzelhandel des Bundeslandes gekippt wurde, schlagen hohe Wellen. Hatte Montgomery in einem Interview für „Die Welt“ den Niedersächsischen Juristen doch „Anmaßung“ vorgeworfen und sie als „kleine Richterlein“ beschimpft. Zwar sei auch scharfe Kritik an Gerichtsurteilen erlaubt, so die Meinung des „Netzwerkes kritischer Richter und Staatsanwälte“, doch offenbarten die Äußerungen des hohen Medizinfunktionärs eine erschreckende Mißachtung von Verfassung und Rechtsstaatlichkeit. Leider kein Einzelfall innerhalb der Corona-Diskussion in diesen Tagen, meinen wir. Wir geben hier den Kommentar wieder, der am 28.12.2021 auf https://netzwerkkrista.de/ veröffentlicht wurde:
Dr. Frank Ulrich Montgomery – ein Verfassungsfeind?
„Ich stoße mich daran, dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismäßig halten. Da maßt sich ein Gericht an, etwas, das sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen haben, mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit zu verwerfen.“
Diese Worte wurden in den letzten Tagen oft zitiert und oft bewertet. Ausgesprochen hat sie Dr. Frank Ulrich Montgomery in einem Interview der „Welt“ vom 26.12.2021.
Montgomery ist Radiologe und war bis 2018 als Oberarzt in der Radiologie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf beschäftigt; daneben (wobei sich aus der Quelle nicht ergibt, was Haupt- und was Nebentätigkeit war) hat er seit 1983, vier Jahre nach Verleihung seiner Approbation, diverse Positionen als Lobbyist in Organisationen des Gesundheitswesens inne; aktuell ist er unter anderem Ratsvorsitzender des Weltärztebundes. Der Ehrentitel Professor wurde ihm im Jahr 2012 vom Senat der Hansestadt Hamburg verliehen (Quelle: Wikipedia).
Dieser berufliche Werdegang scheint Dr. Montgomery – jedenfalls aus eigener Sicht – zu befähigen, sich mit besonders markigen Sprüchen wie dem oben zitierten zur Coronapolitik, zur Impfung oder neuerdings auch zur Dritten Gewalt zu äußern. Wer Montgomery bisher nicht kannte, muss das Zitat mit den „Richterlein“ vielleicht zwei- oder dreimal lesen, um sich selbst die Frage „Hat er das wirklich gesagt?“ zu beantworten. Wer aber schon früher Äußerungen dieses Herrn zur Kenntnis nehmen musste, den wundert allerdings kaum noch etwas; als Beispiele seien die ausdrückliche Billigung von Korruption im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2009 (Quelle: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fernsehauftritt-aerzte-lobbyist-verteidigt-schmiergeld-fuer-mediziner-a-649617.html) oder die aktuelle Diffamierung nicht gegen COVID-19 geimpfter Menschen („Tyrannei der Ungeimpften“) genannt.
Gewohnt ist man von Montgomery also einiges, aber seine jüngste Entgleisung hat eine neue Qualität erreicht. Sie stellt nämlich nichts weniger als einen direkten Angriff auf den Rechtsstaat dar.
Zunächst aber: Die unsägliche Bezeichnung von Akteuren der rechtsprechenden Gewalt als „Richterlein“. Diese Formulierung stellt schon für sich genommen eine völlig inakzeptable und von unerträglicher Arroganz geleitete Herabsetzung jeder Richterin und jedes Richters im Land dar. Ganz abgesehen davon, dass Montgomery im konkreten Fall einen Senat eines Oberverwaltungsgerichts, immerhin der zweithöchsten Instanz des Gerichtszweiges, beleidigt hat. Was zu der Frage führt: Wo fängt denn eigentlich für Dr. Montgomery – in Abgrenzung zum „Richterlein“ – der Richter an? Beim Bundesverfassungsgericht? Das besäße nach den jüngsten Judikaten aus Karlsruhe immerhin eine Art innere Schlüssigkeit.
Wäre diese Herabwürdigung von Berufsträgern als Individuen nichts weiter als die Flegelei, die es zweifellos ist, ließe sich die Sache unter „schlechte Kinderstube“ ablegen und mitsamt ihrem Verursacher dem Vergessen anheimgeben. Aber, wie gesagt: Darüber hinausgehend handelt es sich um eine Leugnung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, des Rechtsstaats, des Grundgesetzes.
Man lese sich den zweiten Satz dieser Aussage noch einmal Wort für Wort durch:
„Da maßt sich ein Gericht an, etwas, das sich wissenschaftliche und politische Gremien mühsam abgerungen haben, mit Verweis auf die Verhältnismäßigkeit zu verwerfen.“
Das, was nach der Idee unserer Verfassung die Kernaufgabe der Dritten Gewalt ist, nämlich die Überprüfung der Entscheidungen der Exekutive auf Rechtmäßigkeit, ist für Montgomery also eine Anmaßung. Diesen Begriff definiert der Duden als unberechtigte Inanspruchnahme. Nach Montgomery ist demnach die Kontrolle der Exekutive durch eine unabhängige Justiz etwas Unberechtigtes. Jedenfalls dann, wenn diese Justiz sich erlaubt, deren „mühsam abgerungene“ Entscheidung in Frage zu stellen. Und dann gar anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes!
Montgomery sei zugestanden, dass ihm die Ausprägungen dieses tragenden Prinzips des Rechtsstaats und dessen grundlegende Bedeutung vielleicht nicht bekannt sind und er damit nicht viel anzufangen weiß. Wäre es anders, so wäre es noch schlimmer. Wobei die Lektüre einschlägiger früherer Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sicherlich eine erhellende Informationsquelle gewesen wäre. Aber wer sich mit einem Rechtsbegriff derart offensiv in der Öffentlichkeit positioniert, ohne mit seinem Inhalt vertraut zu sein, trägt auch die Verantwortung dafür, dass er sich selbst disqualifiziert.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Selbstverständlich ist es jedermann unbenommen, Gerichtsentscheidungen zu kritisieren, und zwar auch scharf und pointiert. Montgomery hat aber mit seiner Wortwahl – rote Linien scheint es auch für ihn nicht mehr zu geben – nicht nur alle Richterinnen und Richter des Landes verhöhnt, sondern darüber hinaus die gesamte deutsche Justiz und mit ihr unsere Verfassung.
Damit sei die in der Überschrift aufgeworfene Frage schon einmal beantwortet.
War es vielleicht nur ein unbedachter Ausrutscher? Dem eine Entschuldigung folgt? Keinesfalls: Wer das fragliche Interview in Gänze liest, erfährt, dass Montgomery sich seine Provokationen von vornherein mit Bedacht auszudenken pflegt, und im konkreten Fall kann man einen Tag nach Veröffentlichung des Interviews auf der Webseite des Bayerischen Rundfunks gar Folgendes lesen: „Heftige Kritik von Juristen, aber Montgomery legt nach!“
Einen erfreulichen Aspekt hat die Angelegenheit aber doch: Zum einen haben nicht nur Juristen heftige Kritik an der Wortwahl Montgomerys geäußert, sondern solche Kritik kam auch von zahlreichen Journalisten, die sich dem Grundgesetz verpflichtet sehen, und dankenswerterweise auch von Ärzten, insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigung. Vielleicht kann sich auch der Weltärztebund dazu durchringen, sich von den Äußerungen seines Ratsvorsitzenden zu distanzieren. Montgomery dürfte sich jedenfalls als ernstzunehmender Teilnehmer am Corona-Diskurs selbst disqualifiziert haben.