Donbaß

Die Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch die Russische Föderation

von Dr. Walter Post

Auf Antrag der amerikanischen und britischen Regierung beschäftigte sich am 31. Januar 2022 der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der ukrainischen Krise. Die Sitzung verlief aber ganz anders als von Washington und London erhofft. Zunächst wehrte sich der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja nach Kräften gegen die anglo-amerikanischen Vorwürfe und fragte, wo denn die Beweise für einen Großaufmarsch der russischen Armee an der ukrainischen Grenze zu finden seien. Entsprechende Satellitenaufnahmen konnten die Vertreter Washingtons und Londons aber nicht vorlegen. Dann folgten die Stellungnahmen der Vertreter Indiens, Brasiliens, Mexikos, Gabuns, Kenias und der Vereinigten Arabischen Emirate. Die UN-Botschafter dieser Staaten lehnten nicht nur einhellig den Alarmismus der Angelsachsen ab, sondern ließen auch deutliche Sympathien für die Position Moskaus erkennen.[1] Aus amerikanischer und englischer Sicht war diese UN-Sitzung schlicht ein Fehlschlag, die westliche Presse hat deswegen auch kaum darüber berichtet.

Wladimir Putin stattete China am 4. Februar 2022 zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Beijing einen Staatsbesuch ab, bei dem er mit Staatspräsident Xi Jinping zusammentraf. Die beiden Staatschefs unterzeichneten 16 neue Verträge sowie eine 5.300 Worte umfassende gemeinsame Erklärung. In diesem ungewöhnlichen Dokument, mit dem die beiden Staaten ihre „strategische Partnerschaft“ offiziell besiegeln, fordern Rußland und China alle Staaten auf, „die von den Vereinten Nationen vorangetriebene internationale Architektur“ und die „auf internationalem Recht basierende Weltordnung“ zu schützen, die im Gegensatz zu der „auf internationalen Regeln basierenden Weltordnung“ steht, die von der Biden-Administration propagiert wird. Die von Washington vertretene „regelbasierte Weltordnung“ beruht aber nicht auf der Charta der Vereinten Nationen und dem geltenden Völkerrecht, sondern vielmehr auf den Regeln, die die amerikanischen Eliten nach eigenem Belieben aufstellen.[2] Zu der gemeinsamen russisch-chinesischen Erklärung und zur gegenwärtigen Krise in der Ukraine veröffentlichte die „Global Times“, das Sprachrohr der chinesischen Führung für das englischsprachige Ausland, ein bemerkenswertes Editorial, das eine beißende Kritik an der amerikanischen Außenpolitik enthält:

„Washington … ist am weitesten von der ukrainischen Frontlinie entfernt, aber es ist gleichzeitig am meisten an einem Krieg interessiert, während Rußland wie auch die Ukraine wiederholt erklärt haben, daß sie nicht die Absicht hätten, einen Krieg anzufangen oder ihre Probleme mittels Gewalt zu lösen. …  Jeder, der ein scharfes Auge besitzt, kann erkennen, daß die Ukraine am allerwenigsten Waffen benötigt. Wenn die USA der Ukraine Waffen verkaufen oder schenken, dann wird dies am militärischen Kräfteverhältnis zwischen Rußland und der Ukraine nichts ändern.

Was die Ukraine braucht sind friedliche und stabile Verhältnisse im Inneren wie nach Außen. Das Land muß sich auf die Entwicklung seiner Wirtschaft konzentrieren, die Lebensverhältnisse seiner Bevölkerung verbessern und die Spannungen mit Rußland abbauen. … Es muß betont werden, daß die schwierigste Aufgabe für die Ukraine derzeit darin besteht, zu verhindern, daß Benzin ins Feuer geschüttet wird, aber Washington hat wiederholt Gelegenheiten ‚geschaffen‘, um die Situation zwischen Rußland und der Ukraine eskalieren zu lassen. In diesem Zusammenhang hat auch die jüngste gemeinsame Erklärung, die China und Rußland veröffentlicht haben, amerikanische Bedenken hervorgerufen. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, ‚warnt‘ Beijing, daß falls zwischen Rußland und der Ukraine ein bewaffneter Konflikt ausbrechen sollte, dies ‚Chinas weltweite Interessen beeinträchtigen wird‘. Dieser Schritt der Vereinigten Staaten gleicht dem Versuch, mit China Erbsen zu zählen. Das chinesisch-russische Dokument enthält einen breiten Konsens und gemeinsame Forderungen, die Wirtschaft und Handel, Sicherheit, die regionale Situation und die globale Ordnung betreffen, die Ukraine wird darin nicht einmal erwähnt. Der Standpunkt Washingtons ist eindeutig zu tief, um die wirkliche Landschaft der heutigen Welt erkennen zu können. Er ist jetzt eher der eines ‚Klassenvertreters‘ des alten Denkens, der voller Stolz mit einer alten Trompete aus dem letzten Jahrhundert seine Lügen vorspielt. Sie [die amerikanischen Eliten] glauben, daß sie klüger sind als alle anderen, aber sie überschätzen sich maßlos. …  Vor diesem Hintergrund beabsichtigt Washington nach wie vor andere Länder zu schwächen und seine Hegemonie aufrecht zu erhalten, indem es Kriege anzettelt. Dies ist ein erstaunliches geopolitisches Luftschloß.“[3]

Bundeskanzler Olaf Scholz sah sich bei seinem Antrittsbesuch in Washington am 7. Februar 2022 massivem Druck ausgesetzt. Die Biden-Administration wollte von Ihm eine offizielle Erklärung des Inhalts, daß die Erdgaspipeline Nord Stream 2 im Falle eines militärischen Vorgehens Rußlands gegen die Ukraine nicht eröffnet werde. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Joe Biden wurde Scholz von den Reportern mit Fragen zu Nord Stream 2 geradezu „bombardiert“, wich aber konsequent jeder Festlegung aus. Am gleichen Tag weigerte sich auch Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in der Ukraine, sich in Sachen Nord Stream 2 in irgendeiner Form festzulegen; offenbar war Baerbock von den hohen Beamten des Auswärtigen Amtes entsprechend präpariert worden. Damit wurde deutlich, daß es der Biden-Administration in der Ukraine-Krise vor allem um die Verhinderung von Nord Stream 2 geht. Washington will gegen Berlin keine Sanktionen verhängen, weil ein derartiger Schritt gegen ein wichtiges NATO-Mitglied einen unguten Präzedenzfall schaffen würde. Stellt jedoch die deutsche Bundesregierung selbst ein Junktim zwischen der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 und einer russischen Aktion in der Ukraine her, dann genügt es, in der Ukraine eine „False Flagg“ zu inszenieren, die Berlin zwingt, die gemachte Zusage einzuhalten. Die Biden-Administration kann dann sozusagen „ihre Hände in Unschuld waschen“. Olaf Scholz steht vor dem Problem, daß die bundesdeutsche „Energiewende“ ohne Nord Stream 2 und ohne russisches Erdgas hoffnungslos zum Scheitern verurteilt ist, gleichzeitig ist dieses „Projekt“ aber eine der programmatischen Säulen der „Ampel-Koalition“. Scholz versuchte daher, eine öffentliche Stellungnahme zu Nord Stream 2 zu vermeiden, während er sich gleichzeitig den diplomatischen Vermittlungsbemühungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron anschloß und auf deren Erfolg hoffte.[4]

Macron scheint derzeit der einzige Staatschef einer der wichtigen Nationen der EU zu sein, der das Spiel der Biden-Administration durchschaut und in der Lage ist, zumindest in gewissen Grenzen eine eigenständige Politik zu verfolgen. Bei seinem Besuch am 8. Februar in Moskau dauerte sein Treffen mit Putin fast sechs Stunden, die Gespräche verliefen ebenso wie die anschließende gemeinsame Pressekonferenz in auffallend freundlicher Atmosphäre. Während Putin die Pressekonferenz nutzte, um nochmals die bekannten russischen Positionen zu unterstreichen, drückte sich Macron auffallend kompliziert aus. Liest man seine Stellungnahmen genau, gab er Putin in der Sache meistens Recht, verwischte diesen Eindruck aber durch verschlungene Formulierungen. Macron wollte offenbar nicht unnötig negative Reaktionen aus Washington und London zu provozieren.[5] Die Vermittlungsbemühungen Macrons litten allerdings darunter, daß er nie den Mut hatte, sich offen gegen Washington und London zu stellen – und daran sollte er schließlich auch scheitern.

Tatsächlich konnten Paris und Berlin eine neue Verhandlungsrunde des sogenannten „Normandie-Formats“ initiieren, wobei aber deutlich wurde, daß die ukrainische Regierung in keiner Weise bereit ist, sich auf Verhandlungen mit den Volksrepubliken Donezk und Lugansk auf Grundlage des Minsker-Abkommens einzulassen. Kiew hat das Minsker Abkommen 2015 nur wegen einer unmittelbar bevorstehenden militärischen Niederlage im Donbaß unterzeichnet und es anschließend bei jeder Gelegenheit hintertrieben, wobei es die faktische Unterstützung der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands genoß.

Ein Besuch der britischen Außenministerin Liz Truss in Moskau am 9./10. Februar brachte nicht nur keinerlei Fortschritte, sondern endete in einem diplomatischen Fiasko, über das die russische Presse – im Gegensatz zur westlichen – ausführlich berichtete. Als Liz Truss vom russischen Außenminister Sergej Lawrow gefragt wurde, ob die Britische Regierung die Souveränität der Russischen Föderation über die Städte Rostow am Don und Woronesch anerkenne, antwortete sie, daß Großbritannien dies selbstverständlich niemals tun werde. Daraufhin sah sich die neben ihr sitzende britische Botschafterin genötigt, darauf hinzuweisen, daß Rostow und Woronesch seit ewigen Zeiten zu Rußland und niemals zur Ukraine gehört hätten. Liz Truss war schon einige Tage vorher aufgefallen, als sie die Ostsee (im Englischen „Baltic Sea“) mit dem Schwarzen Meer („Black Sea“) verwechselte. Großbritannien war früher für seinen hervorragenden diplomatischen Dienst bekannt, es ist heute noch Atommacht und hat einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Eine derartige Inkompetenz von Seiten einer amtierenden Außenministerin dürfte in Moskau zweifellos einen denkbar schlechten Eindruck hinterlassen haben.[6]

Die von den amerikanischen und britischen Mainstream-Medien entfesselte antirussische Kampagne erreichte einen vorläufigen Höhepunkt am 10. Februar 2022, als in Belarus ein offiziell angekündigte gemeinsames Großmanöver russischer und weißrussischer Streitkräfte begann, das bis zum 20. Februar andauerte. Gleichzeitig begann im Schwarzen Meer gegenüber der Südküste der Ukraine ein Manöver der russischen Kriegsmarine. Die Ukraine ist damit – theoretisch – quasi von drei Seiten umfaßt, was eine Verteidigung gegen eine russische Invasion erheblich erschweren würde. Dabei ist aber zu bedenken, daß die 100.000 bis 175.000 Mann an Truppen, die Rußland derzeit  im erweiterten Grenzraum zur Ukraine stationiert hat, zwar ausreichen, kurzzeitig auf ukrainisches Territorium vorzudringen und den ukrainischen Streitkräften eine vernichtende Niederlage beizubringen, jedoch keineswegs genügen, um die gesamte Ukraine oder auch nur große Teile von ihr dauerhaft zu besetzen. Dazu wäre ein Vielfaches an Truppen nötig, die Rußland nicht ohne schwerwiegende Nachteile für seine Wirtschaft mobilisieren kann. In der Russischen Föderation herrscht Arbeitskräftemangel, was u.a. zur Folge hat, daß derzeit mehr als eine Million Ukrainer in Rußland leben und arbeiten.

Die Frage ist allerdings, welches Interesse die russische Führung unter Präsident Wladimir Putin überhaupt an einer Eroberung der Ukraine haben könnte. Die ukrainische Wirtschaft steht kurz vor dem Bankrott und wird nur noch durch amerikanische und europäische Finanzhilfen am Leben erhalten. Allein eine Vereinigung Rußlands mit den Volksrepubliken Donezk und Lugansk wäre für die russischen Finanzen eine Belastung, ein Anschluß der gesamten Ukraine unbezahlbar. Die Russische Föderation ist mittlerweile – nach realer Kaufkraft gerechnet – zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen[7] und hat mindestens in den großen Städten einen allgemeinen Lebensstandard erreicht, wie es ihn in der russischen Geschichte bisher noch nie gegeben hat. Besucher berichten, daß Moskau sich heute auf dem gleichen Niveau befindet wie Paris. Der Rückhalt der Russischen Regierung in der Bevölkerung beruht zu großen Teilen darauf, daß sie diesen erreichten Wohlstand schützt und erhält. Tatsächlich betont die russische Regierung seit Wochen, daß sie weder irgendwelche Drohungen gegen die Ukraine ausgesprochen hat noch Invasionspläne hegt, dies seien nichts als westliche Phantasieprodukte.

Am 10. Februar hatte der Nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, auf einer Pressekonferenz in Washington den Beginn der russischen Invasion der Ukraine für den 16. Februar angekündigt. Als Grundlage für diese Voraussage gab er nicht näher bezeichnete geheimdienstliche Quellen an. Bundeskanzler Scholz reiste am 15. zu einem Treffen mit Wladimir Putin nach Moskau, was wenig Sinn gemacht hätte, wenn Scholz wirklich an einen Kriegsbeginn am folgenden Tag geglaubt hätte. Der russische Verteidigungsminister Armeegeneral Sergei Schoigu absolvierte an diesem Tag einen Staatsbesuch in Syrien, wo er mit Staatspräsident Baschar al-Assad zusammentraf – ein Verteidigungsminister verreist nicht, wenn er den Oberbefehl über die Invasion eines anderen Staates ausüben soll.[8] Die von Jake Sullivan und der US-Regierung genannten Daten über einen Kriegsbeginn und deren laufende Verschiebung weist unzweideutig darauf hin, daß dies nur die „Sahnehäubchen“ einer massiven antirussischen Propagandakampagne sind. In Moskau beginnt man sich bereits über die ständige Verschiebung des Kriegsbeginns offiziell lustig zu machen.

Bei einem Telephonat zwischen US-Präsident Joe Biden und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 13. Februar kam es zu offenem Streit, da Selenskyj nicht bereit war, sich der Einschätzung amerikanischer Geheimdienste anzuschließen, wonach ein russischer Einmarsch in der Ukraine unmittelbar bevorstehe. Selenskyj machte Biden darauf aufmerksam, daß die von der westlichen Presse geförderte Kriegshysterie der ukrainischen Wirtschaft mittlerweile massiven Schaden zufüge. Westliche Investoren würden in der Ukraine nicht mehr investieren, die Ukraine erhalte auf den freien Finanzmärkten keine Kredite mehr, und es drohe ein Banken-Run.

Tatsächlich nehmen die amerikanische und die britische Regierung auf die Ukraine und ihre Bevölkerung inzwischen denkbar wenig Rücksicht. Die westliche Presse veröffentlichte Artikel, laut denen die ukrainische Bevölkerung bereit sei, bis „zum letzten Mann“ gegen eine russische Invasion zu kämpfen. Gleichzeitig erklären die USA und ihre NATO-Verbündeten aber, daß sie unter keinen Umständen eigene Truppen in die Ukraine schicken und für die Ukraine keinen Krieg gegen Rußland führen werden. Auch ist die Militär- und Finanzhilfe für Kiew als eher begrenzt zu bezeichnen.

Die USA  haben seit dem 14. Februar 2022 ihr Botschaftspersonal sowie ihre CIA-Station aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew abgezogen und die Computer und Kommunikationseinrichtungen in ihrer Botschaft zerstört. Neuer Sitz der amerikanischen Botschaft ist die Stadt Lwiw (zu Zeiten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie Lemberg) in der Westukraine nahe der polnischen Grenze. Diesem Beispiel sind seither mehr als 40 Staaten gefolgt, darunter Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Japan, Israel, Deutschland, Italien u.a. Die meisten ukrainischen Oligarchen haben Kiew in Richtung Westen verlassen. Der zivile Luftverkehr über der Ukraine ist großenteils zum Erliegen gekommen, da die großen internationalen Versicherungsgesellschaften in Erinnerung an das Schicksal des Fluges MH 17 sich weigern, die Flüge zu versichern. Es gibt mittlerweile Gerüchte, daß die ukrainische Regierung mit allen Ministerien ihren Sitz nach Lwiw verlegt werden soll. Dies könnte darauf hindeuten, daß man in Washington und London bereits plant, die Ost- und Westukraine aufzugeben und einen ukrainischen Rumpfstaat mit der Hauptstadt Lwiw im ehemaligen Galizien zu schaffen. Am 21. Februar, wurde bekannt, daß die USA den Stab ihrer Botschaft von Lwiw weiter in ein Hotel in Polen verlegt hat.[9]

In diesen Tagen wurden vermehrt Duelle mit Handfeuerwaffen, Mörsern, und leichter Artillerie entlang der „Kontaktlinie“ im Donbaß gemeldet. Die Führungen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk haben daraufhin die Zivilbevölkerung – Frauen, Kinder und Alte – aufgefordert, sich über die Grenze nach Rußland nach Rostow am Don evakuieren zu lassen und gleichzeitig die Generalmobilmachung angeordnet.

Seit der Pressekonferenz vom 10. Februar warnt die US-Regierung vor einer „False-Flag“- Operation in der Ukraine, die Rußland einen Vorwurf für eine Invasion liefern soll. Es besteht jedoch der dringende Verdacht, daß die Amerikaner selbst eine „False Flag“ inszenieren wollen, um die russische Führung zu bewegen, in der Ukraine zu intervenieren, um anschließend ihre Sanktionspolitik einschließlich der Verhinderung von Nord Stream 2 durchziehen zu können.

Was die westlichen Waffenlieferungen betrifft, so stellt Kiew es heute so dar, als ob die ukrainischen Streitkräfte aufgrund des Unverständnisses der westlichen Staaten an einem akuten Mangel an Waffen und militärischen Ausrüstungen aller Art leiden würden. Dies ist allerdings etwas merkwürdig, denn bei der Unabhängigkeit 1991 erbte die Ukraine von der Sowjetarmee etwa 30 Prozent von deren Ausrüstung. Dies umfaßte u.a. etwa 7.000 gepanzerte Fahrzeuge, 6.500 Panzer, 2.500 taktische Raketen, 1.500 Flugzeuge, 1.272 Nuklearraketen und 350 Schiffe. Die Ukraine und die NATO schätzen, daß die Sowjetarmee etwa 2,5 Millionen Tonnen konventioneller Munition in der Ukraine zurückgelassen hat, dazu mehr als 7 Millionen Gewehre, Pistolen, Mörser und Maschinengewehre.[10] Wo sind diese Riesenmengen geblieben? Das Argument, daß dieses Material mittlerweile veraltet sei, überzeugt nicht. Die russischen Streitkräfte sind zum größten Teil mit dem gleichen Kriegsmaterial ausgerüstet, das allerdings gut gewartet und technisch modernisiert worden ist. Man kann sich des Verdachts nicht erwehren, daß die ukrainischen „Eliten“ das alte sowjetische Kriegsmaterial entweder haben verrotten lassen oder es aber auf dem internationalen Waffenmarkt verkauft haben. Dies wirft die Frage auf, ob die jetzt vom Westen gelieferten Waffen nicht in absehbarer Zeit ebenfalls auf den internationalen Märkten auftauchen werden.

Die Beziehungen zwischen Belarus und der Russischen Föderation haben sich mittlerweile so intensiviert, daß man praktisch schon von einer Union der beiden Staaten sprechen kann. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko nahm am 19./20. Februar an der Seite von Präsident Putin an einer Übung der strategischen Raketentruppen der russischen Streitkräfte teil, was als außerordentliche Ehre und großer Vertrauensbeweis anzusehen ist.[11]

Auf der traditionellen Münchner Sicherheitskonferenz am 18. – 20. Februar 2022 kündigte die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen an, daß die EU-Kommission in Brüssel die Energieversorgung der EU künftig stärker diversifizieren und von Rußland unabhängig machen wolle, was bereits kurzfristig möglich sei. Angesichts der Tatsache, daß die EU 40 Prozent ihres Erdgases und 25 Prozent ihres Erdöls aus Rußland importiert und entsprechende Mengen auf dem Weltmarkt außerhalb Rußlands überhaupt nicht verfügbar sind, ist hier einige Skepsis angebracht. Bundeskanzler Scholz hat in seiner Rede eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bis auf weiteres ausgeschlossen, während Bundesaußenministerin Baerbock entgegen den Bemühungen von Scholz einen Zusammenhang zwischen einer Eskalation der Lage in Ukraine und der Verhinderung von Nord Stream 2 hergestellt hat. Mit den Reden von der Leyens und Baerbocks ist Nord Stream 2 jetzt praktisch auf Eis gelegt.

Die Auftritte von Scholz sowohl in Moskau als auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz wirkten insgesamt nicht sehr überzeugend. Als Scholz bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wladimir Putin erklärte, daß es seit 1945 in Europa keinen Krieg mehr gegeben habe, verwies Putin auf den Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999, der mit einem angeblichen „Völkermord“ der Serben an den Albanern begründet wurde. Nach diesen Maßstäben gemessen, so fuhr Putin fort, könne man auch von einem „Völkermord“ im Donbaß an den dortigen Russen sprechen. Scholz machte nun den Fehler, zu erklären, daß es im Donbaß keinen Völkermord gebe; eine derartige Aussage ausgerechnet von einem deutschen Spitzenpolitiker trifft nach wie vor gewisse russische Empfindlichkeiten, die auf den Zweiten Weltkrieg zurückgehen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz machte Scholz diesen Fehler erneut, was die Sache nicht besser machte.[12]

Am Montag, dem 21. Februar, tagte dann der Nationale Sicherheitsrat der Russischen Föderation im großen Katharinensaal des Kreml. Präsident Wladimir Putin ist Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats, dem obersten Entscheidungsgremium Rußlands, in dem das Außenministerium, die Streitkräfte, die Sicherheitsdienste, die Wirtschaft, praktisch die gesamte Elite des Landes vertreten ist. Die Tagung war öffentlich und wurde im russischen Fernsehen übertragen. Ältere Russen werden sich noch daran erinnern, daß im Katharinensaal Stalin während des Zweiten Weltkrieges ausländische Staatschefs empfing und später das Zentralkomitee der KPdSU dort tagte. Die Reden der Teilnehmer der Tagung des Nationalen Sicherheitsrats waren gespickt mit literarischen und historischen Bezügen, insbesondere mit Hinweisen auf die Schlachten um Kursk und um den Donbaß 1943. Die zentrale Frage war die völkerrechtliche Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch die Russische Föderation. Das Gremium kam einstimmig zu der Auffassung, dem Präsidenten der Russischen Föderation die Anerkennung zu empfehlen. Putin nahm diesen Vorschlag an und hielt kurz nach der Sitzung eine einstündige und sehr bemerkenswerte Rede an die russische und internationale Öffentlichkeit. Diese Rede wird von den westlichen Medien völlig verzerrt dargestellt, tatsächlich sind Putins Ausführungen insbesondere zur Geschichte der Ukraine durchaus zutreffend. Der russische Präsident trug u.a. eine detaillierte und harsche Kritik an der Nationalitätenpolitik Lenins und der Bolschewiki vor, die zu der gegenwärtigen Misere der Ukraine entscheidend beigetragen habe. Aus der Rede geht deutlich hervor, daß für Putin der historische Bezugspunkt der Russischen Föderation nicht die Sowjetunion, sondern das Russische Reich ist.[13] Es ist seit langem bekannt, daß Putin persönlich große Sympathien für die russischen Kaiser Peter I., genannt der Große, und Alexander III. hegt.

Unmittelbar im Anschluß an seine Rede unterzeichnete Putin die Dokumente zur Anerkennung der Volksrepubliken und kündigte an, daß Rußland der Bitte von Donezk und Lugansk um militärische Hilfe nachkommen werde. Vom Minsker Abkommen, so Putin, sei aufgrund der konsequenten Sabotage des Abkommens durch die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer nichts mehr zu erwarten. Noch in der gleichen Nacht feierte die Bevölkerung in Donezk und Lugansk Freudenfeste. Die Eile, mit der die Anerkennung der Volksrepubliken durch Rußland vollzogen und militärische Beistandsverträge unterzeichnet wurden, geht auf die sich zuspitzende militärische Lage zurück. In den letzten Tagen hatte der Artilleriebeschuß durch die ukrainische Armee dramatisch zugenommen, die Gerüchte über eine bevorstehende Offensive der Ukrainer gegen Donezk und Lugansk sich verdichtet.

Die Anerkennung der beiden Volksrepubliken und die Verstärkung der lokalen Milizen durch die russische Armee zielen nach der offiziellen Darstellung Moskaus auf eine Stabilisierung der gefährlichen militärischen Situation im Donbaß ab, sie sind keineswegs als der Beginn einer Invasion der Ukraine anzusehen. Zu dieser Intervention ist Rußland von der politischen Führung der beiden Volksrepubliken ausdrücklich gebeten worden, womit die Moskauer Intervention völkerrechtlich auf einer soliden Grundlage steht.

Die diplomatische Anerkennung von Separatisten ist in der Praxis fast immer umstritten, das Völkerrecht läßt hier tatsächlich einen breiten Spielraum, egal was westliche Politiker und Journalisten derzeit dazu verkünden. Das von US-Präsident Woodrow Wilson 1918 im Rahmen seiner 14 Punkte verkündete „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist ein Grundaxiom der Charta der Vereinten Nationen. Die Volksrepubliken Donzek und Lugansk wurden am 7. und 27. April 2014 ausgerufen und haben am 11. Mai 2014 eine Volksbefragung durchgeführt, bei der die große Mehrheit für die Unabhängigkeit von der Ukraine stimmte. Die Durchführung der Referenden und die Abstimmungsergebnisse, sind international heftig umstritten. Nach acht Jahren eines kriegerischen Dauerkonflikts sind die beiden Volksrepubliken aber schlicht eine Realität geworden, und die Frage der diplomatischen Anerkennung ist eine rein politische Entscheidung. Diesen Schritt hat die Russische Föderation jetzt vollzogen. Die völkerrechtlich ebenfalls umstrittene Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien wird von 26 Mitgliedstaaten der NATO und 22 Mitgliedstaaten der EU anerkannt.

Am Abend des 22. Februar 2022 erklärte Präsident Wladimir Putin, daß die Russische Föderation die beiden Volksrepubliken in den administrativen Grenzen der früheren ukrainischen Oblaste (Verwaltungsbezirke) Donezk und Lugansk anerkenne, was mehr als das Doppelte ihres gegenwärtigen territorialen Umfangs ausmacht. Putin fügte hinzu, daß man darauf hoffe, daß alle strittigen Fragen – auch die territorialen – in Verhandlungen zwischen den Volksrepubliken und Kiew gelöst werden.[14] Die Ukraine würde damit jedoch insgesamt ein Viertel ihres gegenwärtigen Staatsgebiets verlieren, und es ist schwer vorstellbar, daß Kiew dem zustimmt.

Mit diesen Schritten der Russischen Föderation sind angesichts der Hysterie in den westlichen Hauptstädten Sanktionen unvermeidlich, die Frage, ob Nord Stream 2 in Betrieb genommen wird, so gut wie entschieden. Dazu passend berichtete der russische Energiekonzern Gazprom, daß die europäischen Gasspeicher so gut wie leer seien und Europa spätestens im nächsten Winter vor einer schweren Energiekrise stehen werde.[15] Dafür hat die gleichzeitige Krise in der Ukraine und auf dem weltweiten Energiemarkt mittlerweile zu einem Anstieg des Ölpreises auf 100 Dollar/Barrel geführt, was die russischen Finanzeinnahmen geradezu sprudeln läßt.[16]

Die offizielle Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk durch Rußland dürfte in der Ukraine erhebliche Rückwirkungen haben, ein Sturz der Regierung Selenskyj und ein Zerfall des ukrainischen Staates in mehrere autonome Gebiete liegt durchaus im Bereich des Möglichen. Inwieweit Rußland bereit ist, das dann entstehende Machtvakuum auszufüllen, ist eine offene Frage. Die Ukraine ist derart heruntergewirtschaftet, daß eine ökonomische Sanierung eigentlich nur im Rahmen eines ost-westlichen Gemeinschaftsprojekts möglich ist.[17] Im Falle eines Systemkollaps in der Ukraine werden sich die russischsprachigen Gebiete, wie z. B. die um Charkow, Cherson, Mariupol oder Odessa sehr wahrscheinlich nach Rußland orientieren.

Eine Restukraine bestehend aus den Gebieten westlich des Dnjepr einschließlich des ehemaligen Galizien ist für die USA , die NATO und die EU wirtschaftlich und strategisch nahezu wertlos.

 

[1] Security Council on Ukraine | United Nations (31 Jan 2022); https://www.youtube.com/watch?v=y7-LZz4J87k

[2] Joint Statement of the Russian Federation and the People’s Republic of China on the International Relations Entering a New Era and the Global Sustainable Development, President of Russia, 4. Februar 2022; http://en.kremlin.ru/supplement/5770; China and Russia solidify alliance in Beijing, The Duran, 9. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/ZE_5NNdr-zw/

[3] Furthest from Ukraine frontline, Washington is most eager for war: Global Times editorial, 7. Feburar 2022; https://www.globaltimes.cn/page/202202/1251577.shtml; Übersetzung aus dem Englischen durch den Verfasser

[4] Biden’s Ukraine war is about keeping Germany down, The Duran, 9. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/INtPTPyH0bE/

[5] Macron in Moscow Accepts Need for Security Guarantees, Supports Full Implementation of Minsk Accord, Alexander Mercouris, 9. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/BrZ-LJGzDQs/

[6] UK FM Liz Truss Moscow Trip Turns to Farce, Lavrov Gives Stern Lecture in Reply, Alexander Mercouris, 9. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/agXCXRdVhUw/

[7] Liste der Länder nach Bruttoinlandsprodukt, Schätzungen des IWF für 2019 (Stand Oktober 2020), rechte Tabelle; 2019 lag Rußland noch knapp hinter Deutschland, dürfte es aber zwischenzeitlich überholt haben; https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_%C3%A4nder_nach_Bruttoinlandsprodukt

[8] Russian Defence Minister Sergei Shoigu meets with Syrian President Bashar al-Assad in Damascus, Ministry of Defence of the Russian Federation, 15. Februar 2022;

https://eng.mil.ru/en/news_page/country/more.htm?id=12409058@egNews

[9] US Evacuates Ukraine Embassy Staff To Poland Zerohedge 22. Februar 2022; https://www.zerohedge.com/political/us-evacuates-ukraine-embassy-staff-poland

[10] Armed Forces of Ukraine; https://en.wikipedia.org/wiki/Armed_Forces_of_Ukraine

[11] Donbass Shelling Continues, Russia Deploys to Belarus, Western Leaders Make Speeches in Munich, Alexander Mercouris, 20. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/cueDvVBwLig/

[12] Ukraine Shelling Escalates, Scholz Rules Out Ukraine NATO, Putin Says Sanctions ‚Inevitable‘, Alexander Mercouris, 19. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/1zut_kqXMLg/

[13] Address by the President of the Russian Federation, The Kremlin, Moscow 21. Februar 2022; http://en.kremlin.ru/events/president/news/67828

[14] Putin: Volksrepubliken in früheren Verwaltungsgrenzen anerkannt , RT 22. Februar 2022;

https://de.rt.com/international/132204-putin-volksrepubliken-sind-in-fruheren-grenzen-anerkannt/

[15] Russia Moves to Recognise Donbass Republics as Shelling Continues and Diplomacy Flounders, Alexander Mercouris 21. Februar 2022; https://www.bitchute.com/video/lA3lGR-_sc8/

[16] Ebenda

[17] Clifford G. Gaddy and Barry W. Ickes, Ukraine: A Prize Neither Russia Nor the West Can Afford to Win, 22 Mai 2014; https://www.brookings.edu/articles/ukraine-a-prize-neither-russia-nor-the-west-can-afford-to-win/

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