Krim 1941/42

Der Krimfeldzug der 11. Armee unter Generaloberst Erich von Manstein 1941/42.

Wie man durch Angriffsgeist, Willen zum Sieg, kühne Entscheidungen, klare Schwerpunktbildung und  Risikobereitschaft eine vielfach überlegene Streitmacht schlägt. Ein kriegsgeschichtliches Beispiel.

Von Stephan Ehmke

Ausgangslage:

Die Ostfront verlief im 2. Halbjahr 1941 von Leningrad über Moskau, Belgorod, Isjum bis nach Rostow am Don. Die Zeit der großen deutschen Siege in Kesselschlachten war vorbei, der sowjetische Widerstand versteifte sich.

Die Krim mit der Festung Sewastopol mußte weggenommen werden, da der dortige Feind die rechte deutsche Flanke bedrohte und als ein „Flugzeugträger“ gegen die Ölgebiete in Rumänien diente. Zudem war Sewastopol der Eckpfeiler der sowjetischen Seeherrschaft über das Schwarze Meer.

Mit der Wegnahme der Krim wurde die 11. Armee unter Generaloberst Erich von Manstein beauftragt. Sie bestand am Beginn der Operationen aus 2 Armeekorps mit 6 Infanteriedivisionen (keine Panzer) sowie 2 rumänischen Brigaden. Ihnen gegenüber standen 12 sowjetische Divisionen. Die Luftüberlegenheit hatten die Russen, die Deutschen waren bei der Artillerie überlegen.

Die erste Herausforderung bestand im Durchstoßen der Landenge von Perekop, dem einzigen Zugang zur Krim. Trotz hartnäckiger sowjetischer Verteidigung gelang der Durchbruch durch kräftiges Zupacken am 28. Oktober 1941. Danach kam es darauf an, den zurückweichenden Gegner energisch zu verfolgen, um ihm das Erreichen der Festung Sewastopol im Süden und die Sperrung der Halbinsel Kertsch im Osten zu verwehren.

Gegen Kertsch setzte Manstein das neu eingetroffene 42. Armeekorps mit 3 Divisionen an; das 30. Armeekorps mit 2 Divisionen wurde gegen Simferopol, das 54. Armeekorps mit ebenfalls 2 Divisionen gegen Sewastopol eingesetzt.

Die Schnelligkeit und das energische Zupacken der deutschen Verbände verhinderten es, daß sich der Feind erneut festsetzen konnte. Am 16.11.1941 war die Krim außer Sewastopol in deutscher Hand. Nur geringe Kräfte des Gegners konnten den Festungsbereich erreichen bzw. über die Straße von Kertsch entkommen.

Der nächste Schritt bestand in der Einschließung und Eroberung der Festung Sewastopol. Da hier alle Vorteile auf Seiten des Gegners lagen (insbesondere der freie Zugang von See her), mußte Manstein alle Kräfte der 11. Armee (7 Divisionen) hier einsetzen. Für die Sicherung der Halbinsel Kertsch verblieb lediglich eine Division; die beiden rumänischen Brigaden wurden für Überwachungs- und Sicherungsaufgaben eingesetzt. Im Festungsbereich standen 9 russische Divisionen.

Am 17. Dezember wurde der Sturm auf Sewastopol mit massiver Artillerievorbereitung eingeleitet. Der Angriff erfolgte zeitgleich im Norden (hier Schwerpunkt) und Süden (Entlastungsangriff) mit je einem Armeekorps.

Der schwungvoll vorgetragene deutsche Angriff führte im Norden zu raschen Erfolgen – wenn auch unter hohen Verlusten -, gegen die hartnäckigen Verteidiger. Am 26. Dezember 1941 war die Sewernaja-Bucht mit dem Hafen von Sewastopol in Reichweite. In diesem Moment traf beim Armeeoberkommando die Nachricht von der Landung starker sowjetischer Verbände auf der Halbinsel Kertsch ein, gegen die sich die dortigen deutschen Sicherungskräfte auf Dauer nicht würden halten können.

Da auf diese Weise der Rücken der 11. Armee bedroht war, mußte sich Generaloberst von Manstein schweren Herzens entscheiden, den Angriff auf Sewastopol abzubrechen und starke Teile in Richtung Osten in Marsch zu setzen. Gegen den ausdrücklichen Befehl des Armeeoberkommandos ordnete der Kommandeur der deutschen Division in Kertsch, Graf von Sponeck, die Räumung der Halbinsel an, was die Lage der Deutschen noch verschärfte. Sponeck wurde seines Kommandos enthoben und von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt, was nach Eingreifen Mansteins in eine Festungshaft umgewandelt wurde.

In Eilmärschen wurden zwei deutsche Armeekorps gegen die sich weiter verstärkenden Sowjets nach Kertsch geschickt. Dem Feind kam zugute, daß die Straße von Kertsch völlig zugefroren und für schwere Fahrzeuge passierbar war. Der deutschen Seite wurde zum Vorteil, daß die russischen Truppen nicht rasch und energisch nach Westen vorstießen, sondern erst weitere Verstärkung abwarten wollten. Am 15. Januar 1942 startete der deutsche Gegenangriff, zwei Tage später war die Stadt Feodosia genommen.

Um die Kräfte der deutschen Truppen, die von den vorangegangenen Märschen und Kämpfen erschöpft waren, nicht zu überspannen, mußte Manstein zunächst von einer Rückeroberung der gesamten Halbinsel Kertsch absehen und sich mit einer Abriegelung in der Enge von Parpatsch begnügen, wohl wissend, daß dies keine Lösung sein konnte, da der Gegner zweifellos weitere Versuche einer Gegenoffensive unternehmen würde.

Erwartungsgemäß landeten die Russen in den folgenden Wochen sowohl auf der Halbinsel Kertsch als auch in Sewastopol frische Kräfte an. Der Gegner gewann an Kräften zunehmend die Überhand. Bis April 1942 unternahmen die sowjetischen Truppen zahlreiche Angriffe gegen die deutsche Verteidigung, wurden aber stets unter hohen Verlusten abgewiesen.

Mit dem Ende des Winters mußte gehandelt werden, um noch eine Chance zu haben, die Krim vom Feind zu säubern. Inzwischen hatten sich die Sowjets auf drei Armeen verstärkt. In Sewastopol befand sich die russische Küstenarmee mit 7 Divisionen, auf Kertsch zwei weitere feindliche Armeen mit 17 Divisionen und zwei Panzerbrigaden. Dagegen standen vor Sewastopol ein deutsches Armeekorps mit 3 Divisionen sowie vor Kertsch 5 deutsche Infanteriedivisionen sowie eine neu hinzugestoßene Panzerdivision.

Trotz der eheblichen Übermacht des Gegners war der Versuch zu unternehmen, die Halbinsel Kertsch vom Feind zu säubern. Es entstand der Plan für das kühne Unternehmen  „Trappenjagd“. Eingesetzt wurden zwei Armeekorps nebeneinander. Das 42. Armeekorps im Norden der Enge von Parpatsch hatte zunächst mit zwei Divisionen einen Frontalangriff gegen die russischen Stellungen zu unternehmen, um den Gegner zu fesseln. Im Süden sollte das 30. Armeekorps mit 3 Infanteriedivisionen und der Panzerdivision den Feind durchstoßen, danach einerseits nach Norden einschwenken und die Masse des Gegners in Flanke und Rücken fassen sowie andererseits mit den Panzerkräften schnell nach Osten in Richtung Kertsch vorstoßen, um ein Ausweichen und erneutes Festsetzen des Gegners zu verhindern. Als Überraschungsmoment war ein Landungsunternehmen mit Sturmbooten im Rücken des Feindes eingeplant. Wirksame Luftunterstützung sollte der Angriff durch Kräfte des 8. Fliegerkorps unter General Wolfram Frh. Von Richthofen erhalten.

Angesichts des an Kräften sehr überlegenen Gegners war es ein kühnes Unternehmen, zumal gegen die starken Kräfte im Rücken in Sewastopol nur eine schwache Sicherung belassen werden konnte. Doch Kühnheit und Risikobereitschaft zahlten sich aus, ebenso wie die überlegene deutsche Führung, die Eigeninitiative jedes einzelnen Führers sowie die Entschlossenheit der Truppe und der unbedingte Wille zum Sieg.

„Trappenjagd“ wurde ein voller Erfolg. Nach Plan wurde die Masse der feindlichen Truppen bereits in der Enge von Parpatsch eingekesselt und vernichtet. Der rasche Vorstoß der Panzer nach Westen überraschte den Gegner völlig und ließ ihm keine Gelegenheit zur Reaktion. Die Schlacht begann am 8. Mai 1942 und endete zehn Tage später mit der Einnahme des Hafens von Kertsch. Der deutsche Sieg war vollkommen. 170.000 Russen waren gefangengenommen worden, 1.200 Geschütze und 258 Panzer in deutsche Hand gefallen.

Zu weiteren Landungsversuchen der Sowjets auf der Krim kann es nicht mehr. Nun mußte zum letzten Akt des Dramas angetreten werden, der endgültigen Eroberung der Festung Sewastopol. Zu diesem Zweck war nun die große Masse der Kräfte der 11. Armee frei geworden: Zwei Armeekorps mit 7 deutschen und einer rumänischen Division, im Ganzen etwa 200.000 Soldaten. Zusätzlich war die deutsche Artillerie erheblich verstärkt worden, einschließlich schwerer und schwerster Festungsartillerie (600 Geschütze). Das gesamte 8. Fliegerkorps stand für die Luftunterstützung bereit (600 Flugzeuge). In der Festung Sewastopol befanden sich rund 140.000 russische Verteidiger in starken Forts, Stellungen und Bunkern.

Vom 27. Mai bis 7. Juni wurde die Festung mit Artillerie und aus der Luft angegriffen und „sturmreif“ geschossen. Der Angriff der Bodentruppen begann anschließend von Norden (Schwerpunkt) und Süden (Angriff zur Fesselung des Gegners). Bis zum 17. Juni 1942 waren die stärksten russischen Befestigungen genommen. Einen Tag später erreichten die Angreifer die Sewernaja-Bucht, nahmen Inkerman und den Sapun-Berg. Die deutsche Luftherrschaft verhinderte unterdessen weitere Verstärkungen des Gegners von See her. Am 29. Juni 1942 drangen deutsche Kräfte in die Stadt Sewastopol ein. Mit der Einnahme der Halbinsel Chersones am 4. Juli 1942 war die Eroberung der Krim abgeschlossen. Mit Wirkung vom 1. Juli 1942 wurde Erich von Manstein zum Generalfeldmarschall ernannt.

Auf sowjetischer Seite fielen bei der Verteidigung Sewastopols 10.000 Soldaten, knapp 100.000 gingen in deutsche Kriegsgefangenschaft. Auf deutscher Seite fielen 4.300 Mann, 74.000 wurden verwundet.

Die deutschen Operationen auf der Krim 1941/42 waren von beständiger zahlenmäßiger Unterlegenheit und großen Versorgungsschwierigkeiten geprägt. Bis zum Unternehmen „Trappenjagd“ fehlten zudem Panzer und eine ausreichende Luftunterstützung. Bis zum zweiten Angriff auf Sewastopol beherrschte die sowjetische Flotte das Schwarze Meer. Daß der deutsche Angriff dennoch zum Erfolg wurde, lag an der überlegenen Führung, insbesondere dem Führen nach Auftrag, dem Angriffsgeist der Truppe, der Entschlußfreude der Führer aller Ebenen und die Risikobereitschaft des Armeeoberkommandos, welche Kühnheit mit realistischer Abschätzung der Möglichkeiten verband und daher nicht Hazard spielte. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Hingabe und der Wille aller Soldaten, das Letzte aus sich herauszuholen, traten hinzu. Die Operationsführung war durch klare Schwerpunktbildung, Beweglichkeit und Geschwindigkeit geprägt. Im Zentrum stand das beherzte „Zupacken“, die energische Ausnutzung von Chancen und Möglichkeiten, das stete „dem Gegner zuvorkommen“.

Diese Art der Führung in der Tradition der preußischen und deutschen Armeen wurde durch Erich von Manstein besonders verkörpert. Er war nach Meinung (nicht nur) des Autors dieses Beitrages der beste Heeresgeneral, über den die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verfügte. Bereits der kühne Plan des Angriffs auf Frankreich 1940 mit dem Stoß durch die Ardennen und den „Sichelschnitt“ bis zum Ärmelkanal ging auf seinen klugen Kopf zurück. In Manstein vereinten sich die höchsten Tugenden des Soldatentums mit einem messerscharfen Verstand, Weitsicht und eine beständige Fürsorge für die Truppe. Ohne ihn wäre auch ein Erfolg auf der Krim kaum denkbar gewesen.

Leider wurden die Fähigkeiten Mansteins durch die oberste Führung damals nicht in ausreichendem Maße erkannt und genutzt. Wäre Manstein der Oberbefehl an der Ostfront anvertraut worden und hätte er dort ohne Einmischung und Übersteuerung von oben wirken können, wäre der Feldzug dort anders verlaufen. Deutschland hätte zwar den Krieg nicht gewonnen, wohl aber wären höchstwahrscheinlich viele schwere Verluste vermieden worden.

 

Literatur:

Manstein, Erich von: Verlorene Siege. Bonn 1955.

Kurowski, Franz: Sewastopol. Der Angriff auf die stärkste Festung der Welt 1942. Wölfersheim-Berstadt 2002.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert