Unabhängig von den politischen Implikationen hat die Räumung der Region Cherson durch Rußland keine operative Dimension. Sie stellt weder eine Entscheidung noch eine Vorentscheidung im Krieg dar. Sie kann vielmehr als eine taktische Frontbegradigung angesehen werden.
Zur Zeit sieht es nicht so aus, als sei die ukrainische Seite in der Lage, den Erfolg von Cherson auszunutzen, z.B. durch einen Übergang über den Dnjpr mit dem Ziel, am linken Ufer des Flusses einen Brückenkopf zu bilden. Dies wird seine Ursachen in der Erschöpfung der Truppen haben.
Auf der anderen Seite ist unklar, welche Absichten das russische Oberkommando jetzt verfolgen wird. Zweifellos sind durch die Frontbegradigung am Frontabschnitt Cherson Truppen in nennenswerter Stärke freigeworden, die an anderer Stelle eingesetzt werden können.
Derzeit sieht es nach der Fortsetzung des Stellungskrieges an der Hauptkampflinie aus mit dem Ziel von beiden Seiten, Geländevorteile in überschaubarem Maße zu erringen und den Gegner weiter abzunutzen. Der einbrechende Winter wird Bodenoperationen – wie bereits mehrfach erwähnt – zunehmend erschweren.
Heute haben die russischen Streitkräfte die Luftangriffe auf Ziele in ukrainischen Städten wiederaufgenommen, nachdem fast zwei Wochen Ruhe geherrscht hatte. Beobachter werten dies als Reaktion auf die Äußerungen Selenskis auf dem G20-Gipfel, die Ukraine werde keine Verhandlungen führen, sondern weiterhin den Sieg auf dem Schlachtfeld anzustreben.
Auf weitere Sicht wird abzuwarten sein, inwieweit der Westen seine massiven Hilfen an die Ukraine fortsetzen kann. Ebbt der Geld- und Waffenstrom ab, wird die Ukraine nicht mehr in der Lage sein, den Krieg fortzusetzen. Insofern bleibt der Vorteil auf Seiten der Russen, denen aufgrund ihrer Ressourcen grundsätzlich ein größeres Durchhaltevermögen unterstellt werden kann. Auch weiterhin liegt bei Rußland die Überlegenheit in der Luft (einschl. Drohnen) und bei der Artillerie.
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