Zurück zur Realpolitik!

Realpolitik statt Ideologie

von Karl M. Richter

Bekanntlich hat die gegenwärtige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Amtsantritt verkündet, sie habe vor, eine „feministische“ Außenpolitik zu betreiben. Unabhängig davon, daß schleierhaft blieb, was genau darunter zu verstehen wäre, war klar, daß es sich um einen ideologisch befrachteten Politikansatz handeln würde. Dies bedeutet, daß dem Denken und Handeln der Politik nicht die wirklichen Verhältnisse, sondern ein theoretisches Phantasiekonstrukt zugrunde gelegt wird. Im Falle des „Feminismus“ folgt die Politik dann einem Menschen- und Weltbild, welches mit der Realität wenig oder nichts zu tun hat. Falls Frau Baerbock mit „feministisch“ meinte, eine besonders friedliche, an Ausgleich orientierte Außenpolitik betreiben zu wollen, ist das völlig schief gegangen, wie die heutige Situation belegt. Baerbock hat Deutschland ja bekanntlich in einen Stellvertreterkrieg mit Rußland verwickelt.

Dem ideologischen Ansatz, der regelmäßig in die Irre führt, wollen wir einen realpolitischen gegenüberstellen, der sich für den Bereich des Äußeren ausdrücklich an der Tradition Otto von Bismarcks orientiert. Der erste Kanzler der Zweiten Deutschen Reiches war bekanntlich ein Mann, dessen Denken und Handeln das „Mögliche“ zugrunde legte und dessen Politik gleichzeitig an „Maß und Ziel“ orientiert war. Politische Schwärmerei jeglicher Art war ihm fremd.

Bismarcks außenpolitische Konzeption

Der Realpolitiker Otto von Bismarck wußte, daß das geeinte Deutschland von 1871 eine neue europäische Großmacht darstellte, die an die Seite Großbritanniens, Frankreichs, Rußlands und Österreich-Ungarns getreten war und schnell wirtschaftlich aufstrebte. Er sah das Deutsche Reich als eine Landmacht an, die mit ihrer territorialen Masse für die Sicherheitsarchitektur Europas eine besondere Rolle spielte. Dies in Abgrenzung zur Seemacht Großbritannien, welche in erster Linie nicht auf das Land, sondern auf die Küsten schaute und mit ihrer großen Kriegsflotte vor allem ihr weltweites Kolonialreich zusammenhalten mußte. Deutschlands Politik, wie diejenige Frankreichs und Rußlands, war jedoch territorial ausgerichtet und hatte demnach einen anderen Charakter.

Das wichtigste Ziel Bismarckscher Außenpolitik war die europäische Friedenssicherung. Er wollte dem jungen Deutschen Reich die Zeit verschaffen, sich kulturell, sozial und wirtschaftlich in Ruhe entwickeln zu können. Nicht zuletzt war es ihm wichtig, dem Reich eine starke Armee zu schaffen. Territorial sah Bismarck Deutschland als „saturiert“ an. Nach der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens im Krieg gegen Frankreich hatte das Reich keine Gebietsansprüche mehr an seine Nachbarstaaten. Im Gegenteil war es die Absicht des Reichskanzlers, Deutschland als Vermittler in europäischen Streitfällen zu etablieren, es als „ehrlichen Makler“ auftreten zu lassen. Wie erfolgreich er damit war, zeigte die Balkankrise und der berühmte Berliner Kongreß des Jahres 1878.

Sicherheit vor Wirtschaft

Zum Zwecke der Friedenssicherung in Europa entwickelte Bismarck das berühmte „Spiel mit den fünf Kugeln“, welches auf ein europäisches Gleichgewicht und den fairen Ausgleich der Interessen gerichtet war. Vor allem galt es zu verhindern, daß Frankreich, das Revanchegelüste hegte, eine starke Koalition gegen Deutschland zuwege bringen könnte. Bismarck sah dabei besonders auf Großbritannien, welches sich traditionell immer gegen die jeweils stärkste Macht auf dem Kontinent wandte.

Die Bündnisse, welche Bismarck im Interesse der Friedenssicherung für Europa schloß, lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: in Beistands- und Neutralitätspakte. Beistandspakte beinhalteten die Zusage militärischer Unterstützung im Falle eines unprovozierten Angriffs; Neutralitätspakte sagten dem jeweiligen Partner zu, im Falle eines Krieges gegenüber Dritten unbeteiligt zu bleiben. Es sollen an dieser Stelle nicht die Bündnisse, die Bismarck im Verlaufe der Jahre schloß, im Einzelnen betrachtet werden. Wichtig ist jedoch festzuhalten, daß stets Sicherheitsinteressen vor Wirtschaftsinteressen gingen. Denn der Reichskanzler war sich im Klaren darüber, daß der Handel nur dem Frieden folgen konnte, niemals dem Krieg.

Bismarcks Kolonial-Skepsis

Ein Wort zur Haltung Bismarcks in der Kolonialfrage. Der Reichskanzler stand dem Erwerb von Kolonien skeptisch bis ablehnend gegenüber, und das bis zum Ende seiner Amtszeit. Auch diese Haltung folgte seiner Konzeption einer Realpolitik. Bismarck hielt nur Seemächte für in der Lage, weltweit verstreute Kolonien zu unterhalten. Hierzu gehörte vor allem eine starke Kriegsflotte, welche die Seewege offen halten und bei Bedarf Verteidigungskräfte in die Kolonien verlegen konnte. Abgesehen von der Tatsache, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die wirtschaftlich wirklich lukrativen Gebiete längst vergeben waren, also ein profitabler Kolonialhandel für das Deutsche Reich eigentlich gar nicht möglich schien, waren die Überseegebiete durch Deutschland im Kriegsfalle aus Bismarcks Sicht nicht zu halten. Außerdem fürchtete der Reichskanzler stets, daß der Kolonialwettbewerb Deutschland in Gegensatz zu den anderen europäischen Mächten bringen könnte, was dann sein „Spiel mit den fünf Kugeln“ aus dem Gleichgewicht zu bringen drohte. Die Geschichte hat gezeigt, daß Bismarck Recht hatte. Daß der Reichskanzler dennoch beim Erwerb von Kolonien „mitmachte“, war dem Druck der öffentlichen Meinung und den Forderungen seines parlamentarischen Bündnispartners, den Nationalliberalen, geschuldet.

Österreich-Ungarn und Rußland

Als natürlichen Bündnispartner Deutschlands sah Bismarck Österreich-Ungarn an. Gerade als Gegengewicht zu Rußland auf dem Balkan war der Reichskanzler daran interessiert, daß dieser Vielvölkerstaat trotz der auseinanderstrebenden Ethnien stabil blieb. Aus demselben Grund hatte er sich auch gegen eine „großdeutsche“ Lösung bei der Reichseinigung ausgesprochen. Denn ein Anschluß Deutsch-Österreichs an das Reich hätte zweifellos das Auseinanderbrechen der Donaumonarchie zur Folge gehabt.

Rußland bedeutete für Bismarck vor allem ein wichtiger Sicherheitsfaktor in Europa. Ein Bündnis mit dem Zarenreich stellte für ihn ein notwendiges Gegengewicht zu Frankreich und England dar, dessen Zusammengehen gegen Deutschland Bismarck stets fürchtete. In des Reichskanzlers „Spiel mit den fünf Kugeln“ nahm daher der geheime „Rückversicherungsvertrag“ mit Rußland einen zentralen Platz ein. Wie wichtig er war, zeigte sich, als nach Bismarcks Entlassung dessen weniger befähigte Nachfolger meinten, sich von Rußland trennen zu können. Ein schwerer Fehler, der einen entscheidenden Anteil am Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte. Heutige deutsche Außenpolitiker scheinen aus der Geschichte auch in diesem Falle nichts gelernt zu haben.

Bismarcks Realpolitik war Friedenspolitik

Otto von Bismarcks Bündnispolitik, welche der Konzeption der Realpolitik folgte, das „Mögliche“ wollte und ein Handeln mit „Maß und Ziel“ darstellte, hat dem Deutschen Reich für Jahrzehnte den Frieden gesichert. In dieser Zeit konnte das Land durch die Tüchtigkeit seiner Menschen in nahezu allen Bereichen führend in der Welt werden. Eine Außenpolitik, die wahrlich dem nationalem Interesse diente.

Nach 1945

Hat Deutschland nach 1945 jemals eine Außenpolitik in nationalem Interessen verfolgt? Bismarck würde wahrscheinlich sagen: „Ja und Nein“. Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg war das Deutsche Reich territorial zerstückelt. Aus Ostdeutschland war die Masse der Bevölkerung vertrieben worden, seine Provinzen durch die Sieger besetzt. Die innerdeutsche Teilung verfestigte sich mit der zunehmenden Blockbildung West/Ost und der Vertiefung des Kalten Krieges. In dieser Situation entsprach es sicherlich dem nationalen Interesse (der Bundesrepublik Deutschland, aber wohl auch der DDR mit umgekehrten Vorzeichen), sich dem westlichen Bündnis anzuschließen, um überhaupt die Nationalstaatlichkeit zu erhalten. Entsprechend dem Grundsatz des Vorranges der Sicherheit vor der Wirtschaft hätte Bismarck der NATO zweifellos dem Vorrang vor der EG/EWG eingeräumt. Keinesfalls aber hätte der Reichskanzler der Abgabe von Kompetenzen an supranationale Organe und damit der Einschränkung der Souveränität zugestimmt. Gleiches gilt für die Unterstellung der Armee unter übernationale (letztlich solche der USA) Kommandos. Eine einseitige und völlige außenpolitische Abhängigkeit von einer fremden (wenn auch verbündeten) Macht wäre ohnehin nicht in Frage gekommen.

Neutralität?

Die so genannten „Stalin-Note“ von 1952 zur Neutralität eines wiedervereinigten Deutschlands sorgt bis heute für Diskussionen. War das Angebot ernstgemeint oder nur ein Vehikel für eine kommunistische Unterwanderung Deutschlands und seine gänzliche Einverleibung durch den Ostblock? Wäre eine solche Neutralität überhaupt durchführbar gewesen? Heute müssen wir erkennen, daß die politische Neutralität von Staaten vor allem gegenüber Blockbildungen große Vorteile hat und ein hohes Gut darstellen kann. Staaten wie die Schweiz, Österreich und Schweden sind stets gut damit gefahren. Um so unverständlicher ist es, wie die heutige Politik in den betreffenden Ländern dieses hohe Gut nicht nur in Frage stellt, sondern auch bereit ist, es aufzugeben. Um einer vermeintlichen Sicherheit Willen wird der Preis der nationalen Unabhängigkeit gezahlt. Kurzsichtiger kann man kaum handeln. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß z.B. im Falle Schwedens gar keine reale Bedrohung vorliegt. Deutschland hätte aus nationalen Gesichtspunkten einer Neutralität bei gleichzeitiger Wiedervereinigung und Wahrung strikter Unabhängigkeit zustimmen sollen, wenn es die tatsächliche Möglichkeit dazu gegeben hätte. Bismarck hätte es sicher getan.

Landesverteidigung

Das Deutsche Reich von 1871 wurde vor allem durch die preußische Armee geschaffen. Ihr Geist und ihre Organisation waren bereits vor dem entscheidenden Krieg gegen Frankreich auf die anderen deutschen Staaten übertragen worden. Otto von Bismarck wußte, daß nur eine starke Armee, welche das eigenen Territorium verteidigen konnte und für jeden potentiellen Gegner eine existentielle Gefahr darstellte, die nationale Souveränität gewährleisten konnte. Der Ausbau und die Stärkung der Streitkräfte kosteten dem Reichskanzler viele harte parlamentarische Kämpfe. Der Deutschland aufgezwungene Erste Weltkrieg zeigte dann, wie notwendig dieser Kampf gewesen war.

Auch und gerade heute ist die uneingeschränkte Fähigkeit zur militärischen Landesverteidigung – und zwar auch ohne Bündnispartner – eine unabdingbare Voraussetzung für eine Außenpolitik im nationalen Interesse. Dazu müßte die Bundeswehr allerdings von Grund auf neu aufgestellt werden. Vor allem aber wäre die Moral der Truppe wiederherzustellen, welche durch sinnlose und demütigende Auslandseinsätze in einem unseligen Vasallengeist ruiniert worden ist. Überflüssig zu erwähnen, daß hierzu auch die Revision des Traditionsverständnisses der deutschen Streitkräfte gehört. Der deutsche Soldat muß wieder mit stolz auf seine Vorfahren blicken können, die tapfer und ritterlich für ihr Vaterland und ihr Volk gekämpft haben.

Atomwaffen

Der große Peter Scholl-Latour war der Meinung, zur wahren Souveränität eines Landes gehöre in unseren Zeiten die atomare Bewaffnung. Denn Atommächte sähen nur ihresgleichen als gleichwertige Verhandlungspartner an, andere drohten schnell zu Vasallen degradiert zu werden. Es existieren Berichte, wonach de Gaulle Adenauer die Verfügbarkeit über französische Atomwaffen angeboten habe, um das europäische Gewicht gegenüber den USA zu stärken. Unabhängig davon, ob dies den Tatsachen entspricht, hatte der damalige französische Präsident die Zeichen der Zeit richtig erkannt. Daß Adenauer nicht hatte annehmen können – sofern die Geschichte zutrifft – ist nachvollziehbar, denn Deutschland war damals wie heute ein besetztes Land und stand bzw. steht unter der Drohung durch die Feindstaatenklausel. Wer allerdings über die wirkliche nationale Souveränität Deutschlands ernsthaft nachdenkt, wird um die Frage der atomaren Bewaffnung nicht herumkommen.

Wiedervereinigung

Für das nationale Selbstbewußtsein Deutschlands nach 1945 war das Festhalten an dem Ziel der Wiedervereinigung von großer Bedeutung. Dies galt nicht nur für die west-, sondern auch für die mitteldeutschen Bürger. Die Auflösung dieser strikten Forderung im Zuge der Linksbewegung der westdeutschen Politik war dann auch ein fatales Zeichen der nationalen Schwäche, die Ende der 1960-er Jahre mit dem Beginn des gesellschaftlichen Verfalls vor allem in moralischer Hinsicht einherging. Glücklicherweise blieben die bürgerlich-konservativen Kräfte in der Bundesrepublik in dieser Hinsicht standhaft. Es ist zweifellos ein Verdienst der damaligen CDU/CSU-geführten Regierungen gewesen, daß auch die deutsche Außenpolitik die Forderung nach Wiedervereinigung gegenüber den ehemaligen Siegermächten immer mit Nachdruck vertreten hat.

Verzicht auf Ostdeutschland

In den 1950-er bis Mitte der 1960-er Jahre war zwischen den Bonner Parteien (von den Kommunisten einmal abgesehen) unbestritten, daß an der Forderung nach Rückgabe der besetzten ostdeutschen Gebiete festgehalten werden müsse. Wir erinnern uns an das berühmte Wort des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher: „Verzicht ist Verrat!“. Der Verlust Ostdeutschlands stellte für die kulturelle und wirtschaftliche Integrität Deutschlands eine Katastrophe dar; dies neben dem fürchterlichen Blutzoll des Weltkrieges und der Verlusten der umgekommenen Heimatvertriebenen. Zum nationalen Bewußtsein der Deutschen gehörte und gehört nach wie vor der Protest gegen das Unrecht der Vertreibung, des Raubes der Ostgebiete und des damit verbundenen Diebstahls deutschen Eigentums. Die deutschen Heimatvertriebenen hatten bereits frühzeitig Revanche und Rache eine Absage erteilt. Keinesfalls aber waren sie bereit, auf ihr Heimatrecht zu verzichten. Doch mit dem schwindenden politischen Einfluß der ostdeutschen Landsmannschaften ging auch die Erosion der Rückgabeforderungen einher. Es ist sicher die Frage zu stellen, ob es nicht ein Gebot der Realpolitik im Sinne der Annäherung an den Osten war, den Verzicht auf die Ostgebiete zu erklären. Immerhin hatte und hat Deutschland keine Machtmittel, um eine Rückgabe durchzusetzen. Dennoch war die endgültige völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze 1970 Jahre ein Fehler. Man hätte sie wenigstens weiterhin als ein Provisorium betrachten müssen.[1] Wir erleben heute, wie eine Welt im Umbruch ihr Gesicht verändert. Dazu gehört auch die Revision gewaltsamer, widerrechtlicher Grenzziehungen. Es wäre sicherlich in nationalem deutschen Interesse gewesen, sich hier alle Optionen offenzuhalten.

Änderungen 1990

Die (Teil-)Wiedervereinigung Deutschlands 1990 hat auch die außenpolitischen Rahmenbedingungen verändert. Mit dem Ende des Ostblocks wurde Deutschland wieder eine Macht in der Mitte Europas, vor allem wirtschaftlich. Die neuen Beziehungen zu Rußland, die auf Ausgleich und Verständigung ausgerichtet waren, haben unser Land voran gebracht. Die neue Rolle Deutschlands hätte auch zu einer stärkeren Betonung der nationalen Interessen unseres Landes führen müssen. Tatsächlich aber ist das Gegenteil geschehen. In den letzten 30 Jahren hat vielmehr die nationale Selbstverleugnung Deutschlands – zum Erstaunen nicht weniger anderer Länder – immer neue Höhepunkte erreicht, einschließlich der Pflege des ewigen Schuldkultes. Deutschland war und blieb eine „Canossarepublik“. Das galt auch in Beziehung zu den Bündnissen der NATO und der Europäischen Union. Die deutsche Politik gefällt sich bis heute in der Rolle des Vasallen und ewigen Zahlers für die Schulden und die Verschwendungssucht anderer.

Europäisches Bündnis

Die SWG hat in ihrem Deutschland-Journal-Sonderheft 2021 umfassende Gedanken über die Zukunft Europas und einer europäischen Bündnispolitik der Zukunft vorgelegt. Sie kam zu dem Schluß, daß das System Brüssel durch ein Bündnis ersetzt werden muß, welches dem Gedanken des „Europas der Vaterländer“, in dem souveräne Völker in ihren umgrenzten und geschützten Nationalstaaten und mit weitgehender kultureller Homogenität selbstbestimmt leben, Rechnung trägt. Deshalb kann an dieser Stelle auf Wiederholungen verzichtet werden, indem auf dieses Heft verweisen wird. Es sei aber betont, daß ein europäisches Bündnis der Zukunft selbstverständlich Rußland einschließen muß. Darüber hinaus wird dieses Bündnis auf supranationale Elemente verzichten, welche die Souveränität der Völker einschränken und dazu neigen, sich immer mehr Macht zu usurpieren und schließlich zu einer volksfernen Despotie zu entarten, die von einer kleinen selbstsüchtigen Elite beherrscht wird. Wir erleben genau das zur Zeit in der EU. Ein stückweit wird wieder zu dem System zurückgekehrt werden müssen, wie es das Europa der Bismarckzeit gekannt hat, mit bi- und trilateralen Verträgen zwischen gleichberechtigten Staaten auf Augenhöhe. Das Ziel bleibt unverändert: Der faire Ausgleich der Interessen, Herstellung eines Gleichgewichtes mit dem Ziel der Friedenssicherung. Daß die vielgepriesene Europäische Union zu alldem unfähig ist, zeigt sich heute nur allzu deutlich.

Nationalstaat

Der umgrenzte, souveräne Nationalstaat, der ein weitgehend kulturell homogenes Staatsvolk umfaßt, wird weiterhin die Grundlage der Außenpolitik in nationalem Interesse sein. Er steht nicht zur Disposition, auch deshalb nicht, weil die Völker Europas diesen Nationalstaat wollen. Übrigens zählt zur Souveränität auch das Recht des Staatsvolkes, zu entscheiden, wer zuwandern darf und wer nicht. Eine Zuwanderungspolitik in nationalem Interesse stellt einen Kernpunkt der Außenpolitik dar. Kein Volk muß dulden, durch Zuwanderung überfremdet und um seine kulturelle Identität gebracht zu werden. Der Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider hat eindrucksvoll nachgewiesen, daß ein solcher Nationalstaat geradezu die Voraussetzung für ein Leben in Frieden und Freiheit und nicht zuletzt für das Bestehen einer demokratischen Grundordnung darstellt.

Rußland

Rußland gehört selbstverständlich zu Europa, historisch, kulturell und geographisch. Die aktuelle Entwicklung, in der Rußland in die Arme asiatischer Mächte getrieben wird, stellt für unseren Kontinent eine Katastrophe dar. Niemand hätte das klarer gesehen, als Otto von Bismarck. Wie oben bereits erwähnt, sah der Reichskanzler das Zarenreich vor allem als Teil der europäischen Sicherheitsarchitektur an. Das hat auch heute nichts an Relevanz verloren. Vor allem wenn wir Deutsche aus nationalem Interesse anstreben, die völlige Abhängigkeit von der niedergehenden „einzigen Weltmacht“ USA und damit unsere ewige Vasallenrolle loszuwerden, wird Rußland für uns als Partner und nicht als Gegner zukünftig eine Rolle spielen müssen. Niemand kann heute absehen, in welche Richtung sich die USA entwickeln werden. Doch angesichts des Wandels der globalen Machtstrukturen von der Uni- zur Multipolarität ist davon auszugehen, daß Nordamerika seine Dominanz in Europa verlieren wird. Nicht in deutschem Interesse würde es sein, einen völligen Bruch mit den USA herbeizuführen, dies schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Doch in Anlehnung an Carl Schmitt stellen die USA eine „raumfremde“ Macht dar, die auf dem europäischen Kontinent weder politisch, noch wirtschaftlich oder kulturell eine dominierende Rolle spielen darf.

Ukraine-Krieg

Rußland führt keinen Krieg gegen die NATO, ja bedroht sie nicht einmal. Wir haben keine Händel mit Rußland. Unser Land wurde in einen Stellvertreterkrieg hineingezogen wurde, den vor allem die USA gegen Rußland und China um ihre dahinschwindende globale Hegemonie führen und dabei  – leider erfolgreich  – bemüht sind, die europäische und insbesondere die deutsche Wirtschaft als Konkurrenten auszuschalten. Entgegen der herrschenden Propaganda, die nicht zuletzt vom Bundespräsidenten geführt wird, werden im Ukrainekrieg keine deutschen Interessen verteidigt. Ganz im Gegenteil. Unser Interesse liegt darin, daß dieser Krieg durch Verhandlungen schnell beendet wird und Deutschland wieder zu einem Ausgleich mit Rußland und China kommt. Der nächste Irrtum besteht in der Behauptung, unsere Freiheit werde in Ukraine verteidigt und dafür seien alle Opfer gerechtfertigt. Die deutsche Freiheit wird vielmehr innerhalb unserer eigenen Grenzen verteidigt, insbesondere gegen eine Politik, die unser Land als Vasall fremder Interessen verkauft.

Eine Außenpolitik in nationalem Interesse hat sich also mit aller Kraft dafür einzusetzen, daß der Ukraine-Konflikt auf dem Verhandlungswege so schnell wie möglich beendet wird. Waffenlieferungen jeder Art, die den Konflikt weiter anheizen und verlängern, müssen beendet werden.  Ein Ausgleich mit Rußland unter Anerkennung seiner legitimen Sicherheitsinteressen ist dabei unumgänglich.

Konklusion

Es fällt schwer, heutige Protagonisten der deutschen Außenpolitik mit dem Giganten Bismarck vergleichen zu wollen. Der Reichskanzler war ein überaus befähigter Mann, ein Genie der Politik, und vor allem ein preußischer und deutscher Patriot. Ihm war die Wohlfahrt des eigenen Landes und Volkes Maßstab für sein Denken und Handeln. Sein Wahlspruch lautete: „Patriae Inserviendo Consumor“ (Dem Vaterlande dienend, verzehre ich mich). Die heutige bundesrepublikanische Außenministerin Annalena Baerbock gehört dagegen einer Partei an, die mehr als einmal klar gemacht hat, daß sie Deutschland gerne von der Landkarte verschwinden lassen würde. Ihr Parteigenosse, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck ließ seiner Verachtung für Deutschland und die Deutschen bereits mehrfach öffentlich freien Lauf. Entsprechend ist die Außenpolitik Deutschlands heute ohne eigenen Willen und nur ein Wiederkäuen der Vorgaben des „großen Bruders“ USA. Die Implementierung von Sanktionen, die Rußland kaum, unserem Lande allerdings schweren Schaden zufügen und einzig und allein den Interessen Washingtons dienen, grenzen an den Tatbestand des Hoch- und Landesverrats.

Deutschland wird auch zukünftig – wie jedes Land – auf außenpolitische Bündnisse angewiesen sein, vor allem im Bereich der Sicherheit. Wie Verträge allgemein beruhen auch sie auf einem gegenseitigen Geben und Nehmen mit dem Ziel des Interessenausgleichs. Gerade militärische Bündnisse aber sind auf Solidarität angewiesen. Dabei kann nicht immer jeder Einsatz 1:1 wieder herausgeholt werden. Der stärkere Partner wird oft auch die größeren Lasten zu übernehmen haben. Dennoch verbietet es sich kategorisch in Bismarckschem Sinne, seine eigenen nationalen Interessen so zu verleugnen, wie es die gegenwärtige deutsche Regierung tut. Schluß sein muß aber mit einer ideologiebefrachteten Außenpolitik, die anderen Ländern und Völkern versucht, die eigene Labens- und Anschauungsweise aufzuzwingen. Wenn wir aber bessere Lösungen im Sinne einer Realpolitik suchen, lohnt es sich, wieder einmal beim Altreichskanzler nachzulesen.

[1]Völkerrechtlich war dieser Verzicht ohne Belang, da eine Regierung nicht für ihr Volk auf das Selbstbestimmungsrecht verzichten kann. Auch die Verträge im Zuge der Teilwiedervereinigung von 1990 haben daran grundsätzlich nichts geändert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert