Rußland: Keine Verbrüderung an falscher Stelle

Jede kriegführende Regierung betreibt Propaganda, um ihre Bevölkerung zum Kampf zu motivieren. Dabei bleibt die Wahrheit oft auf der Strecke. Dies gilt auch für den Ukraine-Konflikt.

Der Krieg gegen die Ukraine war und ist in Rußland unpopulär. Die Russen wollten keinen bewaffneten Konflikt mit den Ukrainern, die sie als ihre Brüder ansehen. Besonders im Westen der Russischen Föderation gibt es viele russisch-ukrainische Mischfamilien. Zahlreiche russische Intellektuelle haben auf ukrainischen Universitäten studiert. Viele Russen sind in der Ukraine aufgewachsen und haben dort gearbeitet. Berichten zufolge gab es im Vorfeld des russischen Angriffs sogar Sabotageakte in der eigenen Armee. 

Von Anfang an hat deshalb die russische Regierung betont, man kämpfe nicht gegen das ukrainische Volk, sondern gegen die „Nazis“ in der Ukraine. Bewußt zog die Propaganda Parallelen zum „Großen Vaterländischen Krieg“ gegen Deutschland, der im kollektiven Gedächtnis der Russen eine herausragende Rolle spielt. Das ging so weit, daß Begriffe der Stalinzeit übernommen wurden: „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“. Was man damals mit den Deutschen gemacht hat, macht man heute mit der Ukraine, so der Narrativ.

Es geht also bei der Beschwörung des „Großen Vaterländischen Krieges“ um die Motivierung der eigenen Bevölkerung. Daß dabei auf den Deutschen herumgehackt wird, gehört zwangsläufig dazu, läßt aber nicht auf eine strukturelle Deutschfeindlichkeit schließen. Dies gilt für das russische Volk ebenso wie für die Regierung.

Natürlich passen die angekündigten deutschen Panzerlieferungen in dieses Propagandakonzept. Da spielt es auch keine Rolle, daß die Zahl der avisierten Leopard 2 lächerlich gering ist, so gering, daß sie militärisch wahrscheinlich gar keine Rolle spielen werden. Es geht eben um das eindringliche Bild der deutschen Panzer, die wieder gegen Rußland rollen, wie damals 1941.

In diesem Licht sind auch die propagandistisch inszenierten Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des sowjetischen Sieges in Stalingrad zu sehen. Es geht, wie gesagt, um die Motivation der Russen und nicht um eine konzertierte Hetze gegen die Deutschen.

Zweifellos richten die westlichen und auch die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine schwersten politischen Schaden an. Ein Schaden, der auch nach diesem Krieg in Jahren, vielleicht in Generationen nicht zu beheben ist. Er wird dennoch kein grundlegendes Hindernis für eine neue Verständigung zwischen Deutschland und Rußland darstellen, wenn vor allem die deutsche Seite es will.

Die Russen haben das Recht, ihre eigenen Kriegshelden zu feiern. Auf welche Weise sie es tun, geht uns nichts an. Problematisch wird es allerdings, wenn sich deutsche Politiker diesen Feiern unkritisch anschließen, wie jetzt geschehen im Falle des AfD-Vorsitzenden Chrupalla, der gemeinsam mit dem russischen Botschafter Kränze am sowjetischen Ehrenmal auf den Seelower Höhen niedergelegt hat.

Es darf nicht vergessen werden, daß auch dort deutsche Soldaten fielen, die ihre Heimat und ihre Familien verteidigten. Sie waren keine Nazis und auch keine Kriegsverbrecher. Ebenfalls darf nicht vergessen werden, daß zur selben Zeit eine Soldateska der Roten Armee unzählige deutsche Zivilisten, Kinder, Frauen und Alte, gequält und ermordet hat.  Dies muß, wie gesagt, kein Grund sein, daß wir uns einer neuen Verständigung mit Rußland verweigern. Es darf aber auch nicht den Anlaß bieten für eine Verbrüderung an der falschen Stelle.

Und schon gar nicht für das Einstimmen in den Chor derjenigen, die von einer „Befreiung“ durch die Rote Armee 1945 schwadronieren.

Karl M. Richter

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