Wie aus dem Wirtschaftswunder ein Verwaltungsskelett wird

von Prof. Dr. Eberhard Hamer

In der Hitler-Zeit hatten wir eine sozialistische Verwaltungswirtschaft, nachher Kriegswirtschaft und konnte der Krieg nur so lange durchgehalten werden, weil eine hervorragende Verwaltung die wachsenden Kriegsschäden ausgleichen, die Ressourcen- und Lebensmittelversorgung bis zuletzt gewährleisten und in allem Chaos noch eine gewisse Ordnung aufrechterhalten konnte.

Als dann bei der ersten Bundestagswahl Ludwig Erhard statt Verwaltungswirtschaft eine Marktwirtschaft einführen wollte, gab es erbitterte politische Diskussionen, ob dies überhaupt möglich sei, ob dies Verteilungsgerechtigkeit bringen könne und ob der Eigenantrieb der Unternehmer oder die Verwaltung eine Wirtschaft besser optimieren könnten. Schnell setzte sich aber Ludwig Erhard mit seinem Programm der Marktwirtschaft durch. Ihm kam zugute, dass wir nach dem Kriege ohnehin überall nur eine ausgedünnte Verwaltung hatten und dass alle Nazi-Gesetze abgeschafft waren, also eine Verwaltung, selbst wenn sie da gewesen wäre, in die private Initiative kaum eingreifen konnte.

Nie haben wir in Deutschland so viel private Gestaltungsfreiheit gehabt wie nach dem letzten Weltkrieg, dem Zusammenbruch unserer Verwaltung und unseres Staates und dem staatlichen Regulierungssystem.

Es hat sich schnell gezeigt, dass 10 Millionen Unternehmer[1] selbstverantwortlich zu produzieren anfingen oder Dienste leisteten, weil ihnen noch niemand vorschrieb, warum, womit und wie sie dies machen müssten. Durch diese Unternehmerfreiheit entstand das Wirtschaftswunder.

Die neu anfangenden Unternehmer hatten aber kein Kapital. Sie durften deshalb die Gewinne im Unternehmen halten, so dass sie damit Investitionen, Arbeitsplätze und Mitarbeiter finanzieren konnten. Gewinn war nur, was sie entnahmen. Mit dieser „Steuerfreiheit des im Unternehmen verbleibenden Gewinns“ hat Ludwig Erhard vor allem unsere mittelständischen Personalunternehmen ohne Fremdkredite aus eigener Kraft durch Selbstfinanzierung stark werden lassen, konnten sie wachsen, investieren, Arbeitsplätze schaffen und wuchs unser Sozialprodukt stärker als in anderen Ländern.

Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem letzten Weltkrieg wurde nicht nur unsere Demokratie mit Parlamenten eingeführt, sondern auch eine neue Verwaltung.

Leider waren die Parlamente fleißig. Sie haben inzwischen mit 90.000 Gesetzen und Verordnungen fast alles reguliert, was zu regulieren ist, haben ein so dichtes Regulierungsnetz über das ganze Land gezogen, dass damit die individuelle Handlungsfreiheit vor allem unserer Unternehmer überwiegend eingeschränkt wurde.

Nach dem Krieg fingen die Leute den Wiederaufbau einfach an, ohne dass die Verwaltung sie störte. Heute dagegen muss ein Bauprojekt von vielen Behörden und von bis zu 42 „Beteiligten“, Verbänden, Organisationen und Stellen befürwortet werden, bevor es überhaupt ein Baurecht gibt. Das dauert Jahre.

Der Autor wollte 2005 an der Zonengrenze einen Autohof errichten. Mehr als drei Jahre dauerte es, bis alle 42 beteiligten Organisationen bis hin zum Umweltschutz ihre Zustimmung zur Umwidmung erteilt hatten. Lediglich das Denkmalsamt widersprach. Vier Jahre hat es dann gedauert, die unsinnigen Wünsche einer Denkmalsschützerin durch zwei Gerichtsinstanzen zu verwerfen.

Noch immer gibt es aber dort kein Baurecht, weil schon seit mehr als einem Jahr die Umweltbehörde mit den mehrfach angebotenen Ersatzaufforstungsflächen nicht einverstanden ist. In den 19 Jahren staatlicher Planung bzw. Planungsbehinderung sind nun die günstigen Investitionszinssätze vorbei, haben sich die Kosten des Projekts fast verdoppelt und rentiert sich eigentlich das Projekt nicht mehr. So werden mehr als 300 mögliche Arbeitsplätze im strukturschwachen Osten verhindert.

Nach Umfragen des Mittelstandsinstituts Niedersachsen ist für unsere mittelständischen Unternehmer durch eine ausufernde Gesetzgebung, eine krakenartig wachsende Verwaltung und durch immer speziellere auch gegenläufige Vorschriften von Jahrzehnt zu Jahrzehnt der Freiraum des wirtschaftlichen Handelns im Betrieb und im Markt ständig gesunken. Nur im digitalen Bereich gibt es noch ausreichende unternehmerische Freiheit, weil Parlament und Verwaltung digital noch unfähig sind.

Zuerst wurden die produzierenden Betriebe von Verwaltungsvorschriften blockiert. Das hat einmal humane Gründe: So muss zum Beispiel im Gesundheitshandwerk der Fußboden glatt sein, um die notwendige Sauberkeit zu gewährleisten, muss aber zugleich geriffelt sein, damit sich die Mitarbeiter rutschfest bewegen können. Am schlimmsten sind aber inzwischen die Umweltvorschriften. Die Betriebe werden nicht nur nach den Umwelteinflüssen ihrer Produktion, sondern auch nach der Zusammensetzung ihrer Produkte überprüft; neuerdings sollen sie auch nachweisen, welche Stoffe die indischen Produzenten ihres Importeurs in den Produkten verwandt haben und dass dabei keine Kinder oder schwangere Frauen beschäftigt waren. Für alles haftet der Unternehmer. Immer mehr auch für das, was er gar nicht kontrollieren kann.

Ein einziger Verstoß gegen irgendeine der 90.000 Vorschriften – die der Unternehmer gar nicht alle kennt – genügt, um den Betrieb mit Geldbußen oder Schließung zu bestrafen.

Das Mittelstandsinstitut hat drei Hauptschwerpunkte des politischen und bürokratischen Freiheitsraubes an unseren Unternehmern ausgemacht:

  1. Eine Überregulierung unserer Gesetzgeber
  2. Die Überbürokratisierung vor allem in Bau- und Umweltverwaltung
  3. Die Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft

Überregulierung

Geht man einmal davon aus, dass die Parlamente Gesetze eigentlich zum Wohle der Bevölkerung machen sollen, gilt doch für die meisten die Einschränkung, dass sie nicht mehr wie früher generelle Tatbestände regeln und einer verständnisvollen Verwaltung vor Ort nach Ermessen die Durchführung überlassen, sondern dass sie bis ins Einzelne das Handeln der Verwaltung und der Bürger vorzuschreiben versuchen. Besteht dabei eine Lücke, wird diese Lücke wieder durch ein neues Gesetz geschlossen. So entstehen immer mehr Gesetze mit immer spezielleren Vorschriften, die unsere Handlungsfreiheit einschränken, die unser Leben zu bestimmen versuchen und vor allem die wirtschaftliche Tätigkeit so spezifiziert vorschreiben, dass heute jeder Unternehmer bei jeder seiner täglichen Handlungen nicht nur auf den Markt als die Möglichkeit des Geschäfts, sondern vor allem auf die Vorschriften achten muss, ob sie ihm überhaupt im Markt und in der Produktion des Betriebes eine Geschäftsmöglichkeit erlauben.  Der Unternehmer wird so vom Nutzer wirtschaftlicher Chancen zum Untertanen gesetzlicher Vorschriften. Er handelt immer weniger selbstverantwortlich als gesetzesbestimmt und wird in einem immer dichter werdenden Regulierungsnetz in seinen Überlebenschancen gefangen.

Je weiter der Gesetzgeber von der Wirklichkeit entfernt ist, desto unsinniger, mittelstandsfeindlicher und unproduktiver entwerfen sie Vorschriften. Am schlimmsten sind die „Richtlinien“ des Brüsseler Politbüros, weil dies nur die großen Kapitalgesellschaften im Auge hat und die 94 % unserer mittelständischen Personalunternehmen nach diesen Kriterien und deshalb falsch – oft tödlich – den Kategorien der Kapitalgesellschaften unterwirft. Mehr als 70 % unserer neuen Regulierungen stammen inzwischen aus Brüssel und werden in Berlin nur noch „umgesetzt“ und vollzogen[2].

Die deutschen Unternehmen haben aber bei der Bewältigung der Brüsseler Auflagen den Nachteil, dass sie nicht wie in Italien, Frankreich oder Spanien „die Vorschriften nur zu 25 bis 30 % beachten“, sondern dass die deutsche Verwaltung auch unsinnige Vorschriften minutiös durchzusetzen versucht. Die oft nur unzulänglich aus dem Französischen oder Englischen übersetzten deutschen Richtlinientexte können von den Konzernen und Kapitalgesellschaften eingehalten werden. Ein mitteständischer Unternehmer hat aber anderes zu tun, als den halben Tag neue Gesetze zu lesen, bevor er überhaupt zu seiner Arbeit kommt. Die Regulierungen insbesondere aus Brüssel sind also für die Wirtschaft umso schädlicher, je kleiner die Betriebe sind und sind gerade für diese auch am schwersten zu vollziehen, weil sie auf die ganz anderen Bedingungen von Kapitalgesellschaften – als bei Inhaberunternehmen – zugeschnitten sind.

Ein Beispiel sind die Basel-Vorschriften, welche „nach dem Bild der Kapitalgesellschaften“ den Banken Kredite nur mit Sachkrediten erlauben. Früher konnten die Mittelstandsbanken (Volksbanken, Sparkassen) auch Personalkredite vergeben, wenn sie von der Fähigkeit des Unternehmers überzeugt waren. Das ist ihnen nun verboten. Folglich gibt es keine mittelständischen Personalkredite mehr ohne Sachsicherung, also z. B. für die Digitalunternehmer überhaupt keinen Kredit mehr.

Schon immer haben alle sozialistischen politischen Strömungen das eigenverantwortliche Wirtschaften zu eigenem Nutzen bekämpft, weil sie Wirtschaften „zum allgemeinen Wohl“, zum kollektiven Nutzen und mit größtmöglicher Umverteilung „zum sozialen Ausgleich“ anstreben. Mehr Sozialismus zeigt sich in allen Staaten an mehr Staatsdirigismus wie z. B. in Frankreich, welches sich immer schon für Planification statt liberaler Marktwirtschaft entschieden hat. Gleiches gilt für die EU, welche eigentlich für den freien Wettbewerb kämpfen sollte, praktisch aber unter französischem Einfluss für europäische Planification, Zentralregulierung und Staatsdirigismus steht, wie sich gerade in der Corona-Krise dramatisch gezeigt hat.

Seit dem Regierungswechsel 2021 wird auch unsere Wirtschaft mit neuem Zentralverwaltungsschub nach ideologischen Gesichtspunkten (Ökologie) umgebaut, wird nicht nur privater Nutzen, sondern sogar das Allgemeinwohl ideologischen Phantasien geopfert, geht es staatsdirigistisch um „Green Deal“, um CO2-Reduktion, um Artenvielfalt, um Weltenrettung statt um Wohlstand, wird letzterer sogar zugunsten der ideologischen Ziele bewusst reduziert.

Immer aber sind zentralverwaltungswissenschaftliche Phasen auch Phasen gewesen, in denen nicht nur der Wohlstand geopfert wurde, sondern auch die private Handlungsfreiheit, der Bürger zum Untertanen degradiert wurde.

Diese Freiheitsbeschränkung können die Kollektivorganisationen und Konzerne vertragen, weil sie ohnehin mit der politischen Elite verschränkt sind und diese ihre Wünsche erfüllt.

Leidtragender jeder Tendenz zur Planification und Staatsverwaltungswirtschaft ist der selbständige Mittelstand, welcher Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit als Voraussetzung für seine Unternehmensführung braucht und seinen Erfolg aus Marktleistung und nicht nach den Weisungen von Staatsfunktionären erzielen will.

So wird die Kausalität deutlich: Steigende Zentralisierung und Verwaltungswirtschaft begrenzt die Handlungsfreiheit des Mittelstandes, der wiederum nur in Marktwirtschaft aufblüht und nur dann wie bisher in Deutschland 80 % der Staatskosten zu den Subventionen an die Konzerne und für Sozialleistungen an die Unterschicht tragen kann.

Überbürokratisierung der Verwaltung

„Verwaltung ist überall dort notwendig, wo menschliches Zusammenleben geordnet bzw. menschliches Handeln auf ein gemeinsames Ziel hin zusammengefasst werden muss. Dies gilt nicht nur in den traditionellen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, sondern gilt ebenso auch für jede Verwaltung im privatwirtschaftlichen und sogar im privaten Bereich, etwa von Vereinen, Religionsgemeinschaften oder der Familie“.[3]

„Zur bürokratischen Verwaltung wird jede Verwaltung, wenn sie sich bürokratischer Mittel bedient, d. h. zu schriftlicher Verwaltung wird. Jede moderne Verwaltung in jeder öffentlichen oder privaten Körperschaft ist heute schriftliche büromäßige Verwaltung und insofern bürokratische Verwaltung, ohne das oft negative Verständnis dieses Begriffes.“[4]

Es gibt aber nicht nur öffentliche Bürokratie, sondern auch private. „Die Bürokratie deutscher Großkonzerne ist in den meisten Merkmalen bis hin zu ihrem Leerlaufgrad mit der staatlichen Bürokratie durchaus vergleichbar.“[5]

Jede Ausdehnung des hierarchisch-bürokratischen Prinzips auf die an sich dezentralen Strukturen der freien Wirtschaft führen schon deshalb zu einem Effektivitätsverlust, weil in jeder Hierarchie nämlich die untergeordnete Stelle so lange immobil ist, bis die übergeordnete entschieden hat, während in der freien Marktwirtschaft jeder Wirtschaftsteilnehmer selbst sofort entscheiden kann. „Die auf dem demokratischen Prinzip der Einzelentscheidung beruhende marktwirtschaftliche Ordnung steht deshalb in prinzipiellem Widerspruch zu jeder hierarchisch-bürokratischen Struktur“.[6]

Je bürokratischer eine Verwaltung ist, desto immobiler ist sie. Das hängt mit zwei Dingen zusammen:

  • Die Gesetze und Verwaltungsvorschriften Preußens regelten nur generell und überließen Einzelentscheidungen dem Ermessen finanziell unabhängig gestellter Beamten. Einer meiner Vorfahren war Landrat im Kreis Norden in Ostfriesland mit sieben Angestellten. Er fuhr täglich mit der Kutsche durch den Landkreis und entschied sofort, wo er zu Problemen gerufen worden war. Der mitgeführte Schreiber hielt die Entscheidung fest. Damit war der Fall geregelt.

Heute dagegen leben wir im Rechtsmittelstaat, haben die Beamten keine individuelle Ermessensfreiheit mehr, werden die Vorschriften deshalb so spezifiziert gehalten, dass möglichst alle Fälle damit geregelt werden können, sehen aber die Bürger die öffentliche Verwaltung nicht mehr als öffentlichen Vertreter ihres Staates, sondern als Gegner, dessen Entscheidung im Zweifel angefochten wird. Die Inflationierung der Verwaltung und die Spezifizierung der Gesetze bedingen deshalb zwangsläufig steigende Mitarbeiterzahlen in den Behörden. Der Landkreis Norden wird heute mit mehreren hundert öffentlichen Dienern verwaltet, von denen jeder weniger und speziellere Zuständigkeit hat.

  • Die größte Expansion der öffentlichen Verwaltung liegt aber nicht einmal in der Hoheitsverwaltung, die nicht einmal ein Fünftel der öffentlichen Verwaltung ausmacht, sondern in der Leistungsverwaltung mit nicht hoheitlichen Aufgabenstellungen. Die politische Führung glaubt, dass es für die Bürger vorteilhaft sei, wenn möglichst viele Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht privatwirtschaftlich, sondern durch öffentliche Verwaltung geregelt und ausgeführt würden. Dies hat zur eigentlichen Explosion der öffentlichen Verwaltung in den modernen – selbst in grundsätzlich marktwirtschaftlich geprägten – Volkswirtschaften geführt. Es ist politisch entschieden worden, dass
  1. das gesamte Bildungswesen nicht privat, sondern staatlich organisiert und verwaltet wird,
  2. das Gesundheitssystem staatlich finanziert, organisiert und durchgeführt wird,
  3. die Sozialhilfe nicht mehr privat, sondern öffentlich geregelt, garantiert und durchgeführt wird,
  4. selbst die Statistiken nicht etwas privat und repräsentativ, sondern total und als Staatsaufgabe erhoben und berechnet werden.

Die Privatisierungsforschung hat mehr als 60 Bereiche untersucht, in denen Aufgaben nicht mehr privatwirtschaftlich, sondern durch die öffentliche Verwaltung staatlich durchgeführt werden und dafür staatliche Verwaltung vorgehalten werden muss.

Dabei wurde aber ebenso ermittelt[7], dass im Schnitt die öffentlich übernommene Daseinsvorsorgeaufgaben 30 – 40 % teurer geleistet werden als wenn sie privatwirtschaftlich durchgeführt würden, dass die öffentliche Aufgabendurchführung etwa ein Drittel mehr Personal kostet als wenn sie privatwirtschaftlich durchgeführt würde und dass die Gesamtkosten öffentlicher Durchführung in einzelnen Bereichen bis zu viermal so teuer ist als das Angebot privater Unternehmer[8].

Dass die öffentliche Durchführung von Aufgaben teurer ist als die privatwirtschaftliche hängt zum einen damit zusammen, dass nur die private Wirtschaft unter Wettbewerbsdruck steht, die öffentliche nicht, zum anderen damit, dass die private Wirtschaft nach Erfolg bezahlt wird, die öffentliche nach Zeitaufwand. Wenn bei einem privaten Auftrag die Kosten steigen oder die Zeit nicht reicht, bekommt der Unternehmer nicht mehr den vereinbarten Preis. Wenn dagegen in der Verwaltung die Arbeit nicht fertig wird, ruft die Behörde nach mehr Personal. Für die öffentliche Verwaltung zählt nämlich weniger der Erfolg als der politische Druck, Aufgaben durchzuführen. Und dieser politische Druck wird immer spezieller, immer größer, insbesondere bei neuen politischen Strömungen wie z. B. soziale Betreuung, Umweltschutz o.a. Die Verwaltung ist also selbst Getriebene und ihre Überbürokratisierung Folge dieser zunehmenden politischen Wünsche. Das zeigt sich insbesondere im Baurecht, wenn für eine Baugenehmigung bis zu 42 verschiedene öffentliche und private „Beteiligte“ ihre Zustimmung geben müssen und damit nicht nur entsprechende Verwaltung, sondern auch Kosten und Zeit aufgebläht werden.

Die seit 1990 vorliegenden Beweise für die eindeutige Kostenüberlegenheit privater Durchführung öffentlicher Aufgaben hat bisher nicht dazu geführt, dass die Durchführung öffentlicher Aufgaben drastisch privatisiert wurde, sondern aus politischen Gründen wurde die öffentliche Durchführung weiter expandiert.[9]

Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft

Der steigende Druck der Politik zu immer mehr Aufgaben der Verwaltung und die Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Verwaltung, zusätzliche Aufgaben durchzuführen, haben Gesetzgeber und Verwaltung dazu verführt, die privaten Unternehmer als Hilfsorgan der öffentlichen Verwaltung zu missbrauchen. Kraft ihrer Hoheitsgewalt überwälzen Gesetzgeber und Hoheitsverwaltung immer mehr bürokratische Pflichten ohne Kostenersatz in die Wirtschaft. Sie nehmen also die Privatwirtschaft als kostenlosen Hilfsdiener in Anspruch.[10]

Die am längsten und stärksten arbeitende Bevölkerungsgruppe der Unternehmer muss als einzige noch zusätzlich kostenlos bürokratische Hilfsarbeiten für den Staat leisten, die keiner anderen Bevölkerungsgruppe zugemutet werden oder auch zugemutet werden könnten.[11] Dass diese bürokratischen Hilfsdienste nicht unerheblich sind, hat eine Studie des Mittelstandsinstituts Hannover von 1979 gezeigt:

  • Insgesamt machten schon 1979 die Hilfsarbeiten der Unternehmen für die öffentliche Verwaltung einen Zeitaufwand von über 1.000 Stunden pro Betrieb aus, das sind 132 Arbeitstage oder 30 Wochen eines Mitarbeiters.[12]
  • Den Unternehmen entstanden durch diese überwälzten Bürokratiearbeiten Kosten von ca. 50.000,- DM – mehr als der durchschnittliche Bruttogewinn der untersuchten Unternehmen. Den größten Posten macht die Sozialrechtsbürokratie aus mit durchschnittlich 510 Stunden 32 Minuten. Dabei sind auch regelmäßige Meldungen, welche die Sozialbehörden schon selbst in ihren Unterlagen haben. Weil es aber nichts kostet, werden sie den Unternehmern gedankenlos und ständig abgefordert.
  • Die Bürokratiehilfsarbeiten für das Finanzamt machten 172 Stunden 42 Minuten aus mit Kosten von über 10.000,- DM.
  • Für statistische Arbeiten musste jedes Unternehmen 1979 ca. 100 Stunden leisten.
  • Für den normalen Betriebsablauf und dessen Kontrollen sowie Meldungen waren 1979 265 Stunden (13.100,- DM) notwendig.

Da die meisten Meldungen, Kontrollen und Formulare für alle Betriebsgrößen gleich sind, ist die relative Kostenbelastung durch die überwälzten Bürokratiearbeiten bei kleinen Unternehmen 10mal so stark wie bei Unternehmen mit über 100 Mitarbeitern. Pro Mitarbeiter kostete die Bürokratie die Kleinunternehmen im Jahr 1979 6.846,- DM, bei Mittelunternehmen mit über 500 Beschäftigten jedoch nur 493,- DM. Die Bürokratieüberwälzung belastet also umgekehrt proportional zur Größe des Unternehmens und diskriminiert die 80 % Kleinunternehmen unserer Wirtschaft.[13]

Lösungen:

Schon die Regierung Kohl hatte versucht, die überbordende Bürokratiebelastung unserer Wirtschaft einzudämmen und einen Entbürokratisierungsbeauftragten dafür ernannt. Alle dessen guten Versuche waren aber vergeblich, weil die Bürokratie selbst – vor allem die Kammern und Verbände – die Entlastung der Wirtschaft aus Eigeninteresse torpedierten.

Das Mittelstandsinstitut Hannover hat vorgeschlagen,

  • die Lebensdauer der Gesetze zu begrenzen. Es sollten nicht mehr „ewige Gesetze“ beschlossen werden, weil sich die Zeitumstände doch immer schneller wandeln. Die Menschen regenerieren sich in 7 Jahren, Maschinen sind in 10 Jahren verbraucht. Gesetze dürfen deshalb nicht ewig dauern. Wäre die Gesetzeslebenszeit auf 10 Jahre (Verordnungen 5 Jahre) begrenzt, müssten sich die Parlamente mit der Sinnhaftigkeit dieser Gesetze immer wieder neu beschäftigen und könnten wir vielleicht die Gesetzesflut reduzieren.

Allerdings ist seit 1979 eine Zusatzgesetzesflut (schon 70 % bei uns) durch die EU niedergeprasselt. Da aber diese Richtlinien mit Zustimmung unserer Regierung beschlossen wurden, ist diese auch für die europäische Gesetzesflut mitverantwortlich und muss sie bremsen.

  • Um der Überbürokratisierung entgegenzuwirken, müssten unsere Gesetze wieder generell und unsere Verwaltungsverantwortung wieder dezentralisiert werden. Die Beamten müssen wieder Ermessensspielraum bekommen. Dazu ist nötig, dass der Rechtsmittelmissbrauch eingeschränkt wird. Dies könnte z. B. dadurch geschehen, dass es bei verlorener erster Instanz keine Anwaltsgebühren mehr gibt, in Asylverfahren nur eine Instanz und bei Ordnungswidrigkeiten nur Behördenbeschwerde ohne Klagerecht.
  • Gegen die ausufernde Aufgabenverwaltung sollte ein Grundsatzgesetz die Pflicht zur Privatisierung vorschreiben, falls die Behörde nicht nachweist, dass sie die Aufgabe billiger selbst durchführen kann (Beweisumkehr).
  • Gegen die Bürokratieüberwälzung würde helfen, wenn grundsätzlich keine Zwangs- und Totalstatistiken mehr von der Wirtschaft verlangt würden, also die Verbände die von ihnen gewünschten Statistiken selbst und repräsentativ (wie im Ausland auch) bezahlen müssen. Bei allen Kontrollmeldungen müssten Behörden und Finanzämter nachweisen, warum sie neue Daten bei der Wirtschaft abfordern, statt sie aus ihren Unterlagen selbst zu erstellen.

Und warum müssen Firmen in Deutschland die Steuern- und Sozialabgaben ihrer Mitarbeiter berechnen und abführen; warum dürfen unsere Arbeitnehmer nicht wie im Ausland ihre Abgaben selbst entrichten?

Lassen wir uns weiter mit wachsender Gesetzesflut und Bürokratie gängeln, rutschen wir immer mehr von der freien Marktwirtschaft in die Verwaltungswirtschaft und vom selbstverantwortlichen Bürger in den Untertanenstatus.

Die neue sozialistische Regierung hat dazu einen neuen Zentralisierungs- und Verwaltungsschub gegeben.

[1] 2 Mio. Unternehmer kamen aus dem Osten

[2] So Roman Herzog

[3] Vgl. Hamer, Eberhard „Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft“, Hannover 1979, S. 2

[4] Wie zuvor, S. 2/3

[5] Wie zuvor, S. 3

[6] Wie zuvor, S. 3

[7] Vgl. Hamer, Eberhard „Privatisierung als Rationalisierungschance“, Hannover 1981 und Hamer/Gebhardt „Privatisierungspraxis“, Hannover 1992

[8] Vgl. Hamer/Gebhardt „Privatisierungspraxis“, Hannover 1992, S. 221 ff.

[9] Dies hängt auch damit zusammen, dass die durch den Boom sprudelnden öffentlichen Steuern und Abgaben den Staat nicht vor ernsthafte Sparzwänge gestellt haben

[10] Vgl. Hamer, Eberhard „Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft“ a.a.O., S. 151

[11] Weil die Gewerkschaften sich dies verbitten würden

[12] Vgl. Hamer, Eberhard „Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft“, S. 151

[13] Wie zuvor

 

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