Lage Ukraine 23.2.23 – Warten auf die russische Offensive

Die Kämpfe an der Donbass-Front konzentrieren sich auf Artjomowsk/Bachmut und Liman. An den anderen Abschnitten herrschen Artillerieduelle vor. Die Stadt Donezk liegt weiterhin unter schwerem ukrainischen Feuer.

In Artjomowsk und Liman rücken die russischen Kräfte langsam weiter vor. Erstere Stadt ist weitgehend eingeschlossen. Dennoch ist die ukrainische Verteidigung an allen Stellen nach wie vor hartnäckig.

Die russischen Absichten, die erwartete Großoffensive betreffend, liegen weiter im Dunkeln. Im Westen macht sich diesbezüglich Nervosität breit. Die Spekulationen schießen ins Kraut.

Wann, wo und in welcher Stärke werden die Russen zuschlagen? Werden sie überhaupt zuschlagen? Eine klare Antwort kann auf diese Fragen im Moment nicht gegeben werden.

Einige Kommentatoren vermuten, dass Moskau vor einer größer angelegten Offensive im Donbass seine Truppen zunächst weiter verstärken wird. Hierzu sei allerdings eine weitere Mobilisierung von wenigstens 500.000 Mann erforderlich, die mindestens zwei Monate dauern würde, so die Stimmen. Sichere Anzeichen hierfür liegen allerdings nicht vor.

Gleichzeitig werden die Russen vermutlich ihren Bestand an Munition und Gerät aufstocken wollen, vor allem für Artillerie und Luftwaffe. Der traditionellen russischen Kampfweise entspricht, Offensiven erst dann zu beginnen, wenn ein Erfolg sicher gestellt ist. Risiken geht man ungern ein. Schnelle, kühne Vorstöße unter Verlagerung von Schwerpunkten und dabei Inkaufnahme von Schwächung an anderen Stellen, ist nicht Sache Moskaus. Man geht langsam und bedächtig ans Werk.

Das Streben nach deutlicher Übermacht an Artillerie und Luftwaffe bleibt das wesentliche Kennzeichen der russischen Kampfführung. Erst wenn die Truppen am Boden entsprechende Unterstützung erhalten können, wird mit größeren russischen Aktionen zu rechnen sein. Das Wann und Wo muss vorläufig offen bleiben.

Die Meinungen gehen darüber auseinander, ob die Ukraine zu Gegenschlägen größeren Umfanges überhaupt noch in der Lage ist. Angaben über die Truppenstärken an der Donbass-Front gehen weit auseinander. Der israelische Geheimdienst soll unlängst von nur noch 145.000 Mann gesprochen haben. Sicher ist, dass Kiew zum Ausgleich der enormen Verluste bereits seine strategischen Reserven einsetzen muss. Schenkt man Berichten im Netz Glauben, dann werden junge Männer in den ukrainischen Städten mittlerweile von der Straße weg zwangsrekrutiert. Das Führerpersonal dürfte ebenfalls stark dezimiert sein. Ein Ersatz von Offizieren und Unteroffizieren ist natürlich noch schwieriger als der von Mannschaften.

Was Material und Gerät anbelangt, ist die ukrainische Armee zu 100% auf den Westen angewiesen. Eine eigene Produktion existiert nicht mehr. Das Wohl und Wehe der Ukraine hängt davon ab, inwieweit die USA und ihre Verbündeten Kiew auf weitere Sicht in großem Umfang Waffenhilfe leisten können und wollen. Auch nur ein Nachlassen hätte für die Ukraine verheerende Folgen.

Aus Sicht der meisten objektiven Beobachter wird die Wirkung der angekündigten Lieferungen von Kampfpanzern an die Ukraine weit überschätzt. Erstens ist deren Anzahl zu gering, um eine Entscheidung herbeizuführen, andererseits ist unklar, ob die viel zu kurz ausgebildeten Besatzungen das Gerät im Gefecht überhaupt beherrschen können. (Wir lassen an dieser Stelle die aus unserer Sicht unwahrscheinliche Möglichkeit außer Acht, dass die Fahrzeuge von NATO-Besatzungen bedient werden könnten, wie einige Kommentatoren behaupten.) Bisher jedenfalls sind keine modernen NATO-Kampfpanzer an der Front aufgetaucht. Völlig unklar ist weiterhin, ob der Westen neue Kampfflugzeuge liefern und damit den Konflikt weiter eskalieren wird.

Videos im Netz zeigen Transporte des modernsten russischen Kampfpanzers T-14. Ob sie an die Front gehen, ist unbekannt. Unklar ist auch, wie viele dieser Geräte Moskau zur Verfügung hat. Einige Experten sprechen von bis zu 2.000 Stück. Im Einsatz war er bisher nicht, soll aber erprobt sein.

Der T-14 zeichnet sich durch eine schmale und niedrige Silhouette aus. Er ist der bisher erste Kampfpanzer weltweit, der über einen unbemannten, vollautomatischen Geschützturm verfügt. Die dreiköpfige Besatzung sitzt in der schwer gepanzerten Wanne des Fahrzeuges. Der T-14 ist mit einer 125 mm Glattrohrkanone ausgerüstet, die unterkalibrige Munition (Wuchtgeschosse) sowie gelenkte Raketen verschießen kann. Sie verfügt über moderne, rechnergestützte Zieleinrichtungen. Erst kürzlich hat Russland für das Geschütz verbesserte Wolfram-Munition beschafft. Experten sehen den T-14 den neuesten westlichen Kampfpanzern wenigstens ebenbürtig.

2 thoughts on “Lage Ukraine 23.2.23 – Warten auf die russische Offensive

  1. Lieber Herr,
    Sie erwähnen in Ihrem durchaus aufschlußreichen Artikel in Abs. 6, daß der Auftakt des massiven Einsatzes der russischen Luftwaffe und der Artillerie bevor die Infantrie in die geschwächten Stellungen des Gegners einrückt die traditionelle Kampfmethode der russischen Militärdoktrin sei.
    Verzeihen Sie meinen Einwand gegen das Adjektiv „traditionell“. Nach meinen allerdings bescheidenen Kenntnissen des 1. und 2. Weltkrieges drängt sich mir dort eine gut belegte andere traditionelle Kampfesweise auf: Infantrieeinsatz auf Deubel komm raus! Der Mensch spielt keine Rolle. Mir scheint, daß die gegenwärtige russische Kampftaktik sich nunmehr der deutschen und amerikanischen angeglichen hat: Massiver Materiealeinsatz, um das Leben der eigenen Soldaten zu schonen. Würden Sie dem zustimmen können?
    Mit
    bestem Gruß
    Friedrich Bode, Pastor i. R.

    1. Sehr geehrter Herr Bode,
      Sie haben Recht. Die Schonung des Soldaten gehörte traditionell nicht zur Kampfweise der Russen/Sowjets. Danke für Ihren Hinweis.
      Mit freundlichen Grüßen
      Ihre SWG-Redaktion

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