Der Staat wirbt dem Mittelstand das Personal ab

von Prof. Dr. Eberhard Hamer

Im Mittelstandsinstitut Niedersachsen häufen sich die Klagen – vor allem aus Handwerk und freien Berufen -, dass öffentliche Körperschaften ihnen ihre Mitarbeiter mit Gehaltsangeboten abwerben, die ein mittelständischer Unternehmer nicht zahlen kann.

Mittelständische Unternehmen müssen nämlich immer unter nahezu vollständiger Konkurrenz ihren Umsatz täglich erkämpfen. Sie bekommen für ihre Produktion oder Dienstleistung nur einen Marktpreis, und auch nur dann, wenn die Leistung erbracht und abgenommen ist. Bestreitet der Abnehmer die Ordnungsmäßigkeit der Leistung, so kann er damit zumindest die Zahlung hinauszögern, vielleicht auch mindern. Der mittelständische Unternehmer muss also aus den für geleistete Arbeiten erzielten Preisen und Erträgen seine Kosten bezahlen. Der Unternehmer kann seinen Mitarbeitern nicht mehr bezahlen als er für die von ihnen geleisteten Arbeiten als Preis vom Kunden bekommt. In dieser Schere sind die meisten Handwerksbetriebe, die ihren Mitarbeitern gerne höhere Löhne zahlen würden – wenn sie nur könnten. Sie können aber wegen der Konkurrenz keine höheren Preise erzielen als den Marktpreis und deshalb auch keine höheren Löhne zahlen. Immerhin macht bei Handwerksbetrieben der Faktor Arbeit meist 40 bis 60 % der Kosten an einem Auftrag aus, bei den freien Berufen sogar bis zu 80 %. Wenn also die Betriebe nicht mehr für ihre Arbeit bekommen, können sie auch ihr Personal nicht höher bezahlen.

Das ist in der Industrie ganz anders. Diese arbeitet nicht dominierend mit dem Faktor Arbeit, sondern mit Maschinen, mit Kapital und nicht mit Einzelfertigung, sondern mit Serien- und Massenfertigung bzw. -leistung. Wenn also die Gewerkschaften über Lohnerhöhungen verhandeln, macht der Lohnanteil bei Kapitalgesellschaften meist unter 15 % ihrer Gesamtkosten aus – bei der Chemie und Pharmazeutik unter 3 %. Bei den mittelständischen Einzelfertigern und Einzeldienstleistern dagegen multipliziert jeder von den Tarifparteien vereinbarte Prozentsatz die ohnehin dominierenden Lohnkosten.

Beim Staat und in den öffentlichen Körperschaften dagegen wird der Lohn nicht leistungsabhängig, sondern aus Steuern und Sozialabgaben, also aus Abgaben der Bürger gezahlt. Wenn die Kosten der öffentlichen Organisationen steigen, werden eben einfach die Steuern und Beiträge erhöht.

Beispiel ist der öffentliche Rundfunk mit den üppigsten Gehältern seiner Funktionäre, die  mit Zwangsbeiträgen (GEZ) einfach auf die Nutzer umgelegt und ständig erhöht wurden.

Die Mitarbeiter in öffentlichen Institutionen haben zudem ein völlig anderes Entlohnungssystem. Sie werden nach Arbeitszeit statt nach Arbeitsergebnis bezahlt.

Das war für die Hoheitsverwaltung auch richtig, denn in der Hoheitsverwaltung geht es um die Rechtlichkeit der Durchführung und nicht nach Leistungskriterien. Da aber die Hoheitsverwaltung nur 20 % der öffentlichen Verwaltung insgesamt ausmacht, werden 80 % der Mitarbeiter in den öffentlichen Institutionen an Bildung, Gesundheit und vielfältigen öffentlichen Einrichtungen nach dem falschen Prinzip entlohnt.

Dass Entlohnung nach Arbeitszeit statt nach Leistungsergebnis ineffektiv ist, haben tausende von Einzeluntersuchungen der Privatisierungsforschung gezeigt: Im Schnitt arbeiten öffentliche Mitarbeiter 30 % ineffektiver als privatwirtschaftliche, sind die Kosten öffentlicher Durchführung on wirtschaftlichen Aufgaben mindestens 30, oft aber 50 oder 80 % höher als die Marktangebote privater Unternehmer für diese Leistung[1]. Selbst die Gewerkschaften bekämpfen Privatisierungen öffentlicher Aufgaben mit dem Argument, dass damit „ein Drittel der Mitarbeiterstellen verlorengehen“, also die private Wirtschaft mindestens ein Drittel billiger arbeiten kann als der öffentliche Sektor.

Das hängt damit zusammen, dass unter dem Druck des Wettbewerbs die private Wirtschaft ständig ihre Kosten reduzieren muss, während der Staat nicht in Konkurrenz steht, also nicht unter Kostendruck, sondern öffentliche Institutionen üblicherweise, wenn die Mitarbeiter die gewünschte Aufgabe nicht erfüllen, nach mehr Personal rufen und einstellen.

Das Mittelstandsinstitut Hannover hat empirisch untersucht, warum Mitarbeiter lieber in öffentlichen Institutionen arbeiten wollen oder in privaten Firmen. Das Ergebnis war nicht überraschend: In öffentliche Institutionen drängen Menschen, die vor allem Sicherheit ihres Arbeitsplatzes suchen. In Kapitalgesellschaften drängen Mitarbeiter, welche die höchstmöglichen Löhne suchen. In die mittelständischen Personalunternehmen drängen aber Menschen, welche wie in einer Sportmannschaft das Teamwork und die Wertschätzung jedes einzelnen Mitarbeiters für die Mannschaft wünschen[2].

Die Vielfältigkeit und Gemeinschaftsarbeit sowie das Bewusstsein der Mitarbeiter, dass sie für diese individuelle Arbeit und damit für den Betrieb unverzichtbar und notwendig sind, ist eines der Geheimnisse des höchsten Humanwerts unserer kleinen und mittleren Personalunternehmen, die allerdings 96 % aller Unternehmen in Deutschland ausmachen und zwei Drittel aller Arbeitnehmer beschäftigen.

Noch vor 50 Jahren drängten die Jugend und die Leistungsträger in die Wirtschaft, weil sie dort mehr verdienen konnten als beim Staat. Inzwischen aber sind öffentliche Arbeitsverhältnisse selbst bei Minderleistung nicht nur sicherer gegen Entlassung, sondern auch in Arbeitszeit, Beihilfe zu Krankheitskosten und Alterssicherung und sogar in der Gehaltsstruktur günstiger als vergleichbare Arbeitsplätze in der mittelständischen Wirtschaft. Der Staat kann also, da er nicht von Leistungspreisen, sondern von Zwangsabgaben der Bürger lebt, höhere Gehälter zahlen als die privaten Unternehmen, von denen er lebt.

So hat der Staat immer wieder mit großer Propaganda für Ausbildungsplätze in der Wirtschaft geworben und haben die mittelständischen Personalunternehmen mehr als 80 % der Ausbildung unserer Gesellschaft geleistet; – Wenn die Mitarbeiter aber ausgebildet und erprobt waren, sind viele von ihnen nicht mehr im Ausbildungsbetrieb geblieben, sondern wurden von öffentlichen Körperschaften abgeworben. So war es immer schon üblich, Chefsekretärinnen aus Anwaltsbüros abzuwerben, weil sie dort Selbständigkeit, Fleiß und Sondereinsatz gelernt hatten. Und die meisten Hausmeister in öffentlichen Institutionen stammen aus Handwerksbetrieben.

Der Facharbeitermangel in Handwerk und freien Berufen ist nur zum geringen Teil auf mangelnde Ausbildung zurückzuführen[3], liegt mehr noch an den Abwerbungen, mit denen Staat und Kapitalgesellschaften den mittelständischen Unternehmen die von ihnen ausgebildeten Mitarbeiter wegengagieren.

Inzwischen besteht Wut bei den mittelständischen Unternehmern über „die Behörden und öffentlichen Organisationen, welche von uns immer höhere Abgaben haben wollen, nehmen uns unsere Mitarbeiter mit ständig höheren Angeboten weg“.

Allein in den letzten 10 Tagen erlebte das Mittelstandsinstitut, dass

  • einem Installateur ein wichtiger Geselle durch ein Krankenhaus mit hoher Alterssicherung und 600 Euro mehr Gehalt abgeworben worden sei,
  • ein Rechtsanwalt seine Bürovorsteherin an eine Umweltorganisation verloren habe, die dort ein Drittel mehr verdient,
  • ein Tischlermeister seinen Gesellen an die Feuerwehr (450 Euro mehr) verloren habe,
  • ein Architektenbüro seinen Computerfachmann nicht mehr halten konnte, weil dieser beim Umweltamt mehr als 1.000 Euro mehr verdienen kann,
  • ein Bäckermeister seinen Gesellen verlor, weil dieser bei angenehmerer Arbeitszeit und 380 Euro mehr Geld eine öffentliche Pförtnerstelle bekam
  • und ein Elektriker seinen Gesellen an die Schulbehörde verlor, um dort Elektroinstallationen zu warten.

Bedenkt man, dass alle diese Wechsel von der privaten Wirtschaft zu öffentlichen Institutionen nicht nur wesentlich höher bezahlt wurden, sondern auch einen Wechsel von den produktiv-mittelständischen Leistungseinheiten zu unproduktiven darstellt, dass im Schnitt mehr als ein Drittel Produktivität damit verloren, aber trotzdem bis zu ein Drittel mehr dafür bezahlt wird, ist dies nicht nur für die betroffenen Bertriebe schädlich, sondern auch volkswirtschaftlich.

Im Boom haben wir nicht so sehr gemerkt, dass die Ausdehnung der Staatsaufgaben in die Privatwirtschaft hinein unsere Wirtschaftsstruktur verändert hat. Nun bricht in der Krise der Gegensatz zwischen Staatsleistung und Privatleistung auf, weil „ein immer fetterer und impotenterer Staat“ zu immer größerer unproduktiver Last für immer weniger produktive Privatbetriebe wird.

Volkswirtschaftlich sollte eine Krise wie der Winter in der Natur auch in Wirtschaft und Verwaltung eine Zwangsregeneration bedeuten, also nicht nur die unrentablen Betriebe vom Markt verschwinden lassen, sondern auch die unproduktiven Verwaltungen. Der Staat schlankt aber zuletzt ab, weil er seine Ausgaben nicht – wie die private Wirtschaft – nach den Einnahmen richten muss, sondern umgekehrt seine Ausgaben bestimmt und danach die Zwangseinnahmen festlegt.

Erst wenn die Politik nicht mehr auf mehr Staat, mehr Staatsaufgaben und mehr Staatsverwaltung setzt, sondern mit sinkenden Steuern und Sozialabgaben auch die entsprechenden Verwaltungen und Dienstleistungen reduzieren muss, steht auch der Staat als letzter unter Sparzwang.

Bis unsere Regierung diesen Zwang aber nicht nur fühlt, sondern auch erfüllt, muss wohl die Rezession erst noch zur Depression werden.

[1] Vgl. Hamer/Gebhardt „Privatisierungspraxis“, Hannover 1992 und „Privatisierungsbilanz“, 1996

[2] Vgl. Gebhardt/Hamer „Humanwerte der Betriebstypen“, Hannover 2005

[3] Weil diese Ausbildung immer mehr bürokratisiert und deren Kosten zu hoch geworden sind

 

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