Interview von Moritz Schwarz mit dem Staatsrechtler Prof. Dr. Dietrich Murswiek für die „Junge Freiheit“ vom 25.2.2024.
Staatsrechtler warnt vor Faeser-Plan: „Gesinnungskontrolle“
SPD-Innenministerin Nancy Faeser will gegen „Rechtsextremismus“ vorgehen. Doch ihr neuer Maßnahmenplan überschreitet die Grenzen des Grundgesetzes – warnt der renommierte Verfassungs- und Staatsrechtler Dietrich Murswiek.
Herr Professor Murswiek, hat der Staat nicht entschlossen gegen Extremismus vorzugehen?
Dietrich Murswiek: Er darf und muß nach dem Grundgesetz und den Verfassungsschutzgesetzen Extremismus bekämpfen. Unter „Extremismus“ können dabei aber nur verfassungsfeindliche, das heißt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verstanden werden.
Die Regierung darf also keine politischen Meinungen und Ideen bekämpfen, nur weil sie ihr mißfallen?
Murswiek: Richtig, ihre Kritiker einfach zu „Extremisten“ zu erklären, um hoheitlich gegen sie vorgehen zu können, ist nicht erlaubt. Programme gegen Extremismus sind somit im Prinzip zulässig, wenn sie sich erstens wirklich gegen Extremismus richten und zweitens keine verfassungswidrigen Mittel einsetzen. Außerdem muß der Staat Extremismus unabhängig davon bekämpfen, ob er von rechts oder links oder sonstwoher kommt.
Und wird das neue 13-Punkte-Maßnahmenpaket des Bundesinnenministeriums „Rechtsextremismus entschlossen bekämpfen“ dem nun gerecht?
Murswiek: Dazu muß man sich die einzelnen Punkte ansehen: Leider ist die Sprache des Papiers unpräzise, so daß man mitunter nicht weiß, ob es sich noch im Rahmen des Grundgesetzes bewegt.
Staatsrechtler Murswiek: „Offenbar soll die Polizei schon gegen nicht strafbare Inhalte vorgehen.“
Zum Beispiel?
Murswiek: Punkt 5 lautet: „Haß im Netz bekämpfen“. Ziel sei es, „strafrechtlich relevante Inhalte im Internet konsequent zu bekämpfen“. So formuliert ist dagegen nichts einzuwenden. Aber „Haß“ ist kein Straftatbestand. Wenn schon die Überschrift plakativ die staatliche Bekämpfung von etwas fordert, was nicht strafbar ist, sollte man mißtrauisch werden.
Im folgenden Text heißt es, „die Verfolgung strafbarer Inhalte im Internet wird weiter gestärkt“. Auch dagegen ist nichts zu sagen. Doch dann liest man: „Zudem sollen inkriminierte Inhalte aus dem Internet entfernt werden, um der Verrohung der Sprache im virtuellen Raum entgegenzuwirken.“ Wären mit „inkriminierten Inhalten“ nur strafbare Inhalte gemeint, bräuchte man die Befürchtung einer Sprachverrohung nicht als zusätzliche Begründung.
Anscheinend aber soll die Polizei schon gegen nicht strafbare Inhalte, die als verrohend angesehen werden, vorgehen können. „Inkriminiert“ werden diese dann wohl von der Polizei selbst, vielleicht auch vom Verfassungsschutz, vielleicht auch von NGOs, mit denen die Polizei zusammenarbeitet. Und das BKA soll bei den Internet-Providern die Löschung der inkriminierten Inhalte „anregen“.
Daß es sich um nicht strafbare, von der Meinungsfreiheit gedeckte Inhalte handelt, ergibt sich auch daraus, daß das Papier des Bundesinnenministeriums im nächsten Satz formuliert: „Dort, wo es die gesetzlichen Regelungen ermöglichen, werden darüber hinaus durch Entfernungsanordnungen die Grundlagen für eine zwangsweise Durchsetzung etwaiger Löschungen geschaffen.“
Natürlich muß der Staat dafür sorgen, daß verbotene, strafbare Inhalte aus dem Internet verschwinden. Der Rechtsstaat schränkt die Freiheit – auch die Meinungsfreiheit – zum Schutz der Rechtsgüter anderer Menschen durch Verbote ein und setzt diese Verbote durch. Aber wenn die Polizei gegen nicht strafbare, nicht verbotene Inhalte vorgeht, indem sie bei den Providern die Löschung „anregt“, verläßt sie den Rahmen des Rechtsstaats.
„Hier soll die Mitgliedschaft in einer Partei bestraft werden“
Was folgt daraus? Wird diese Passage in Karlsruhe kassiert?
Murswiek: Das ist ja kein Gesetz, nur ein Programm. Über so etwas entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht. Aber wenn künftig tatsächlich das BKA für die Löschung nicht strafbarer Inhalte sorgt, können die Betroffenen dagegen klagen – höchstwahrscheinlich erfolgreich.
Weiter sollen Rechtsextremisten „entwaffnet“ werden. Klingt gut, wer will schon bewaffnete Extremisten?
Murswiek: Klar, wer politische Ziele mit Gewalt durchsetzen will, muß daran gehindert werden. Daher ist es richtig, gewaltbereiten Extremisten den Besitz von Waffen zu verbieten. Wenn sich der Extremismus aber nicht in Gewaltbereitschaft äußert, sondern darin, daß jemand extremistische Meinungen vertritt, leuchtet nicht ohne weiteres ein, daß er waffen- und jagdrechtlich unzuverlässig ist. Die Innenministerin will nun sogar allen Angehörigen einer Partei, die der Verfassungsschutz lediglich als Verdachtsfall einstuft, den Waffenbesitz untersagen. Das trifft viele AfD-Mitglieder, die Jäger oder Sportschützen sind. Aus meiner Sicht eine zu weitgehende, schikanöse Freiheitseinschränkung. Da ein legitimes Sicherheitsinteresse nicht ersichtlich ist, wird hier in Wirklichkeit die Parteimitgliedschaft bestraft.
„Angst, die AfD könnte auf diese Weise das Bundesverfassungsgericht besetzen“
Ein wichtiger Punkt des Plans ist, die „Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts gegen die Einflußnahme demokratiefeindlicher Kräfte abzusichern“.
Murswiek: Gemeint ist wohl der Vorschlag, das Verfahren für die Wahl von Verfassungsrichtern künftig im Grundgesetz, statt wie bisher nur im Bundesverfassungsgerichtsgeset
Dahinter steht folgende Überlegung: Das Bundesverfassungsgerichtsgeset
Das wird verhindert, wenn das Zwei-Drittel-Erfordernis im Grundgesetz verankert wird, bevor die AfD dermaßen stark geworden ist, denn das Grundgesetz kann nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat geändert werden.
AfD hin oder her, keine Partei sollte allein alle Richter bestimmen.
Murswiek: Auch nicht die Hälfte – aber zu dieser Grundgesetzänderung wird es wohl gar nicht kommen. Denn anders als jene Juristen, die der Innenministerin das eingeblasen haben, haben andere Juristen erkannt, daß gerade das Zwei-Drittel-Erfordernis bei der Richterwahl der AfD nützen könnte.
Wie das?
Murswiek: Viel wahrscheinlicher, als daß sie die Parlamentsmehrheit erreicht, sei, daß die AfD ein Drittel der Mandate erringt – und damit über die Sperrminorität für die Wahl der Verfassungsrichter verfügen würde. Man müsse sich daher die Option offenhalten, das Wahlverfahren so zu ändern, daß man auf die Stimmen der AfD nicht angewiesen sei.
Und das könnte wie aussehen?
Murswiek: Das Quorum könnte abgesenkt werden.
„Changieren zwischen rechtsstaatlicher Kontrolle und rechtsstaatswidriger Übergriffigkeit“
Eine weitere Forderung des Papiers: Der Verfassungsschutz soll „Informationen an Behörden vor Ort übermitteln, wie Polizei und Ordnungsbehörden oder Gewerbe- und Gaststättenaufsicht“. Letzteres klingt allerdings potentiell totalitär oder etwa nicht?
Murswiek: In diesem Abschnitt wird das Changieren zwischen rechtsstaatlicher Kontrolle und rechtsstaatswidriger Übergriffigkeit besonders deutlich. Zwar sichert man sich verbal damit ab, die Bekämpfung des Rechtsextremismus solle „im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten bleiben“, doch ansonsten spricht der Text eine andere Sprache: „Extremistische Umtriebe“ will man so unter Druck setzen wie „bei der ganzheitlichen Bekämpfung organisierter Kriminalität und Clankriminalität“.
Durch Ahndung „jedweder Rechtsverstöße“ soll das „klare Signal“ gesetzt werden, daß „wehrhafte Demokratie einen starken Staat beinhaltet“. Selbstverständlich ist Rechtsdurchsetzung Aufgabe des Staates. Aber die Kraftmeierei mit dem „starken Staat“ läßt vermuten, daß – geht es gegen Rechts – der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Rolle spielen soll.
Frau Faeser twitterte zur Erläuterung: „Wir wollen bei Rechtsextremisten jeden Stein umdrehen. Wer den Staat verhöhnt, muß es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Den Staat zu „verhöhnen“, also sich über die Regierung lustig zu machen, ist aber keine Straftat, sondern Ausübung der Meinungsfreiheit. Dies auf eine Ebene mit Clankriminalität zu stellen und „jeden Stein umdrehen“ zu wollen, ist eine Drohung, die sich gegen die Freiheitsrechte richtet!
Einen Eindruck davon, was gemeint sein könnte, gibt die Akte des Verfassungsschutzes über dessen Ex-Präsidenten Hans-Georg Maaßen, die alle Zeitungsartikel, die er geschrieben, alle Interviews, die er gegeben hat, wohl möglichst vollständig auflistet, ohne daß eine verfassungsschutzrechtliche Relevanz ersichtlich ist. Wenn Personen, die der Verfassungsschutz als rechtsextremistisch einstuft, Äußerungen von Hans-Georg Maaßen loben, wird dies notiert und soll Maaßen offenbar belasten.
Die Akte erweckt den Eindruck einer umfassenden Überwachung des öffentlichen Lebens einer in Ungnade gefallenen Person. Die Polizei dreht „jeden Stein um“, wenn sie einen Mord aufklärt. Das Leben von Menschen wie Maaßen, die weder gewalttätig sind noch gegen Gesetze verstoßen haben, in dieser Weise auszuforschen und in einer Akte zu dokumentieren, ruft dagegen Erinnerungen an Stasi-Zeiten wach.
Der Abschnitt spricht auch davon, daß auf Grundlage von Informationen des Verfassungsschutzes Polizei- und Ordnungsbehörden „zum Beispiel rechtsextremistische Veranstaltungen“ untersagen können.
Murswiek: Das ist zumindest mißverständlich, denn eine Veranstaltung kann nicht untersagt werden, weil sie als rechtsextrem bewertet wird, sondern nur, wenn Gefahr besteht, daß dort Straftaten begangen werden.
„Da unterscheidet sich die deutsche Demokratie von allen anderen“
Allerdings haben sowohl Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang als auch Familienministerin Lisa Paus betont, daß Rechtsextremismus auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle bekämpft werden solle. Ist das mit dem Grundgesetz vereinbar?
Murswiek: Es kommt darauf an, was gemeint ist, der Verfassungsschutz darf verfassungsfeindliche Bestrebungen auch dann beobachten und vor ihnen warnen, wenn die Verfassungsfeindlichkeit sich nicht in Straftaten, sondern in legalen Verhaltensweisen äußert, etwa wenn ein Politiker die Forderung erhöbe, die Unabhängigkeit der Gerichte zu beseitigen.
Das dürfte als Anhaltspunkt für eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und also als extremistisch gewertet werden. Darin unterscheidet sich die deutsche „wehrhafte Demokratie“ von allen Demokratien der westlichen Welt.
Und das ist gut oder schlecht?
Murswiek: Man kann darüber streiten, ob es richtig ist, den Inlandsgeheimdienst zur Ausforschung und Anprangerung legaler Verhaltensweisen einzusetzen, aber es ist geltendes Recht. Doch dürfen Behörden extremistische Meinungsäußerungen, die nicht gesetzwidrig und strafbar sind, nicht verbieten.
Verfassungswidrig ist es auch, Meinungsäußerungen oder Veranstaltungen, die mangels Rechtsgrundlage nicht verboten werden können, mit anderen Mitteln als durch behördliche Verbote zu verhindern.
Deshalb ist im Bundestag gerade das Vorhaben gescheitert, den Verfassungsschutz zu ermächtigen, etwa Gastwirte zu informieren, daß der Veranstalter einer bei ihnen geplanten Versammlung als Extremist bewertet wird und sie ausdrücklich oder implizit aufzufordern, den Mietvertrag zu kündigen.
„Das Demokratiefördergesetz ist in Wirklichkeit ein
Weiter will der Plan „Banken sensibilisieren“. Doch weil es dafür „gesetzliche Grenzen gibt, Finanzermittlungen auf volksverhetzende und gewaltorientierte Bestrebungen beschränkt sind“, soll das Bundesverfassungsschutzgesetz „so geändert werden, daß es auf das Gefährdungspotential ankommt, für das Faktoren wie Aktionspotential und gesellschaftliche Einflußnahme relevant sein können“. Was genau heißt das?
Murswiek: Das ist unklar, hört sich aber an, als ob es auf die AfD zielt, auf die Resonanz, die sie laut Umfragen findet. Falls es darum geht, auf Banken und Spender der Partei einzuwirken, um der Partei die Finanzierung zu erschweren, ist das mit dem Parteienprivileg in Artikel 21 Grundgesetz unvereinbar.
Bestandteil des Maßnahmenpakets ist auch das seit 2022 geplante berüchtigte „Demokratiefördergesetz“, das nun in diesem Jahr verabschiedet werden soll.
Murswiek: Der Name ist Orwellscher Neusprech. In Wirklichkeit ist es ein Demokratiebeschädigungsgesetz. Es soll den rechtlichen Rahmen dafür bilden, Hunderte Millionen Euro Steuergeld an Organisationen der „Zivilgesellschaft“ zu verteilen, die damit bekämpfen, was sie für extremistisch halten.
De facto fördert die Ampel also ihr nahestehende Vorfeldorganisationen, die alles attackieren, was rechts der CDU/CSU steht. Übrigens ohne sicherzustellen, daß die Steuermillionen nicht Linksextremisten zufließen. Auf diese Weise kann dann mit diesen Geldern auch gegen die AfD agitiert werden.
Was die Regierung wegen des Neutralitätsgebots nicht darf, ermöglicht sie also indirekt durch diese Art der „Demokratieförderung“. Das ist mit dem Demokratieprinzip und dem Prinzip der Chancengleichheit der politischen Parteien unvereinbar.
„Es geht nicht mehr um verfassungsfeindliches Verhalten, sondern um Gesinnungen“
Der „Cicero“ nennt Frau Faesers Plan eine „Schande für die Demokratie“. Wie lautet Ihr Fazit?
Murswiek: Die freiheitsschützenden Strukturen des Rechtsstaats werden aufgeweicht, wenn der Staat, um angeblich die Verfassung zu schützen, nicht auf verfassungsfeindliches Verhalten, sondern auf als extremistisch bewertete Gesinnungen mit repressiven Maßnahmen reagiert. Und ebenso wenn er hoheitliche Aufgaben zur Gesinnungskontrolle und Meinungslenkung auf private Organisationen auslagert und ihre Ausübung so dem Rechtsschutz entzieht. Diese Tendenz beobachten wir seit Jahren; sie wird durch das Maßnahmenpaket verstärkt.
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Prof. Dr. Dietrich Murswiek leitete bis zu seiner Emeritierung 2016 das Institut für Öffentliches Recht der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg. Der Staats- und Völkerrechtler, geboren 1948 in Hamburg, ist Mitautor des „Bonner Kommentars zum Grundgesetz“, war Gutachter und Prozeßbevollmächtigter für CDU/CSU, Grüne, Linke, ÖDP und AfD, darunter auch für mehrere Verfassungsbeschwerden. Ein Schwerpunkt seiner Forschung ist das Verfassungsschutzrecht, wozu er 2020 den Band „Verfassungsschutz und Demokratie. Voraussetzungen und Grenzen für die Einwirkung der Verfassungsschutzbehörden auf die demokratische Willensbildung“ veröffentlichte.