Ein Sieg für die Meinungsfreiheit in Karlsruhe

Vor höchsten Gerichten: Bundesregierung verfolgt Streit mit Julian Reichelt nicht weiter

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat im Streit zwischen dem früheren Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und dem Bundesentwicklungshilfeministerium „den Stöpsel gezogen“ (FAZ). Nachdem das Karlsruher Gericht am 11. April 2024 zugunsten Reichelts – und damit zuungunsten des Berliner Kammergerichtes (Oberlandesgericht) – geurteilt hatte, hat die Bundesregierung ihre Klage zurückgezogen. Das BVG: Der bundesrepublikanische Staat müsse auch polemische Kritik aushalten.

Julian Reichelt: Scharfe Kritik an der Bundesregierung

Im August vorigen Jahres hatte der ehemalige Redaktionschef der Bildzeitung, Julian Reichelt, die Bundesregierung scharf kritisiert. Reichelt hatte beim Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) geschrieben: „Deutschland zahlte in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!).“ Der ehemalige Bild-Leiter weiter: „Wir leben in einem Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus.“ Reichelt: „Was ist das nur für eine Regierung?!“

Verlinkt wurde ein längerer Artikel mit der Schlagzeile: „Deutschland zahlt wieder mehr Entwicklungshilfe an Afghanistan.“

Berliner Gericht untersagt den Tweet Reichelts

Auf Antrag der Bundesregierung untersagte das Kammergericht Berlin dem Ex-Redaktionsleiter die Kurznachricht auf X. Die Begründung des Kammergerichtes: Es handele sich hier um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Formulierung Reichelts stelle auch keine Meinungsäußerung dar, die von der im Grundgesetz (GG) geschützten Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Reichelt erwecke bei einem Durchschnittsleser vielmehr den Eindruck, als seien Gelder direkt an die Taliban geflossen. Das stimme jedoch laut BVG nicht. Vielmehr seien die Gelder an Hilfsorganisationen – wie UNICEF und etliche NGOs – gegeben worden.

Vertrauen in die Regierungsarbeit beschädigt?

Die Verlinkung des Artikels – hier werde die Empfängerseite des Geldes richtig wiedergegeben – spiele bei der rechtlichen Bewertung keine relevante Rolle. Die Tagesschau der ARD schreibt dazu: Die Kurznachricht könne der Anschein erwecken, die Bundesregierung unterstütze ein Terrorregime im Ausland.

Dies könne das Vertrauen in die Arbeit der Regierung arg beschädigen. Daher müsse Julian Reichelt den Post löschen.

Geht es hier um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung?

Reichelt legte daraufhin Verfassungsbeschwerde beim BVG ein. Mit Erfolg. „Das Bundesverfassungsgericht entschied nun, dass es sich bei dem Post nicht um eine Tatsachenbehauptung gehandelt habe, sondern dass sie als Meinungsäußerung gewertet werden müsse“ (Tagesschau).

Das Berliner Kammergericht habe nicht erkannt, dass es sehr wohl einen inhaltlichen Bezug zwischen der Kurznachricht und dem verlinkten Artikel gegeben habe. Die Tagesschau wörtlich hierzu: „Außerdem hätte das Kammergericht bedenken müssen, dass Entwicklungshilfe den Taliban auch indirekt zugutekommen kann.“

Schutz vor unberechtigten Attacken – nicht vor kritischen Äußerungen

Insofern müsse die Kritik Reichelts an der Regierung „als kritische Meinungsäußerung gewertet werden, die vom Grundgesetz geschützt sei“ (Tagesschau). In seinem Beschluss weist das BVG darauf hin, dass besonders „der Staat auch scharfe und polemische Kritik aushalten müsse“ (Tagesschau).

Wohl dürften staatliche Institutionen vor verbalen Angriffen geschützt werden. Der Schutz dürfe jedoch nicht dazu führen, die Regierung allgemein gegen öffentliche Kritik abzuschirmen.

„Die Bundesregierung ist mit ihrem offensichtlich verfassungswidrigen Versuch gescheitert, einem Journalisten mit gerichtlicher Hilfe eine Meinungsäußerung zu verbieten“, kommentierte Joachim Steinhöfel, Autor beim Nachrichtendienst Ach gut und Rechtsanwalt, das BVG-Urteil.

Und Wolfgang Kubicki (FDP) – Vizepräsident des Deutschen Bundestages – ergänzte: Damit ist die Entscheidung mehr als ein juristischer Sieg für Julian Reichel.“ Kubicki: „Es ist ein Signal zur rechten Zeit, in der die Meinungsfreiheit zunehmend unter Druck gerät.“

Quellen u. a.

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/bundesregierung-gibt-verfahren-gegen-julian-reichelt-auf-19658781.html

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesverfassungsgericht-verfassungsbeschwerde-kritik-reichelt-100.html

https://www.achgut.com/artikel/julian_reichelt_gewinnnt_vor_bundesverfassungsgericht

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