von Stephan Ehmke
Die Bundesregierung hat der Ukraine erlaubt, mit deutschen Waffen direkt russisches Gebiet anzugreifen. Ob die Taurus-Mittelstreckenraketen hierin inbegriffen sind, ist noch unklar. Jedenfalls ist Kanzler Scholz damit von seiner bisherigen Haltung der Deeskalation des Konfliktes abgerückt. Auslöser dürften Anweisungen aus den USA sein, denn kurz zuvor hatte auch Washington dem ukrainischen Präsidenten dieselbe Erlaubnis erteilt. Früher hatten dies bereits andere europäische NATO-Mitglieder getan.
Unterdessen treten auch in Deutschland die Befürworter einer Eskalation des Krieges in der Ukraine immer mehr in den Vordergrund. Bei der CDU ist es der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter, der es sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, dem Kriegstreiber Nr. 1 des US-Kongresses, Lindsay Graham, Konkurrenz zu machen. Die Grünen haben den Stahlhelmer und Wehrdienstverweigerer Anton Hofreiter, bei der FDP ist es die Rüstungslobbyistin Agnes Strack-Zimmermann, die jetzt lautstark die Mobilisierung von 900.000 Reservisten der Bundeswehr fordert. Aber auch die SPD hat ihre Falken: Ex-Außenminister Sigmar Gabriel meinte nun in einem Interview, man müsse Russland „niederkämpfen“, wie man es mit der Sowjetunion getan habe. Die einzige Partei, die sich dem Kriegsgeschrei verweigert, ist die AfD. Nicht zuletzt deshalb wird immer lauter ihr Verbot gefordert.
Soviel Kriegsbegeisterung ist für die Bundesrepublik natürlich ungewöhnlich. Beim Aufstellungsappell der Bundeswehr am 12. November 1955 in Bonn hatte man noch auf jeden militärischen Pomp verzichtet. Selbst die bei diesem Anlass aufgezogene Bundesdienstflagge wies einen dicken Flicken auf. Heute paradiert die deutsche Armee in schimmernder Wehr bei Aufmärschen der Anti-Russland-Koalition. Selbst Fußballvereine lassen sich jetzt vom militärisch-industriellen Komplex bezahlen. Die allgemeine Wehrpflicht soll zurück, um die entsprechende Mann- und Fraustärke für ein neues Heer gen Osten zu sichern.
Ist Deutschland bei all dem „an die Waffen schlagen“ nun bereits Kriegspartei oder nicht? Die Experten streiten sich darüber. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatte bereits 2023 festgestellt, dass mit dem Beginn der Ausbildung von ukrainischen Soldaten die völkerrechtliche Grenze zur aktiven Beteiligung an dem Konflikt überschritten sei, was bei „nur“ Waffenlieferungen noch nicht der Fall gewesen wäre. Doch auch der Einsatz dieser Waffen wird kontrovers diskutiert. Wer bedient sie eigentlich? Nicht wenige Experten gehen davon aus, dass wenigstens die Führung der Einsätze längst von NATO-Offizieren (wahrscheinlich auch deutschen) auf ukrainischem Boden erfolgt. Vielleicht sind auch die Bediener westliche Soldaten. Das abgehörte Planungsgespräch von Bundeswehroffizieren über mögliche Angriffe auf die Krimbrücke bei Kertsch hat die Sachlage nicht gerade vereinfacht.
Die neuerliche Eskalationsstufe, auch mit deutschen Waffe nicht nur die russischen Truppen in der Ukraine, sondern auch auf russischem Territorium selbst anzugreifen, dürfte letzte Zweifel über die Frage der deutschen Kriegsbeteiligung ausgeräumt haben. Die Frage ist nur, wie Russland darauf reagieren wird. Jedenfalls wird nicht auszuschließen sein, dass der Kreml auch einen Waffeneinsatz gegen deutschen Einrichtungen in der Ukraine, in verbündeten Staaten oder sogar auf deutschem Boden selbst in Betracht ziehen wird.
Der Konflikt in der Ukraine ist ein Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten USA und Russland unter zunehmender Einbeziehung Chinas. Gerade hat Peking offiziell verkündet, dass es die Unabhängigkeit des von China beanspruchten Taiwan auf jeden Fall beenden wird. Zum selben Zeitpunkt begannen in der Nähe der Insel die größten Manöver der chinesischen Streitkräfte aller Zeiten. Die Zeichen stehen also auf einen neuen Weltkrieg.
Die USA wollen ihre geostrategische Position trotz aller globalen Veränderungen nicht aufgegeben. Vor allem geht es dabei um die wirtschaftliche Hegemonie (bzw. des Dollars), durchgesetzt mit militärischen Mitteln. Russland soll dabei möglichst niedergerungen und zerstückelt, China klein gehalten werden. Im Kampf gegen Russland soll Europa – hier vor allem Deutschland – die Hauptlast tragen. Deutschland hat bereits, durch finanziellen Einsatz im Ukraine-Konflikt und durch die gegen Russland gerichteten Sanktionen, schweren wirtschaftlichen Schaden davongetragen. Hinzu kommt eine ideologiebefrachtete Innenpolitik, die den Mittelstand ruiniert und die Industrie aus dem Land jagt. Nun sollen noch die Kosten für eine neue Aufrüstung und Militarisierung hinzukommen.
Alle ernst zu nehmenden internationalen Experten sind sich einig, dass Russland mit konventionellen Mitteln militärisch nicht zu besiegen ist. Zudem haben die Sanktionen der russischen Wirtschaft nicht nur nicht geschadet, sondern diese wegen der Autarkieanstrengungen sogar nachhaltig gestärkt. Auch westliche Länder kaufen russische Rohstoffe in bisher nicht gekannten Mengen und füllen damit Putins Kriegskasse immer wieder neu. Die russische Industrie ist längst auf einen langwierigen Krieg eingestellt. Es werden Rüstungsgüter in Rekordmengen produziert. Dazu sind die menschlichen Ressourcen enorm. Dazu hat China sich jetzt demonstrativ auf die Seite Russlands gestellt und klar gemacht, dass es eine Niederlage Moskaus nicht hinnehmen wird.
Nur Naive oder notorische Realitätsverweigerer können können noch behaupten, dass die Ukraine den Krieg nicht verloren hätte. Der Westen, einschließlich der USA, ist nicht in der Lage, die Verluste an Material und schon gar nicht an Menschen zu ersetzen. Selbst eine mit allen Anstrengungen angekurbelte westliche Rüstungsindustrie im Westen könnte die Leistungsfähigkeit Russlands und Chinas und ihrer weiteren verbündeten niemals erreichen, und wenn, dann viel zu spät. Was bliebe, wäre der Einsatz nuklearer Waffen, der allerdings das Ende der Menschheit bedeuten würde. Nur Irre oder Verbrecher können das wollen.
Napoleon I. hat erfahren müssen, was es heißt, Russland besiegen zu wollen. Ebenso der Diktator Hitler. Ein dritter Russlandfeldzug würde nicht anders enden, egal wer ihn führt. Es bleibt nur eine einzige vernünftige Antwort auf das Dilemma übrig:
Frieden jetzt.