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Der Niedergang der ukrainischen Armee, die Kriegsvorbereitungen der NATO und die Friedensinitiative Viktor Orbáns
von Dr. Walter Post
Die militärische Situation der Ukraine hat sich in den letzten beiden Monaten kontinuierlich verschlechtert, der Vormarsch der Russischen Armee in der Ostukraine gewinnt zunehmend an Tempo.
Der Oberbefehlshaber der Ukrainischen Streitkräfte, Generaloberst Oleksandr Syrskyj, gab
der englischen Tageszeitung „The Guardian“ am 22./23. Juli ein Interview, in dem er Optimismus zu verbreiten versuchte, gleichzeitig aber die erdrückende Übermacht der Russischen Armee eingestehen mußte. Die Russen, so Syrsky, hätten keinen Mangel an Kampfpanzern, Schützenpanzern und Soldaten. Die Streitmacht, mit der sie 2022 in die Ukraine eingedrungen seien, habe 100.000 Mann gezählt, mittlerweile sei diese Zahl auf 520.000 Mann angewachsen. Bis zum Ende des Jahres 2024 seien 690.000 Mann zu erwarten (Dies sind nur die in der Ukraine stationierten russischen Truppen, die in Belarus und Südrußland stehenden Reserven sind hier nicht mitgezählt). Was das Kriegsmaterial betrifft, so sei das Zahlenverhältnis 1 : 2 oder 1 : 3 zugunsten der Russen. Seit 2022 habe sich die Zahl der russischen Panzer, von 1.700 auf 3.500 verdoppelt, die Artilleriesysteme hätten sich verdreifacht, die Zahl der gepanzerten Mannschaftstransporter sei von 4.500 auf 8.900 angestiegen. „Der Feind verfügt über eine erhebliche Überlegenheit an Truppen und Material“, so Syrskyi.[1]
Die Ukraine erlitt nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums in Moskau allein im Juni 2024 Verluste in Höhe von 55.000 Gefallenen und Schwerverwundeten. Die ukrainischen Verluste bewegen sich seit dem vergangenen Frühjahr im Bereich von 1.500 – 2.000 Gefallenen und Schwerverwundeten täglich, das entspricht der Stärke von einer durchschnittlichen ukrainischen Brigade. Vor einem Jahr lag die monatliche Verlustzahl noch bei rd. 700. Die derzeit laufende Mobilmachungswelle in der Ukraine läßt bei realistischer Einschätzung 120.000 Mann erwarten, d.h. die Mobilmachung deckt nur die personellen Verluste von zwei Monaten.[2]
Meldungen in der westlichen Presse, denen zufolge die ukrainische Artillerie mittlerweile mit der russischen gleichgezogen habe, haben sich inzwischen als völlig illusionär erwiesen. Im Januar 2024 versprach die Europäische Kommission, daß die EU-Staaten an die Ukraine bis Jahresende eine Million Artilleriegranaten Kaliber 155 mm liefern würden. Laut einem Dokument der Firma Rheinmetall werden es jedoch nur 550.000 sein, nach einer anderen Quelle aus der Industrie sogar weniger als 500.000. Zur Erinnerung, Rußland produziert derzeit 4,5 Millionen Artilleriegranaten Kaliber 152 mm pro Jahr.[3] Aus der ukrainischen bzw. westlichen Berichterstattung geht außerdem hervor, daß die ukrainischen Luftabwehrsysteme zunehmend an Wirksamkeit verlieren.[4]
Dabei gehen die russischen Streitkräfte nicht nur gegen die ukrainische Streitkräfte vor, sondern auch gegen die Stromversorgung des Landes, mittlerweile sollen mehr als 50 Prozent der ukrainischen Energieerzeugung zerstört sein.[5] In der Vergangenheit haben die Russen in erster Linie Umspannwerke und Verteilerstationen mit Raketen und Marschflugkörpern zerstört, die – vergleichsweise – leicht zu reparieren sind. In diesem Jahr greifen sie ganz gezielt die Kohle- und Wasserkraftwerke an, die Dank der Genauigkeit der Flugkörper so gründlich zerstört werden, daß an eine Reparatur in einem absehbaren Zeitraum nicht zu denken ist. Infolge dieser Angriffe ist die Stromversorgung der großen ukrainischen Städte wie Kiew und Charkow stark eingeschränkt, Strom gibt es meist nur noch für wenige Stunden am Tag. Die ukrainische Industrie ist gezwungen, ihre Produktion stark einzuschränken.[6]
Die russische Führung strebt keinen „gewöhnlichen“ militärischen Sieg an, sondern die völlige Zerstörung des ukrainischen Staates. Dies ist nicht eine Folge bösen Willens, sondern des Fehlens jeglicher Verhandlungsbereitschaft von Seiten des Westens, d.h. der USA und der EU.
Am 14. Juni 2024 hielt Präsident Wladimir Putin im Russischen Außenministerium in Moskau eine Grundsatzrede vor hohen Beamten und Diplomaten. Der Russische Präsident stellte die „Besondere Militärische Operation“ in der Ukraine in den Text der russischen Gesamtstrategie und machte dem Westen ein letztes Verhandlungsangebot. Zu Beginn seiner Ausführungen erklärt Putin, daß Rußland unter „den heutigen schwierigen und unvorhersehbaren Bedingungen“ seine Anstrengungen darauf konzentrieren müsse, eine „eigene langfristige Agenda festzulegen“. Die Welt sei raschen Veränderungen unterworfen: „Die Weltpolitik, die Wirtschaft und der technologische Wettbewerb werden nie wieder so sein wie früher. … Die Länder des globalen Südens und Ostens gewinnen an Bedeutung, und die Rolle Afrikas und Lateinamerikas wächst.“
Moskau sei bereit, im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen ein „unteilbares Sicherheitssystem“ zu schaffen: „Die globalen Angelegenheiten müssen auf dem Grundsatz basieren, daß die Sicherheit einiger nicht auf Kosten der Sicherheit anderer gewährleistet werden kann.“
Die westlichen Mächte, angeführt von den USA, glaubten dagegen, daß sie den Kalten Krieg gewonnen und daher das Recht hätten, „zu bestimmen, wie die Welt organisiert werden sollte. Der praktische Ausdruck dieser Anschauung war das Projekt einer unbegrenzten Ausdehnung des nordatlantischen Blocks in Raum und Zeit.“ Tatsächlich habe sich aber „das westliche Konzept, das als einzig gangbare Option für Sicherheit und Wohlstand in Europa und der Welt angesehen wurde“ als „ineffektiv“ erwiesen: „Erinnern wir uns an die Tragödie auf dem Balkan. Zwar hatten zweifellos innenpolitische Probleme zu den Problemen im ehemaligen Jugoslawien beigetragen, doch wurden diese durch aufdringliche Einmischung von außen erheblich verschärft … Später wurden dieselben Ansätze in verschiedenen Ländern angewandt, die wir nur zu gut kennen: Irak, Syrien, Libyen und Afghanistan. Diese Interventionen haben nichts anderes bewirkt, als bestehende Probleme zu verschlimmern.“
Damit nicht genug hätten der Egoismus und die Arroganz der westlichen Länder „eine äußerst gefährliche Lage“ heraufbeschworen: „Wir nähern uns einem gefährlichen ‚Point of no Return‘. Die Forderungen nach einer strategischen Niederlage Rußlands, das über die größten Atomwaffenarsenale der Welt verfügt, zeigen die extreme Rücksichtslosigkeit westlicher Politiker.“
Moskau stehe mit seinen Auffassungen keineswegs alleine, denn die russischen und chinesischen Grundprinzipien der Sicherheitspolitik stimmen weitestgehend überein. Dabei sei es „von entscheidender Bedeutung“ zu erkennen, „daß die zukünftige Sicherheitsarchitektur allen eurasischen Ländern offen stehen sollte, die an ihrer Erschaffung mitwirken möchten.“ Dies würde auch europäische und NATO-Länder mit einschließen. Tatsächlich gehe die Bedrohung für Europa nicht von Rußland aus: „Die größte Bedrohung für die Europäer ist ihre kritische und zunehmende Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten sowohl in militärischer, politischer, technologischer, ideologischer wie informationstechnischer Hinsicht. Europa wird in der globalen Wirtschaftsentwicklung an den Rand gedrängt, in ein Chaos von Herausforderungen wie der Migration gestürzt, und es verliert seine internationale Handlungsfähigkeit und seine kulturelle Identität.“ Was die USA betreffe, so würden „die nicht enden wollenden Versuche der derzeitigen globalistischen liberalen Eliten, ihre Ideologie weltweit zu verbreiten und auf die eine oder andere Weise ihren imperialen Status und ihre Vorherrschaft aufrechtzuerhalten“ das Land immer weiter erschöpfen. Die Politik der herrschenden Eliten stünden „eindeutig im Widerspruch zu den wahren Interessen des amerikanischen Volkes.“
Putin stellt klar, daß die Krise um die Ukraine „kein Konflikt zwischen zwei Staaten oder Völkern“ sei: „Wäre dies der Fall, hätten Russen und Ukrainer, vereint durch eine gemeinsame Geschichte und Kultur, spirituelle Werte und Millionen familiärer und menschlicher Verbindungen, zweifellos eine faire Lösung für alle Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten gefunden.“ Die Ereignisse in der Ukraine seien vielmehr „eine direkte Folge globaler und europäischer Entwicklungen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Sie sind das Ergebnis der aggressiven, hemmungslosen und völlig rücksichtslosen Politik, die der Westen seit vielen Jahren verfolgt.“ Die Eliten der westlichen Länder hätten, so Putin, nach dem Ende des Kalten Krieges „eine weitere geopolitische Umstrukturierung der Welt“ angestrebt: „Ihr Ziel war es, eine sogenannte regelbasierte Ordnung zu errichten und durchzusetzen, in die starke, souveräne und autarke Staaten einfach nicht hinein gehören … Einige Persönlichkeiten in den USA und Europa erklären offen die Ziele dieser Politik und sprechen heute von der sogenannten Entkolonialisierung Rußlands. … Die Zerstückelung der Sowjetunion und Rußlands ist seit langem ein Diskussionsthema, wie jeder in diesem Raum weiß.“
Im weiteren Verlauf seiner Rede schildert Putin ausführlich die Entwicklung des Konflikts zwischen Rußland und der Ukraine aus Moskauer Sicht bis zu den Istanbuler Friedensverhandlungen im März 2022, die wenige Wochen nach Beginn der „Besonderen Militärischen Operation“ begannen. Diese Gespräche seien seinerzeit vielversprechend verlaufen und hätten zur Abfassung eines Dokument mit dem Titel „Abkommen über dauerhafte Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine“ geführt: „Es war ein Kompromiß, aber seine Kernpunkte entsprachen unseren grundlegenden Forderungen und lösten die Probleme, die schon zu Beginn der ‚Besonderen Militärischen Operation‘ hervorgehoben wurden. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß dazu die Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine gehörten. … Außerdem hätte die Ukraine im Austausch für internationale Sicherheitsgarantien die Größe ihrer Streitkräfte begrenzt, sich verpflichtet, keinen Militärbündnissen beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte zu dulden, keine ausländischen militärischen Kontingente zu stationieren und keine Militärübungen auf ihrem Territorium durchzuführen.“ Nach einer Intervention Londons und Washingtons in Kiew seien die Gespräche jedoch abgebrochen worden.
Putin legt anschließend ein neues Friedensangebot vor, wobei er einleitend auf die Schwierigkeit hinweist, daß es in Kiew keine legitime Regierung mehr gebe, da die Präsidentschaftswahlen 2024 von Selenskyj abgesagt wurden: „Die Tatsache, daß sie nach der Absage der Wahlen weiterhin an der Macht festhalten, ist in Artikel 5 der Verfassung der Ukraine ausdrücklich verboten.“ Die Friedensbedingungen, die Putin im Folgenden nennt, sind erheblich härter als die Istanbuler Vereinbarungen, was angesichts der militärischen Lage der Ukraine nicht weiter verwundern kann:
„Die ukrainischen Truppen müssen vollständig aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie den Gebieten Cherson und Saporischschja abgezogen werden. Ich möchte darauf hinweisen, daß sie aus dem gesamten Gebiet dieser Regionen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen abgezogen werden müssen, als diese noch Teil der Ukraine waren. …
Sobald Kiew erklärt, daß es bereit ist, diese Entscheidung zu treffen und mit einem tatsächlichen Truppenabzug aus diesen Regionen zu beginnen, und auch offiziell bekannt gibt, daß es seine Pläne für einen NATO-Beitritt aufgibt, wird unsere Seite noch im selben Moment einem von uns erlassenen Befehl zur Feuereinstellung und Aufnahme von Verhandlungen Folge leisten.“ Die Russische Regierung, so Putin abschließend, lege hiermit einen „konkreten und echten Friedensvorschlag“ vor, und er unterstreicht mit Nachdruck, daß der russische Vorschlag keinen „vorübergehenden Waffenstillstand oder eine Waffenruhe“ beinhalte. Eine solche Lösung würde „dem Kiewer Regime“ nur eine Erholungspause und die Möglichkeit geben, erneut aufzurüsten und eine neue Großoffensive vorzubereiten. Putin stellt klar: „Wir diskutieren nicht über das Einfrieren des Konflikts, sondern über seine endgültige Lösung.“[7]
Die Frage, inwieweit die russische Friedensvorschläge wirklich ernst gemeint sind und inwieweit sie dazu dienen sollen, Moskau die Unterstützung Chinas, Indiens, Brasiliens und der anderen Staaten des Globalen Südens zu sichern, bietet Stoff für Spekulationen. Moskau dürfte sich völlig im Klaren darüber sein, daß die Forderung, die Ukraine müsse erst alle ihre Truppen aus den Oblasten Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja abziehen, bevor Verhandlungen überhaupt beginnen könnten, für Kiew unannehmbar ist. Die ablehnenden Reaktionen aus Kiew, Washington, Brüssel, Paris, London und Berlin ließen denn auch nicht lange auf sich warten.
Es war zu diesem Zeitpunkt unübersehbar, daß die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands auf eine weitere Eskalation des Konflikts hinarbeiteten, wobei sie von den Regierungen Polens und der drei balitschen Staaten nach Kräften unterstützt wurden. Das war insbesondere an der Bereitschaft zu erkennen, es den Ukrainern zu gestatten, mit Raketen und Marschflugkörpern größerer Reichweite Ziele innerhalb der Russischen Föderation anzugreifen.
Am 23. Juni 2024 explodierte eine mit Cluster-Bomben bestückte amerikanische ATACAMS-Rakete über einem Badestrand in der Nähe von Sewastopol, was fünf Todesopfer und mehr als 150 zivile Verletzte, darunter etliche Kinder, forderte. An diesem Tag waren insgesamt fünf ATACAMS-Raketen von ukrainischen Gebiet auf Ziele auf der Krim abgefeuert worden. Vier der amerikanischen Raketen konnten von der russischen Luftabwehr abgeschossen worden, die fünfte wurde offenbar nur beschädigt, was dazu führte, daß ein Teil ihrer Bomblets über dem Badestrand niedergingen. Welche Ziele die Ukrainer bzw. Amerikaner tatsächlich treffen wollten, ist bisher nicht bekannt geworden. Die russische Öffentlichkeit sah in dem Vorfall jedenfalls einen vorsätzlichen Terrorangriff und forderte vom Kreml Gegenmaßnahmen. Die verbalen Reaktionen der Russischen Regierung waren zum Teil drastisch. Dmitri Medwedew, stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation und bekannt für seine scharfe Rhetorik, „twitterte“ auf X: „Bastarde aus den USA liefern Raketen mit Cluster-Munition an Bandera[8] und helfen, sie ins Ziel zu bringen. Bastarde in Kiew wählen als Ziel einen Strand mit friedlichen Menschen und drücken den Knopf. Beide werden in der Hölle brennen. Hoffentlich nicht nur im heiligen Feuer, sondern schon vorher im irdischen.“[9]
Die Moskauer Führung geht davon aus, daß das amerikanische Militär die Ukrainer mit Zieldaten versorgt, die Flugrouten berechnet und letztlich für die Programmierung der Flugkörper und ihren Abschuß verantwortlich ist. Gleichzeitig übt sich aber die Moskauer Politik angesichts der Gefahr einer unkontrollierten Eskalation, die zum Einsatz von Atomwaffen führen könnte, in großer Zurückhaltung.
Zu den öffentlich geforderten Gegenmaßnahmen zählt u.a. die Errichtung einer russischen Flugverbotszone über dem Schwarzen Meer. Es ist kein Geheimnis, daß amerikanische und britische Drohnen, die über dem Schwarzen Meer fliegen, Zieldaten sammeln und die Lenkung von amerikanischen und britischen Marschflugkörpern und Raketen unterstützten. Am 24. Juni begannen russische Kampfflugzeuge damit, an US-amerikanischen „Global Hawk“-Aufklärungsdrohnen so knapp vorbeizufliegen, daß die verursachten Luftwirbel die Drohnen in Absturzgefahr brachten und die amerikanischen Operateure sich gezwungen sahen, die Einsätze abzubrechen. In der Folge zog die US Air Force ihre Drohnen zurück und flog ihre Aufklärungseinsätze zusammen mit der Royal Air Force wieder mit bemannten Aufklärungsflugzeugen wie der P-8A „Poseidon“ und der RC-135W „Rivet Joint“, die im Vergleich zu den Drohnen den Nachteil einer erheblich kürzeren Flugzeit haben.[10]
Die russische Vergeltung für den Zwischenfall bei Sewastopol erfolgte zwei Wochen später und wurde nur auf der russischsprachigen Internetseite des Russischen Verteidigungsministeriums gemeldet; dort hieß es am 9. Juli: „Im Laufe des Tages führten die Streitkräfte der Russischen Föderation einen Gruppenangriff mit hochpräzisen Waffen auf amerikanische HIMARS-Mehrfachraketenwerfersysteme durch, die für den Angriff auf das Territorium der Krim vorbereitet waren, sowie auf den Ort einer offiziellen Sitzung des Kommandostabes der Streitkräfte der Ukraine. Die Ziele des Angriffs wurden erreicht. Vier in den USA hergestellte HIMARS MLRS-Mehrfachraketenwerfer wurden vernichtet, ebenso wie bis zu 35 ausländische Spezialisten, die sie bedienten.“[11]
Die HIMARS-Abschußsysteme dienen auch dem Abschuß der ATACAMS-Raketen, und bei den „35 ausländischen Spezialisten“ dürfte es sich um amerikanische Militärangehörige gehandelt haben. Washington und die amerikanischen Medien bewahren über diesen Zwischenfall bislang absolutes Stillschweigen. Die systematische Vernichtung der HIMARS-Batterien wird offenbar durch den Einsatz einer neuen russischen Aufklärungsdrohne, der Supercam S350, ermöglicht.[12]
Das Russische Verteidigungsministerium gab am 23. Juli bekannt, daß eine russische Iskander-Rakete bei der Siedlung Dergatschi im Raum Charkow 50 ausländische Ausbilder vernichtet habe. Darunter sollen sich auch 18 Angehörige des britischen SAS befunden haben.[13]
Die NATO veröffentlichte zum Abschluß einer dreitägigen Gipfelkonferenz in Washington am 11. Juli 2024 eine Erklärung, die sich durch ihre Kompromißlosigkeit auszeichnet. Unter Punkt 3 konstatiert das Bündnis, daß „Rußlands umfassender Einmarsch in die Ukraine“ den „Frieden und die Stabilität im transatlantischen Raum erschüttert und die globale Sicherheit ernsthaft untergraben“ habe: „Rußland ist nach wie vor die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Bündnispartner.“ In Punkt 4 wendet sich die NATO nun auch explizit gegen China:
„Die erklärten Ambitionen und Zwangsmaßnahmen der Volksrepublik China (VRCh) gefährden weiterhin unsere Interessen, unsere Sicherheit und unsere Werte. Die Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen Rußland und der VRCh und ihre sich gegenseitig verstärkenden Versuche, die regelbasierte internationale Ordnung zu untergraben und umzugestalten, geben Anlaß zu tiefer Besorgnis.“
Die „regelbasierte Ordnung“ beinhaltet in ihrem Kern, daß die USA die Regeln ganz alleine und nach eigenem Belieben festlegen und jederzeit ändern können, und daß der Rest der Welt sich diesen Regeln zu fügen hat. Die „regelbasierte Ordnung“ ist keineswegs identisch mit der Charta der Vereinten Nationen und dem geltenden Völkerrecht. In diesem Zusammenhang bezeichnet die Abschlußerklärung auch den Iran und Nordkorea als Bedrohungen für die NATO, obwohl die NATO sich selbst ausdrücklich als „nordatlantisches Bünndis“ bezeichnete und der Iran und Nordkorea weit außerhalb des atlantischen Raumes liegen.
In Punkt 16 wird ausdrücklich festgehalten, daß die „Zukunft der Ukraine … in der NATO“ liege.
Die NATO werde sie auch „weiterhin auf ihrem unumkehrbaren Weg zur vollständigen transatlantischen Integration, einschließlich der NATO-Mitgliedschaft, unterstützen.“ In Punkt 17 der Abschlußerklärung erteilt die NATO Friedensgesprächen mit Moskau eine klare Absage:
„Rußland muß diesen Krieg sofort beenden und im Einklang mit den Resolutionen der UN-Generalversammlung alle seine Streitkräfte vollständig und bedingungslos aus der Ukraine abziehen. Wir werden Rußlands illegale Annexionen ukrainischen Territoriums, einschließlich der Krim, niemals anerkennen.“
In Punkt 18 wird erklärt, daß die „Bedrohung, die Rußland für die NATO in allen Bereichen darstellt“, auch „langfristig bestehen bleiben“ werde, und in Punkt 19 heißt es: „Wir verurteilen Rußlands verantwortungslose nukleare Rhetorik und seine nuklearen Zwangssignale, darunter die angekündigte Stationierung von Atomwaffen in Belarus, die eine Haltung strategischer Einschüchterung demonstrieren.“ Gleiches gilt für Punkt 20 der Abschlußerklärung: „Rußland hat zudem seine aggressiven hybriden Aktionen gegen Verbündete, auch durch Stellvertreter, im Rahmen einer Kampagne im gesamten transatlantischen Raum intensiviert. Dazu gehören Sabotage, Gewalttaten, Provokationen an den Grenzen der Verbündeten, die Instrumentalisierung der irregulären Migration, böswillige Cyberaktivitäten, elektronische Einmischung, Desinformationskampagnen und böswillige politische Einflußnahme sowie wirtschaftlicher Zwang.“[14]
Tatsächlich gab es im Verlauf der Konferenz so gut wie keine konkreten Versprechungen der NATO an die Ukrainische Regierung; stattdessen verwechselte US-Präsident Joe Biden aufgrund seiner fortgeschrittenen Demenz den ukrainischen Präsidenten Zelenskij mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.[15]
Die NATO hat an ihrer Ostgrenze mittlerweile insgesamt acht Kampfgruppen in Bataillons- bis Brigadestärke aufgestellt, die vollständig in die Kommandostruktur der NATO integriert sind; diese Kampfgruppen sind derzeit in Estland, Lettland, Litauen, Polen,Ungarn, Slowakien, Rumänien und Bulgarien stationiert.[16] Offenbar läuft der Plan der „Falken“ in Washington und London darauf hinaus, den Krieg in der Ukraine möglichst in die Länge zu ziehen, um ihn dann in einen größeren europäischen Konflikt zu überführen. Rußland, so die unausgesprochene Absicht, soll durch eine Reihe von existentiellen Bedrohungen zum Angriff auf Europa provoziert werden. Der Zeitplan könnte so aussehen, daß der Ukraine-Krieg mindestens bis 2027/28 andauern und dann die nächste Phase des Konflikts beginnen solle.[17]
Zu diesen Plänen paßt auch die Ankündigung, amerikanische Mittelstreckenraketen, darunter SM-6 „Tomahawk“-Marschflugkörper, ab 2026 in Deutschland zu stationieren.[18] Der russische Botschafter in Washington, Anatoli Antonow, reagierte auf diese Pläne mit der Warnung, dies sei „ein schwerwiegender Fehler Washingtons“, denn „vor dem Hintergrund einer gefährlichen Eskalation der Spannungen entlang der Rußland-NATO-Linie“ könne ein Wettrüsten mit Mittelstreckenraketen „zum Auslöser einer unkontrollierten Eskalation werden“.[19]
Ein Lichtblick in dieser Düsternis war die Reise des ungarischen Ministerpräsidenten und derzeitigen turnusmäßigen Präsidenten des EU-Rats Viktor Orbán nach Kiew, Moskau und Beijing, die zwischen dem 2. und 8. Juli erfolgte. Orban wollte in persönlichen Gesprächen mit Wolodymyr Selenskyj, Wladimir Putin und Xi Jinping die Möglichkeiten für Friedensverhandlungen ausloten.[20]
Der Empfang von Orbán durch die russische und die chinesische Regierung war sehr freundlich. In der gemeinsamen Presseerklärung mit Orbán betonte Putin, daß die Russische Regierung zwar für „Gespräche über eine politische und diplomatische Lösung“ offen bleibe, der Westen aber nicht zu Verhandlungen bereit sei. Dabei strebe Rußland nicht nur einen Waffenstillstand oder eine vorübergehende Waffenruhe an, sondern befürworte „ein vollständiges und endgültiges Ende des Konflikts“. Die Bedingungen seien die gleichen, die er, Putin, am 14. Juni dargelegt habe: „Es geht um den vollständigen Abzug aller ukrainischen Truppen aus den Volksrepubliken Donezk und Lugansk sowie aus den Regionen Saporoschje und Cherson. Es gibt noch weitere Bedingungen.“[21]
Von Beijing flog Orbán zum NATO-Gipfel nach Washington, wo er über seine Gespräche Bericht erstattete. Die NATO und die EU-Kommission in Brüssel regierten auf die Friedensinitiative Orbáns mit großer Skepsis, wenn nicht mit offener Feindseligkeit.[22] Tatsächlich hatte Orbán seine Reise nach Kiew, Moskau und Beijing mit Rückendeckung durch den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump angetreten, den er unmittelbar nach dem NATO-Gipfel in seiner Residenz Mar-a-Lago in Florida aufsuchte.[23]
General Keith Kellogg und Fred Fleitz, die während Trumps Präsidentschaft von 2017 bis 2021 als Stabschefs in Trumps Nationalem Sicherheitsrat gedient hatten, haben einen Plan ausgearbeitet, der im wesentlichen einen Waffenstillstand in der Ukraine und Friedensgespräche auf Grundlage der bestehenden Frontlinien vorsieht. Sollte Kiew keine Friedensgespräche mit Moskau aufnehmen, würden die USA (unter einer Präsidentschaft Trumps) die Lieferung amerikanischer Waffen an die Ukraine umgehend einstellen. Donald Trump hat diesen Plan gebilligt und zum Bestandteil seines Wahlkampfes gemacht. Es ist erwähnenswert, daß dieser Friedensvorschlag nur wenige Wochen vor dem gescheiterten Attentat auf Trump in Butler/Pennsylvania ausgearbeitet wurde.[24]
Angesichts des Chaos, das in den USA nach dem mißlungenen Attentat auf Donald Trump und dem überraschenden Rücktritt von Joe Biden von der Kandidatur für seine Wiederwahl herrscht, besteht in Moskauer Regierungskreisen aber eine erhebliche Skepsis gegenüber dem Friedensvorschlag von Trump bzw. Orbán. Donald Trump hat sich zwar mit dem Senator von Ohio James David Vance einen Vizepräsidenten ausgesucht, der dem Ukraine-Abenteuer sehr skeptisch gegenübersteht. Aber zum einen sind Trump und Vance noch nicht gewählt, und zum anderen bleibt offen, inwieweit sie ihre Vorstellungen gegen den Washingtoner „tiefen Staat“ durchsetzen können. Vor allem aber gehen die russischen Forderungen über die Vorschläge des Kellogg-Fleitz-Planes weit hinaus.[25]
In einem Interview mit „Fox News“ brachte Donald Trump am 22. Juli erneut seine grundsätzliche Bereitschaft zu Verhandlungen mit Moskau zum Ausdruck. Daraufhin erklärte der Pressesprecher des Kreml Dimitri Peskow gegenüber „RT“, es sei zwar begrüßenswert, daß Trump sich mit der russischen Geschichte auskenne und wisse, daß die „russische Kriegsmaschine“ Napoleon und Hitler besiegt habe. Aber dessen ungeachtet sei er, Trump, es gewesen, der das „Sanktionsrennen“ eröffnet habe, und die amerikanischen Eliten litten generell an „totaler Russophobie“. Peskow schloß mit den Worten: „Wir haben noch nie eine rosarote Brille aufgesetzt.“[26]
[1] ‘I know we will win – and how’: Ukraine’s top general on turning the tables against Russia by
Luke Harding, The Guardian 24.7.2024
[2] Alexander Mercouris, NATO Self-Destructs, Targets China & Rus; Ukr Volchansk Disaster, Rus Storms Volcha River, Pokrovsk Collapse, 11.7.2024; https://www.bitchute.com/video/ptO1ina__aY
[3] „Bombshell“ Report Claims Russian Casualties „Much Higher Than Thought“ -Debunked?
Simplicius the Thinker 10.7.2024; https://substack.com/home/post/p-146449704
[4] SITREP 7/15/24: Crumbling NATO BuysTime for Broad European War; Simplicius the Thinker 16.7.2024; https://simplicius76.substack.com/p/sitrep-71524-crumbling-nato-buys
[5] Die Ukraine verfügt nur noch über max. 50 Prozent ihrer Energiekapazitäten; Euronews 23.7.2024;
[6] Buzzer Beater – Russian General Staff Aims at Ending the Ukraine by Electric War; John Helmer, Dances with Bears 9.6.2024; https://johnhelmer.net/buzzer-beater-russian-general-staff-aims-at-ending-the-ukraine-by-electric-war/
[7] President of Russia Vladimir Putin’s speech at the meeting with senior staff of the Russian Foreign Ministry, Moscow, June 14, 2024. The Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation; https://mid.ru/en/foreign_policy/news/1957107/
[8] Stepan Bandera (1909-1959) war der Führer der semi-faschistischen OUN und ist bis heute das historische Vorbild der ukrainischen Nationalisten. Während des Zweiten Weltkrieges kooperierte er zeitweilig mit dem Deutschen Reich.
[9] BETWEEN THE KREMLIN CUP AND THE GENERAL STAFF LIP AFTER SUNDAY’S ATTACKS; John Helmer, Dances with Bears 23.6.2024;
[10] RUSSIAN TACTICS HAVE NEUTRALIZED US DRONES OVERTHE BLACK SEA – THEY HAVE BEEN REPLACED BYMANNED AIRCRAFT, RIVET JOINT AND POSEIDON; John Helmer, Dances with Bears 2.7.2024;
[11] Сводка Министерства обороны Российской Федерации о ходе проведения специальной военной операции, по состоянию на 9 июля 2024 г. [deutsch: Zusammenfassung des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation zum Fortschritt der militärischen Sonderoperation, Stand 9. Juli 2024] https://z.mil.ru/spec_mil_oper/news/more.htm?id=12519717@egNews
[12] SITREP 7/15/24: Crumbling NATO BuysTime for Broad European War; Simplicius the Thinker 16.7.2024; https://simplicius76.substack.com/p/sitrep-71524-crumbling-nato-buys
[13] Russia’s Iskander missile strike wipes out 50 foreign instructors in Kharkov Region; TASS 23.7.2024; https://tass.com/politics/1820115
[14] Washington Summit Declaration issued by the NATO Heads of State and Government participating in the meeting of the North Atlantic Council in Washington, D.C. 10 July 2024; https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_227678.htm?selectedLocale=en; siehe auch:
Die Kernpunkte der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels, Anti-Spiegel
https://anti-spiegel.ru/2024/die-kernpunkte-derabschlusserklaerungdes-nato-gipfels/
[15] ‚Ladies and gentlemen, President Putin‘ – Biden gaffe with Ukraine leader; BBC 12.7.2024;
https://www.bbc.com/news/videos/ce78zklp77wo
[16] NATO’s military presence in the east of the Alliance; North Atlantic Treaty Organisation 8.7.2024; https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_136388.htm
[17] SITREP 7/15/24: Crumbling NATO BuysTime for Broad European War; Simplicius the Thinker 16.7.2024; https://simplicius76.substack.com/p/sitrep-71524-crumbling-nato-buys
[18] Ebenda
[19] Telegram 11.7.2024; https://t.me/dimsmirnov175/74948
[20] REPORT OF PRIME MINISTER VIKTOR ORBÁN TO CHARLES MICHEL, PRESIDENT OF THE EUROPEAN COUNCIL; CABINET OFFICE OF THE PRIME MINISTER 18/07/2024
[21] Press statements following talks with Hungarian Prime Minister Viktor Orban; The Kremlin, Moscow, July 5, 2024; http://en.kremlin.ru/events/president/news/74475
[22] Isolated EU wants to punish Orban and Hungary; The Duran 17.7.2024
https://www.youtube.com/watch?v=eL1aLwPr93k&list=UULFdeMVChrumySxV9N1w0Au-w&index=8
[23] Hungary’s Viktor Orbán meets Donald Trump; BBC 11.7.2024; https://www.bbc.com/news/articles/cydvj24m4g4o
[24] RussiaGate 2.0: Donald Trump Has Opted For „Real Peace“ Negotiations With A „Foreign Adversary“; Zerohedge 18.7.2024
[25] Без иллюзий: „мир по Трампу“ может оказаться далеко не безоблачным (Deutsch: Ohne Illusionen: „Die Welt nach Trump“ darf nicht wolkenlos sein); TASS 23.7.2024; https://tass.ru/opinions/21428909
[26] Russia has no illusions about Trump – Kremlin, RT 26.7.2024
https://www.rt.com/russia/601723-kremlin-trump-pompeo-ukraine/