Kommentar von Rechtsanwalt Ralf Ludwig zur konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags
Der Verfassungsgerichtshof in Thüringen hat den Freistaat in eine Verfassungskrise gestürzt. Neun Verfassungsrichter und -richterinnen haben rechtswidrig in die Parlamentsautonomie eingegriffen und sich damit selbst zu einem „Quasi-Ältestenrat“ erhoben.
Das, was in Thüringen passiert ist, berührt das Selbstverständnis einer parlamentarischen Demokratie und zeigt zugleich ihre Schwächen und Gefahren auf, wenn sich die vom Volkswillen abgeleiteten Staatsgewalten nicht mehr an ihre eigenen Organisationsregeln halten.
Das, was wir in Thüringen gesehen haben, würde ich als kämpferisch-aggressive Haltung gegen unsere freiheitliche Grundordnung bezeichnen. Insbesondere die Thüringer CDU müsste nach diesen Grundsätzen verboten werden.
Warum?
Der Alterspräsident ist nach Artikel 80 der Thüringer Verfassung ein in der Geschäftsordnung des Landtags mit eigener Zuständigkeit ausgestatteter Beteiligter. Seine Aufgabe hat mithin Verfassungsrang. Wer ein mit diesen Verfassungsrechten ausgestattetes Organ derart angeht, unterbricht und beschimpft, wie es der parlamentarische Geschäftsführer der Union getan hat, delegitimiert die freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpferisch-aggressiv.
Der Alterspräsident hatte gerade angesetzt, die vorläufigen Schriftführer zu ernennen, als er sowohl vom parlamentarischen Geschäftsführer der CDU als auch vom Leiter der Landtagsverwaltung massiv bedrängt wurde, zunächst über einen Geschäftsordnungsantrag zur Feststellung der Beschlussfähigkeit abzustimmen.
Zur Feststellung der Beschlussfähigkeit in einer ersten Sitzung, in der der neugewählte Landtag aus seinem „Naturzustand“ zur Herstellung seiner Arbeitsfähigkeit (VerfGH Thüringen) geführt wird, sind drei Schritte erforderlich:
- Ernennung zweier vorläufiger Schriftführer,
- namentlicher Aufruf der gewählten Landtagsabgeordneten,
- formale Feststellung der Beschlussfähigkeit.
Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs Thüringen ist der Landtag mit der Beendigung des namentlichen Aufrufs der Abgeordneten als Organ konstituiert.
Der Verfassungsgerichtshof hätte also den Antrag der CDU mangels Rechtsschutzbedürfnisses zurückweisen müssen, denn der Alterspräsident hat unstreitig zur Ernennung der vorläufigen Schriftführer angesetzt:
Hierzu schreibt der Verfassungsgerichtshof entgegen der für jeden sichtbaren Tatsachen:
„Der Alterspräsident war bereits nach Maßgabe dieser fortgeltenden Geschäftsordnung des 7. Thüringer Landtags nicht berechtigt, den beantragten Namensaufruf der Abgeordneten, daran anknüpfend die Feststellung der Beschlussfähigkeit des Landtags und schließlich die Abstimmung des Plenums über die vorläufige Tagesordnung in der Fassung vom 19. September 2024 zu verweigern.“ (Beschluss vom 27. September 2024, VerfGH 36/24, S. 18 f.)
Es wird etwas unterstellt, was gar nicht passiert ist. Der Verfassungsgerichtshof stellt selbst fest:
„Das Vorliegen der Beschlussfähigkeit ist jedoch denknotwendig eine Voraussetzung, die bereits vor jeglichen Wahlakten und sonstigen Entscheidungen des Landtags gegeben und damit festgestellt sein muss.“ (Beschluss vom 27. September 2024, VerfGH 36/24, S. 22)
Das bedeutet, dass ein Antrag zur Abstimmung über die Tagesordnung denklogisch noch gar nicht gestellt werden konnte, da noch nicht einmal feststand, wer überhaupt anwesend war. Dieser Antrag hätte wirksam erst gestellt werden können, nachdem der Namensaufruf beendet war.
Der Verfassungsgerichtshof hat jetzt einen rhetorischen Trick angewandt, um die CDU nicht als die Verfassungsfeinde dastehen zu lassen, als die sie sich geriert haben. Es wurde so getan, als ob der Alterspräsident sich tatsächlich geweigert hätte, die Beschlussfähigkeit herzustellen. Damit haben die Richter (einstimmig) zum einen das rechtliche Gehör des Alterspräsidenten nicht gewahrt, zum anderen eine willkürliche Entscheidung getroffen, für die es gar kein Rechtsschutzbedürfnis gab, und drittens damit selbst in die Parlamentsautonomie eingegriffen. Insbesondere dadurch, dass es nunmehr einen vorgegebenen Handlungsablauf gab. Dieser Handlungsablauf ist jedoch weder zwingend, noch ergibt er sich aus der Thüringer Verfassung.
Ich kann dem Alterspräsidenten nur empfehlen, hier ein Hauptsacheverfahren anzustrengen. Eventuell würde ich die Richter des Verfassungsgerichtshofs auch wegen Rechtsbeugung und Veruntreuung anzeigen. Veruntreuung deshalb, weil sie entschieden haben, dass die CDU die Hälfte ihrer Verfahrenskosten aus Steuergeldern erstattet bekommt, obwohl das Gericht über Gegenstände entschieden hat, die gar nicht streitig waren. Das wirkt wie eine Bagatelle, ist aber ein wesentlicher Bestandteil dieser Fehlentscheidung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die CDU Thüringen aus meiner Sicht zwingend in Bezug auf ihre kämpferisch-aggressive Verfassungsfeindlichkeit zum Erhalt der eigenen Macht beobachtet werden muss.
Zum anderen muss diese Entscheidung des VerfGH Thüringen sauber aufgearbeitet und nachträglich in einem Hauptsacheverfahren korrigiert werden.
Weiterhin muss zwingend ermittelt werden, mit welcher Motivation die Richter eine derart offensichtlich krasse Fehlentscheidung getroffen haben. Denn daran könnten sich strafrechtliche Ermittlungen anschließen.
Eine demokratische Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn sich ihre Mitglieder an die gegebenen Spielregeln halten. Leider verführt repräsentative Macht immer wieder zu ihrem Missbrauch, wie wir es beispielsweise in der Zeit der Corona-Krise gesehen haben. Die daraus resultierende Staatsorganisationskrise zeigt, dass die demokratischen Beschränkungen, die gesetzlichen Brandmauern gegen Machtüberschreitung, nicht funktionieren. Diejenigen, die repräsentative Macht auf Zeit bekommen haben, benehmen sich so, als ob diese Macht in ihren Händen eine Selbstverständlichkeit wäre. Die Wirklichkeit einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich in Zeiten des Machtwechsels. Die „Agenda-2030-Parteien“ zeigen gerade, dass mit ihnen dieser Wechsel nicht friedlich funktionieren wird. Aktuell nutzen sie noch die schwächelnden Netzwerke der Macht. Sie beginnen aber bereits jetzt, Gewalt anzuwenden. Ein Verbotsverfahren, der Ruf, Geldmittel zu streichen, die Aufhebung der Immunität gegen einzelne Abgeordnete wegen Äußerungsdelikten sind ein klares Zeichen dafür, dass man staatliche Gewalt auch physisch gegen oppositionelle politische Kräfte einsetzen will und wird. Dabei ist es völlig egal, ob diese oppositionellen Kräfte von rechts oder links kommen oder aus anderen Teilen der Mitte der Gesellschaft der Agenda-Politik gefährlich werden.
Quelle: t.me/RA_Ludwig