von Prof. Dr. Eberhard Hamer, Mittelstandsinstitut Niedersachsen e.V.
Nach dem 2. Weltkrieg, in dem Deutschland durch bewundernswerte Planwirtschaft die private Versorgung der Menschen und den militärischen Bedarf immer noch befriedigen konnte, stand in den Wahlen 1947 die alles entscheidende Frage zur Debatte, ob Deutschlands Zukunft durch weitere zentrale Planwirtschaft oder durch die von Ludwig Erhard geforderte dezentrale Marktwirtschaft besser gesichert werden könne. Der Autor erinnert sich noch an den Wahlkampf mit Ludwig Erhard, der hitzigen, ehrlichen und besorgten Debatten zwischen den sozialistischen und bürgerlichen Parteien um den richtigen Weg weiterer Planwirtschaft oder der neuen Marktwirtschaft, die theoretisch richtiger schien, mit der wir aber keinerlei Erfahrung hatten.
Die marktwirtschaftliche Mehrheit hat gesiegt. Mit der Marktwirtschaft wurden Selbstverantwortung und Handlungsfreiheiten geschaffen, die zu einem nie dagewesenen Wirtschaftsaufschwung führten (Wirtschaftswunder). Dazu gab es damals aber auch besondere Bedingungen:
- Die Staatsbürokratie war nach dem Kriege drastisch reduziert, alle Nazi-Gesetze abgeschafft und dadurch die größte private Handlungsfreiheit geschaffen, die wir je gehabt haben.
- Die Macht der Konzerne war durch die Sieger gebrochen. Die Konzerne wurden aufgeteilt, um Wettbewerb zwischen ihnen zu schaffen.
- Das Grundgesetz der Marktwirtschaft – die Chancengleichheit – wurde durch ein neues Kartellgesetz (GWB) sicherzustellen versucht.
- Aus dem kommunistisch beherrschten Osten retteten sich mehr als eine Million Unternehmer in den Westen.
- Weil die einheimischen und geflüchteten Unternehmer zwar Ideen, Tatkraft, aber kein Geld hatten, hat Ludwig Erhard die Steuerfreiheit des im Unternehmen verbleibenden Gewinns durchgesetzt. Damit konnten sich vor allem die mittelständischen Personalunternehmen aus eigener Kraft finanzieren, wachsen, Arbeitsplätze schaffen und entstand das Wirtschaftswunder.
Die Idee der Marktwirtschaft hatte im Praxistest gesiegt und ist – da sie als „soziale“ Marktwirtschaft ausgestattet wurde – allen Menschen zugutegekommen und hat in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einer sparsamen, fleißigen und ordentlichen Generation den größten Wohlstand gebracht, den je eine Generation in Deutschland hatte oder wieder haben wird.
Im Osten verlangten die Sowjets weitere Zentralverwaltungswirtschaft. Aber selbst diese schaffe nach den Notzeiten des Krieges in der Folge trotz der „sozialistischen Mangelwirtschaft“ für die Bevölkerung steigenden Lebensstandard. Die Ostdeutschen versuchten mit dem, was ihnen zugeteilt wurde, zurechtzukommen, waren bescheiden und überwiegend zufrieden – bis die steigende Verschuldung, der Verschleiß des Produktionskapitals sowie die Erstarrung einer immer immobileren Bürokratie 1989 zum Zusammenbruch der Planwirtschaft führte[1].
Hätten wir den ostdeutschen Bundesländern nach der Wiedervereinigung die gleichen Wachstumsbedingungen gegeben, wie die westlichen unter Ludwig Erhard gehabt haben,
- wären nicht einseitig nur die internationalen Konzerne mit Milliardensummen gefördert und angesiedelt wurden, sondern vor allem die mittelständischen Personalunternehmen. Und diese nicht durch Subventionen, sondern durch Steuerfreiheit des im Unternehmen verbleibenden Gewinns, also durch die Möglichkeit der Selbstfinanzierung.
Dann hätten wir heute blühende mittelständische Wirtschaft überall in der ehemaligen DDR statt nur Cluster von meist dem Ausland gehörenden Konzernen.
- Hätten die Unternehmen in den neuen Bundesländern die Gesetzes- und Bürokratiefreiheit wie Westdeutschland nach dem Krieg – alle Nazi-Gesetze abgeschafft – gehabt, hätten die Unternehmer viel mehr Handlungsfreiheit und damit Entfaltungsmöglichkeiten gehabt. So sind drei von vier Existenzgründern oder Wiedereinrichter im Osten an den West-Gesetzen oder der Bürokratie gescheitert.
- Vor allem aber haben sich die westdeutschen Sozialfunktionäre mit den sozialistischen Kadern der Alt-DDR zu neuer Sozialherrschaft verbunden und die Mentalität in den neuen Bundesländern wieder auf Staatsverantwortung, Sozialversorgung und Untertänigkeit unter die Sozialfunktionäre korrumpiert – im Gegensatz zu der westlichen Aufbau-, Selbstverantwortungs- und Eigeninitiativmentalität beim Aufbau der Marktwirtschaft im Westen.
Ist Privatwirtschaft rentabler als Staatswirtschaft?
Unabhängig von den grundsätzlichen Unterschieden der beiden Ordnungssysteme Verwaltungswirtschaft und Staatswirtschaft hat die Privatisierungsforschung des Mittelstandsinstituts Hannover vor allem die Ergebnisse beider Ordnungssysteme miteinander verglichen[2]. Das wurde möglich durch die vom Autor entwickelte „Privatisierungsformel“[3], welche die Vollkosten jeder staatlichen Leistung mit dem Marktpreis privater Wettbewerber vergleicht und daraus die Nutzendifferenz ermittelt.
Wenn z. B. eine Schule staatlich oder privat betrieben wird, lassen sich die Kosten pro Schüler vergleichen.
Oder wenn eine Klinik staatlich oder privat betrieben wird, lassen sich sogar unterschiedliche Leistungswerte und der Gesamtnutzen der einen oder anderen Betriebsform durch die Privatisierungsformel vergleichen.
Oder wenn die Müllentsorgung kommunal oder privat betrieben wird, lässt sich beides ebenfalls vergleichen und die Kostendifferenz ermitteln.
Im Mittelstandsinstitut wurden hunderte solcher Privatisierungsberechnungen durchgeführt und ihr Ergebnis veröffentlicht[4]:
- Aus den empirischen Untersuchungen ergab sich, dass die Kostendifferenz zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Handwerksleistungen (Grünflächenpflege, Reparaturen u.a.) zwischen 30 und 60 % betrug, dieser Prozentsatz also gespart werden könnte, wenn staatliche Leistungen durch private Firmen ersetzt würden.
- Im Schnitt über alles kann die Privatwirtschaft gleiche Leistungen wie der Staat um ein Drittel billiger anbieten, Privatisierungen also ein Drittel der Kosten bei gleicher Leistung ersparen.
- Dies liegt vor allem daran, dass öffentliche Institutionen mit öffentlichem Dienstrecht verkrustet, überbesetzt und weniger arbeitsproduktiv sind, was auch die Gewerkschaft zugab („Die Privatisierung kostet uns ein Drittel unserer Mitglieder!“). Die private Konkurrenz steht dagegen im Wettbewerb unter Kosten- und in höherem Leistungszwang als der öffentliche Dienst.
- Da der Bund vorwiegend hoheitliche Tätigkeiten hat, die nicht privatisierbar sind, liegt dessen Privatisierungsreserve nur zwischen 10 und 20 % des Bundeshaushalts, was aber bereits ein Volumen von 40 bis 50 Mrd. Euro ausmacht[5].
- Auf Länderebene ist die Hälfte der Dienstleistungsfunktionen privatisierungsfähig (inkl. Bildung, Gesundheitsversorgung). Diese hätten deshalb eine Privatisierungsreserve von 40 bis 60 % ihrer Kosten, d.h. sie könnten die meisten ihrer Finanzprobleme durch Privatisierungsmaßnahmen statt Schuldenerhöhung lösen.
- Die größte Privatisierungsreserve liegt aber bei den Gemeinden, welche die geringsten Hoheitstätigkeiten ausüben (ca. 20 %). Sie können bis 80 % ihrer Funktionen privatisieren, sich damit entlasten und für das Wachstum ihrer regionalen Wirtschaftsunternehmen bereithalten.
Privatisierungen werden allerdings sowohl von den ihre Komfortzone verteidigenden öffentlichen Dienern selbst als auch von ihren Gewerkschaften und von den sozialistischen Parteien einschließlich CDU bekämpft, weil diese in den öffentlichen Institutionen ihre ausgedienten Politikfunktionäre entsorgen wollen.
Das Mittelstandsinstitut Hannover hat deshalb seit 50 Jahren vorgeschlagen, statt der „Soll-Bestimmung“ eine gesetzliche Pflicht zur Privatisierung zu normieren, wenn nicht die öffentliche Stelle anhand der Privatisierungsformel nachweist, dass sie die gleiche Leistung billiger liefern kann als die private Wirtschaft (was nur selten ist).
Wir könnten also den öffentlichen Sektor allein durch Privatisierung um ca. 30 % reduzieren und damit mehr einsparen als die jährliche Neuverschuldung, wenn nur der politische Wille dazu vorhanden wäre.
Dass durch Privatisierung öffentlicher Leistungsbereiche wieder mehr private Unternehmen bestehen oder gestärkt würden, welche Steuern bringen (statt dass die öffentlichen Institutionen Steuern verzehren), macht dies sogar noch rentabler.
Der Trend zur Überregulierung
Jede Regierung steht unter dem Druck von Lobbyisten, neue, günstigere Regelungen für sie zu schaffen. Und auch die Basis der politischen Parteien verlangt die gesetzliche Regulierung der in den Wahlprogrammen geforderten Änderungen, Neuerungen, Sozial- oder Leistungsverbesserungen u.a. Jede neue Regierung muss also um ihrer Anhänger und Wähler willen neue Gesetze bringen. Und in ihren Rechenschaftsberichten weisen die Parteien darauf hin, dass sie mehr Gesetze geschaffen hätten als ihre Vorgänger und deshalb besser seien (so Habeck).
Das Problem nur: Einmal geschaffene Gesetze bleiben auf Dauer bestehen. Dadurch werden es immer mehr, baut sich der Gesetzesberg immer höher auf und wird das Netz der gesetzlichen Regelungen immer dichter, so dass die Freiheit der Menschen und die Handlungsfreiheit der Unternehmer dadurch immer geringer wird. Die Bauwirtschaft wurde 2010 mit 5.000 Vorschriften, jetzt mit 20.000 stranguliert. Und die EU hat in den letzten 10 Jahren 13.000 Regulierungen beigetragen.
Da die meisten Gesetze gegen den Widerstand der Lobbyisten und Nutznießer kaum aufgehoben werden können, braucht es schon eine Grundsatzentscheidung:
Der Autor hat seit 50 Jahren immer wieder eine Lebenszeitbeschränkung der Gesetze vorgeschlagen. Gesetze sollten nur 10 Jahre, Verordnungen nur fünf Jahre gelten. Damit würde vor Ablauf neu entschieden werden müssen, ob sie noch sinnvoll sind oder nicht. Wenn nicht oder negativ entschieden wird, verliert das Gesetz automatisch seine Gültigkeit. Nur so lässt sich das Wachstum unserer Regulierungen beenden, der Grad der Regulierung wieder zurückführen und den Menschen wieder Lebens- und Handlungsfreiheit verschaffen.
Zu solchem Mut hat bisher nur eine von allen Altparteien abgelehnte Alternative aufgerufen.
Bürokratieabbau
Wenn in einer privaten Firma Aufgabenstau entsteht, müssen die Mitarbeiter entweder mehr oder intensiver arbeiten, um den Stau abzuarbeiten. Die Firmen können sich die Mehrkosten für zusätzliches Personal nicht leisten. Sie stehen unter Kostendruck.
In öffentlichen Büros ist das anders. Bisher stand die Hoheitsverwaltung traditionell unter Rechtmäßigkeits- statt unter Leistungszwang, musste also ihre Arbeit nur unter Rechtmäßigkeitsgründen rechtfertigen – auch wenn das Ergebnis unrentabel war. Dieses hat sich leider auf alle öffentlichen Leistungsbereiche ausgedehnt, auch auf die nicht hoheitlichen Leistungen des öffentlichen Sektors wie Bildung, Gesundheit usw. Zusätzlich haben alle öffentlichen Sektoren Entlassungsschutz eingeführt, so dass die Mitarbeiter praktisch kaum sanktioniert werden könnten, wenn sie nicht mehr fleißig sind. Das Ergebnis ist die von der Privatisierungsforschung ermittelte zwei Drittel-Leistung öffentlicher Mitarbeiter gegenüber privaten.
Wenn also öffentliche Aufgaben nicht mehr vollständig und rechtzeitig erfüllt werden, „muss zusätzliches Personal eingestellt werden“. So wächst jede Bürokratie, wie die Aufgaben wachsen, nimmt aber nicht ab, wenn die Aufgaben sich wieder reduzieren (Parkinson-Effekt).
Die gleiche Erscheinung haben auch gewerkschaftsbeherrschte Sozialverwaltungen. In Wolfsburg arbeiten 15.000 in der Produktion, über 45.000 „VW-Beamte“ in der Verwaltung.
Früher wurden Beamte gering – vor allem mit „Ehre“ – bezahlt, heute dagegen zahlt der öffentliche Dienst mehr als der Mittelstand seinen Mitarbeitern zahlen kann, weil letzterer für erstere die höchsten Abgaben der Welt tragen muss.
Dazu hat in den vergangenen Jahrzehnten die Gewerkschaft ÖTV es mit den von ihr abhängigen Politikern erreicht, für immer mehr öffentliche Berufe generell die Besoldungsstufen zu erhöhen, z. B. für Lehrer, Polizisten, aber auch Sozialarbeiter, so dass mehr als die Hälfte des öffentlichen Dienstes nun zu den „Besserverdienenden“ (aus den Abgaben der Schlechterverdienenden) besteht[6].
Von den etwa 4,6 Millionen bei meist unproduktiven öffentlichen Arbeitgebern beschäftigten Personen verdienen 2,9 Millionen Mitarbeiter oberhalb des Median-Einkommens. Das entspricht einer Quote von 63 %[7].
Aus dem früher sparsamen Staat und seinen bescheidenen Dienern ist heute eine Geldschleudermaschine mit üppig bezahlten öffentlichen Funktionären geworden. Am schlimmsten ist, dass ein immer größerer Teil der mit Lebenszeit angestellten und versorgten öffentlichen Diener nicht mehr nach Qualifikation, sondern nach politischer Einstellung ihre Posten erreichen. Die Ampel-Regierung hat in den ersten zwei Jahren ihrer Herrschaft allein 10.000 minderqualifizierte Parteisoldaten in die Ministerien gedrückt, die man nach unserem öffentlichen Dienst-Recht nie wieder loswird, auch wenn sie kontraproduktiv sind.
Ein weiterer Bürokratisierungsschub hat sich daraus entwickelt, dass wir vom Rechtsstaat zum Rechtsmittelstaat geworden sind, dass in jedem Verwaltungsakt nicht nur Rechtsmittel möglich, sondern durch Rechtsschutzversicherungen oder auf Staatskosten (Immigranten) auch üblich sind. Das hat wiederum dazu geführt, dass nicht mehr wie in Preußen generelle Vorschriften erlassen und ihre Anwendung der dezentralen Kompetenz unbestechlicher Beamter überlassen blieb. Inzwischen regeln die öffentlichen Vorschriften alles und jedes so speziell wie möglich, damit die Beamten möglichst wenig Ermessensrisiko, aber auch Handlungsfreiheit haben.
So haben sich Überregulierung und Überbürokratisierung gemeinsam gegenseitig gesteigert, haben den privaten und vor allem den wirtschaftlichen Freiheitsraum des privaten Handelns ständig reduziert und entgegen allen marktwirtschaftlichen Prinzipien den Staat längst wieder zum größten Wirtschaftsplayer unserer Volkswirtschaft gesteigert. Dadurch gewinnen vor allem die Großunternehmer, welche selbst überreguliert und überbürokratisiert sind und sich mit Staatsbürokratie am besten verstehen. Mittelständische Branchen dagegen werden dadurch bürokratisch erdrückt, müssen immer mehr nur nach Vorschriften als nach Marktchancen arbeiten.
Das Mittelstandsinstitut Niedersachen z.B. hat ermittelt, dass Ärzte heute 40 % ihrer Zeit mit Dokumentation, Kontrollen und Bürokratie verschwenden, statt die Patienten behandeln zu können. Kein Wunder, dass wir Ärztemangel haben!
Und ebenso hat die Landwirtschaft heute ihre Produktion mehr nach öffentlichen Vorschriften als nach rentablem Landbau zu richten, weil das Überleben der Betriebe immer mehr davon abhängt, mehr offizielle Subventionen zu erzielen als höhere Erträge aus den Produktionen. Das gilt vor allem auch für die Viehzucht.
Aus vielen mittelständischen Branchen wird die gleiche Überbürokratisierung beklagt, sind aber Zahlen dafür noch nicht erarbeitet.
Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft
Die vorstehend erwähnte Bürokratiebelastung der Betriebe ist gerade jetzt unter der Ampel-Regierung gewachsen. Schon vor 40 Jahren hat der Verfasser empirisch ermittelt,
- dass Gesetzgeber und Bürokratie die Ausübung der Verwaltung zunehmend auf die private Wirtschaft abgedrückt haben, dass sie m.a.W. kraft ihrer Hoheitsgewalt immer mehr bürokratische Pflichten ohne Kostenersatz auf die Wirtschaft abwälzen, diese also als kostenlosen Hilfsdiener in Anspruch nehmen.
- Insgesamt belasteten schon vor 40 Jahren jährlich Bürokratiearbeiten im Durchschnitt alle Betriebe mit etwa 1.057 Stunden. Das waren 132 Arbeitstage oder 26,4 Wochen eines Mitarbeiters (mit Urlaub und Feiertagen 30 Wochen). Seitdem sind tausende eigene und zusätzlich weitere zigtausende EU-Pflichten hinzugekommen.
- Den Unternehmen entstanden dadurch schon vor 40 Jahren Kosten von mehr als 50.000 DM, damals für die meisten untersuchten Unternehmen höher als ihr durchschnittlicher Nettogewinn[8].
- Da alle Unternehmen die gleichen Formulare ausfüllen und die gleichen Meldungen und Kontrollen leisten müssen, wirkte sich die Bürokratieüberwälzung umso schädlicher aus, je kleiner die Unternehmen waren. Kleinunternehmen sind relativ 14 x so stark durch Bürokratiearbeiten belastet wie Großunternehmen. Pro Mitarbeiter lagen damals die Bürokratiekosten in Kleinbetrieben bei fast 700,- DM, in Mittelunternehmen mit 100 Beschäftigten bei ca. 500,- DM, bei Großunternehmen aber unter 100,- DM. Die Bürokratieüberlastung ist also in ihrer Wirkung besonders mittelstandsschädlich. Und das hat sich seit der Untersuchung des Mittelstandsinstituts 1979 nicht etwa gebessert, sondern dramatisch verschärft, wie die vorgenannten 40 % Bürokratiekosten bei Ärzten und Landwirten erkennen lassen[9].
- Allein für statistische Arbeiten waren im Durchschnitt für jeden Betrieb in Deutschland 109 Stunden notwendig, heute schätzungsweise 140 Stunden.
- Für die Steuerbürokratie waren es damals 172 Stunden, jetzt über 200, trotz Einschaltung eines Steuerberaters, allein im Unternehmen selbst.
- Die größte Belastung – die Hälfte der zeitlichen Gesamtbelastung – versursacht die Sozialrechtsbürokratie mit damals mehr als 500 Stunden. Sie wirkt sich wegen der Personalintensität auf den Mittelstand überproportional und am belastendsten für die Kleinunternehmen – z. B. das Handwerk – aus.
Das Mittelstandsinstitut hatte aber auch Abhilfevorschläge, z. B.
- die Sozialbeiträge als echte Steuer ins Sozialsystem zu übernehmen,
- dass für Kleinbetriebe großzügigere Pauschalierungen eingeführt werden,
- dass die Statistik grundsätzlich privatisiert würde,
- dass zunächst einmal alle Doppelmeldungen, Doppelstatistiken, Doppelkontrollen u.a. durch unterschiedliche Behörden vereinheitlicht würden.
Alle Versuche, die Bürokratie durch Reduzierung der Bürokraten abzuschlanken, sind bisher bescheiden oder vergeblich geblieben. Am wirksamsten wäre es darum, wenn ganze überflüssige Behörden geschlossen würden, wie z. B. das Wolfsbüro in der Landesregierung Hannover, die vielen überflüssigen und teuren Beauftragten mit ihren Stäben, die explosiv gewachsene Umweltbürokratie u.a. Ein Regierungswechsel könnte hierfür der richtige Zeitpunkt sein.
Diese Vorschläge werden immer wieder seit den vergangenen 40 Jahren von der Mittelstandsforschung gemacht, ohne dass sich Politik und Verwaltung dadurch rühren ließen.
Es kostet Gesetzgeber und öffentliche Bürokratie ja nichts, wenn sie ihre eigentlichen Verwaltungsaufgaben immer stärker auf die Betriebe ablastet. Im Gegenteil: Sie bekommt zusätzliche Leistungen, die sie selbst nicht durchführen muss. Kein Wunder, wenn die eigentlich zugunsten der Betriebe arbeitenden Industrie- und Handelskammern am stärksten gegen die Privatisierung der Statistiken protestiert haben: Weil sie sie dann selbst bezahlen müssten.
Eigentlich sieht jeder ein, dass unsere Überregulierung und Überbürokratisierung zum Verlust von Freiheit und Rentabilität in der Wirtschaft führen, also schädlich sind.
Es hat auch immer wieder politische Versuche gegeben, der Überflutung mit Gesetzen und Bürokratie abzuhelfen[10]. Das Problem dieser Versuche war immer, dass jeder Versuch, Einzelregelungen abzuschaffen, den massiven Protest interessierter Lobby-Gruppen erzeugt, bei dem die Politik dann einknickt.
Dass mit Ende des 2. Weltkrieges alle Nazi-Gesetze abgeschafft galten und die Bürokratie auf Sparflamme lief zeigt, dass nur grundsätzliche Einschnitte den Regulierungs- und Bürokratiemoloch wieder reduzieren können.
Es bleibt deshalb beim Mittelstandsinstituts-Vorschlag: Die Lebensdauer alle Gesetze muss reduziert werden, die Gesetze müssen nicht mehr nur erlassen werden, sondern auch enden, damit das Parlament neu entscheidet, ob sie überhaupt noch notwendig sind.
Die meisten Gesetze werden ohnehin innerhalb von 10 Jahren geändert, novelliert. Was nicht mehr gebraucht wird, kann auch wegfallen, muss sogar wegfallen, um unser Gesetzesdickicht aus über 2.000 Gesetzen wieder zu lichten und anwendbar zu machen und unsere private Freiheit und die Handlungsfreiheit unserer Unternehmen wieder zurückzugewinnen.
Und die Bürger würden es als Befreiung genießen, wenn alle überflüssigen biologischen, grünen und unser Leben belastenden Behörden abgeschafft würden. Wenn die Politik dies nicht schafft, wird es der kommende große Wirtschaftscrash schaffen, welcher dem Staat mehr als die Hälfte seiner Einnahmen entziehen wird.
[1] Vgl. dazu ausf. Hamer, Eberhard „Ende, Wende, Wiederaufbau in den neuen Bundesländern“, Hannover 1993; vor allem interessant: das Geheimdokument von Alexander Schalck-Golodkowski und Herta König an den Staatsratsvorsitzenden „zur voraussichtlichen Entwicklung der Verschuldung der DDR“, S. 11 ff.
[2] Vgl. Hamer, Eberhard „Privatisierung als Rationalisierungschance“, Hannover 1981
[3] Wie zuvor, S. 91 ff.
[4] Vgl. Hamer/Gebhardt „Privatisierungspraxis, Hilfe zur Umstellung Staats- auf Privatwirtschaft“
[5] Wie zuvor, S. 185
[6] Vgl. Gebhardt/Jörgens „Mittelstand im öffentlichen Dienst“ in: Hamer von Valtier/Jörgens „Die Mittelschicht in Krise und Wandel“, Hannover 2020, s. 125 ff.
[7] Wie zuvor
[8] Vgl. Hamer, Eberhard „Bürokratieüberwälzung auf die Wirtschaft“, Hannover 1971, S. 151
[9] Leider sind keine aktuellen Untersuchungen mehr zur neueren Bürokratieüberwälzung gemacht worden, hat auch das Mittelstandsinstitut Niedersachsen keine neue Untersuchung mehr durchgeführt, weil kein Mitarbeiter die noch höheren Anforderungen einer öffentlichen Projektförderung zu über-nehmen bereit war.
[10] Z. B. Waffenschmidt-Kommission unter Kohl, verschiedene Wiederentbürokratisierungs-Kommis-sionen von Bundes- und Landesparlamenten