von RegDir a.D. Josef Schüßlburner
Der vom volksdemokratischen Wanderwitz-Flügel der CDU im Volksfrontbündnis DDR-demokratisch im Deutschen Bundestag initiierte Parteiverbotsantrag gegen die Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) zeigt die Brüchigkeit bei der Gewährleistung des für eine freie Demokratie (bei Abgrenzung zur „Volksdemokratie“ einer „DDR“) zentralen Verfassungsprinzips, nämlich des Mehrparteienprinzips und der Garantie der rechtmäßigen Ausübung politischer Opposition, in der Bundesrepublik Deutschland, diesem (angeblich) „freiesten Staat der deutschen Geschichte“. Diese Zerbrechlichkeit des zentralen Verfassungsprinzips des Mehrparteiensystems mit Meinungspluralismus gilt auch dann, wenn dieser im Bundestag eingebrachte volksdemokratische Verbotsantrag auf Ausschaltung politischer Opposition und Beseitigung des Mehrparteienprinzips mit Entrechtung des gesamten Wahlvolkes (Aberkennung einer Wahloption für alle Wahlbürger) scheitern sollte, wie wohl zu erwarten ist. Vor allem verwirklicht sich diese Gefährdung des Mehrparteienprinzip durch die Verfahrensungleichheit im Verfassungsprozeß: Nur etablierten Parteien steht nämlich das Instrument des Parteiverbotsantrags zur Verfügung, während eine verfassungsrechtlich schutzbedürftige Oppositionspartei ziemlich rechtlos gestellt ist: Sie kann sich zwar im Verbotsverfahren äußerst defensiv zur Wehr setzen, ihr ist jedoch die prozessuale Möglichkeit verwehrt, etwa gegen den volksdemokratischen Flügel der (zunehmend wieder) christlich-sozialistischen CDU wegen Gefährdung des Mehrparteienprinzips einen Verbotsantrag oder wenigstens einen Antrag gegen den CDU-Genossen Wanderwitz auf Aberkennung seiner Grundrechte („Grundrechtsverwirkung“ im Sinne von Artikel 18 GG) zu stellen.
Diese Verfahrensungleichheit hat erhebliche Auswirkungen, weil es die Etablierung eines gegen die Opposition gerichteten Parteiverbotsersatzregimes ermöglicht, was mit der sog. „Verbotsdiskussion“ anfängt und dann zu weiteren massiven Beeinträchtigungen der Chancengleichheit führt, vor allem indem der Oppositionspartei die Rekrutierung von Mitgliedern aus dem Kreis der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes verwehrt wird. Gegen freie Bürger, die vom Recht der Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit und politischer Betätigungsfreiheit Gebrauch machen, wird nämlich in diesem nur „freiheitlichen“ (der Freiheit als Idee („Wert“) verpflichteten) Land geheimdienstlich und disziplinarrechtlich vorgegangen wie man dies etwa in Ungarn, das unter Orban als Demokratiegefährdung vorgeführt zu werden pflegt, nicht wird feststellen können. Dazu kommt, natürlich in der BRD und nicht in Ungarn, die erhebliche Staatspropaganda gegen die politische Opposition in Form von sog. Verfassungsschutzberichten als massive Beeinträchtigung der demokratischen Chancengleichheit bei Gefährdung des Prinzips freier Wahlen.
Diese Verfahrensungleichheit hat auch materiell-rechtliche Auswirkungen: Es dürfte einsichtig sein, daß Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Parteiverbots anders definiert werden würden, hätte auch die Oppositionspartei die Möglichkeit, einen Parteiverbotsantrag etwa gegen die Wanderwitz-CDU zu stellen. In diesem Fall würden die Verbotsvoraussetzungen eher in einer Weise bestimmt werden, wie dies in der Verfassung des freien Königreichs Dänemark nördlich der nur freiheitlichen BRD ausdrücklich bestimmt ist, nämlich durch eine Ausrichtung auf das Gewaltkriterium bei der Durchsetzung politischer Vorstellungen als Verbotsvoraussetzung: „Vereine (unter Einschluß von politischen Parteien, Anm.), die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“ An einen Parteiverbotsantrag gegen die AfD wäre bei dieser den Normstandards einer „liberalen Demokratie des Westens“ entsprechenden Regelung von vornherein ausgeschlossen.
In den Rechtsfolgen würde sich bei einer derartigen demokratiekonformen Regelung dann wohl kein „ewiges“ Verbot ergeben, sondern dieses könnte dann nur befristet ausgesprochen werden, womit die BRD wenigstens das Freiheitsniveau des deutschen Kaiserreichs erreichen würde (wo das Sozialistengesetz nur befristet erlassen wurde und für den Bürger kein Wahlverbot vorgesehen hat, d.h. Mitglieder der befristet verbotenen SPD konnten in den Reichstag gewählt werden, eine Freiheit, die dem Parteiverbot nach dem Grundgesetz im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts bislang völlig fremd ist). Mit der bestehenden Verfahrensungleichheit ist dagegen die Grundlage dafür gelegt, daß die Verbotsvoraussetzungen ideologisch bestimmt werden: (ideologische) „Wesens-verwandtschaft“ und ähnliche kuriose Kategorien, die der Zeit des verbotenen Schadenszaubers entnommen zu sein scheinen, spielen dann die entscheidende Rolle. Dabei handelt es sich dabei um ziemlich einseitige ideologische Festlegungen, die so bestimmt sind, daß sie sich nur gegen eine bestimmte oppositionelle Strömung richten.
Gegenüber der Behauptung einer Verfahrensungleichheit beim Verfassungsprozeß im Parteiverbotsverfahren kann dabei nicht ernsthaft das Argument angeführt werden, daß auch die CDU nicht die Kompetenz hätte, einen derartigen Parteiverbotsantrag etwa gegen die AfD zu stellen, sondern dies nur Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung tun könnten. Bei einer derartigen Argumentation müßte man unter Abwandlung eines berühmten Satzes des großen sozialdemokratischen Juristen Gustav Radbruch von einer „Lebenslüge des bundesdeutschen Parteienstaates“ sprechen, würde man davon ausgehen, daß die beim Parteiverbot antragsberechtigten Staatsorgane Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gerade bei der zentralen Machtfrage eines Parteiverbots, also der Ausschaltung möglicher Konkurrenz nicht durch den freien Wähler / mündigen Bürger, sondern autokratisch durch Staatsorgane, nicht parteipolitisch motiviert wären und als völlig neutrale Sachwalter des Allgemeinwohls angesehen werden müßten. Gerade die Konzeption des Parteienstaates gebietet es, das grundlegende Prinzip der Chancengleichheit aller Parteien auf die Antragsberechtigung beim Parteiverbotsverfahren anzuwenden. Der numerus clausus der Antragsberechtigung nach § 43 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) zur Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens stellt unter diesem Gesichtspunkt eine erhebliche Verfahrensungleichheit dar, die einem fairen Verfahren von vornherein entgegenwirkt. Damit wird nämlich Vorsorge getroffen, daß nur etablierte Parteien über die antragsberechtigten Staatsorgane ein Verbotsverfahren gegen Oppositionsparteien einleiten können, während verfassungsrechtlich schützbedürftige oppositionelle Minderheiten sich dieser Verbotsdiskussion (Verbotsforderung, Vorführung als Verbotskandidat durch Aufführung in „Verfassungsschutzberichten“ und darauf gestützte umfangreiche Maßnahmen weltanschaulicher und politischer Diskriminierung) weitgehend ungeschützt ausgesetzt sehen. Zumindest müssen die individuell Betroffenen (denen etwa die Kaminkehrerlizenz wegen unerwünschten politischen Gedankenguts verweigert wird) sich in kostspieligen Prozessen mühsam zur Wehr setzen, während das Verbotsersatzsystem als solches zu Lasten der Träger und Befürworter dieses Parteiverbotssurrogats nie zentral zu einem verfassungsprozessualen Streitgegenstand gemacht werden kann.
Die Ungleichheit im Verbotsverfahren ermöglicht vor allem die Vorwirkung eines möglichen Parteiverbots durch eine als „Verbotsdiskussion“ verharmloste Verbotsdrohung. Diese Vorwirkung eines Parteiverbotsverfahrens, das dann gar nicht mehr durchgeführt werden muß, weil sich aufgrund von Verbotsdrohungen, die mit einer Vielzahl von Sanktionen verbunden sind, gar keine neuen Parteien mehr bilden, hat das Bundesverfassungsgericht zumindest im Zusammenhang mit möglichen strafrechtlichen Sanktionen eines Parteiverbots auszuschließen gesucht. Diese den freien Parteienwettbewerb beeinträchtigenden Parteiverbotsvorwirkung wird seit den 1970er Jahren neben zahlreichen Mechanismen der bundesdeutschen „Verfassungsschutz“-Politik, welche die „Verbotskandidaten“ zur Förderung der Menschenwürde amtlich bereits als „Extremisten“ vorführt, gerade durch das Herrschaftsinstrument der „Verbotsdiskussion“ unterlaufen. Von der einst verkündeten Legalitätswirkung, die der Monopolisierung des Parteiverbotsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht zugunsten einer noch nicht verbotenen Partei zugeschrieben worden ist, ist in der BRD schon sein längerem nicht mehr so viel zu spüren. Soll der Schutz des Mehrparteienprinzips durch Ausschluß der Verbotsvorwirkung ernst gemeint sein, sind deshalb die Vorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über das Parteiverbotsverfahren, insbesondere über die Antragsberechtigung zur Einleitung eines Verbotsverfahrens grundlegend zu ändern oder bei einem nächsten förmlichen Parteiverbotsverfahren der verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterwerfen.
Der vorliegende Beitrag gibt einer einem förmlichen Verbotsverfahren unterworfenen Partei den Ratschlag, die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung zur Berechtigung, einen Antrag auf Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens nach § 43 BVerfGG zu stellen (numerus clausus der Antragsberechtigten) möglicherweise durch „Widerklage“ im Wege des Organstreitverfahrens, wozu politische Parteien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an sich antragsbefugt sind, zur Prüfung zu stellen. Man könnte bei einer derartigen Widerklage den Antrag stellen, die Parteien, die den auf Ausschaltung politischer Konkurrenz gerichteten Verbotsantrag stellen, als verfassungswidrig zu erkennen und dementsprechend zu verbieten. Wird dieser Antrag etwa auf Verbot der Wanderwitz-CDU – wie zu erwarten – verfahrensrechtlich abgelehnt, dann wird zumindest in der politischen Auswirkung deutlich gemacht, daß eine zum Schutz der Minderheit demokratietheoretisch gebotene Verfahrensgleichheit nicht gegeben ist, was große Zweifel, wenn nicht an der Verfassungsmäßigkeit, dann doch an der Demokratiekonformität des Verbotsverfahrens nach dem Grundgesetz im (bisherigen) Verständnis des Bundesverfassungsgerichts hervorrufen könnte.
Das Problem der den fairen Parteienwettbewerb beeinträchtigenden Parteiverbotsvorwirkung ist nicht dadurch gelöst, daß auch diesmal die massiven Parteiverbotsforderungen gegen eine bestimmte Partei (gäbe es diese nicht, wäre eine andere Rechts-Partei Kandidat der „Verbotsdiskussion“) wieder nur zur Verbotsdrohung führen, die dann allerdings schon formalisiert worden und nicht bei VS-Unterstellungen verblieben ist. Die Bedeutung des Mehrparteienprinzips gebietet die Schaffung fairer rechtlicher Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren. Vorbild könnte zumindest insoweit das türkische Parteiverbotsverfahren sein, das die Antragsstellung auch von konkurrierenden Parteien bei der Generalstaatsanwaltschaft kanalisiert, wofür spricht, daß ein Parteiverbotsverfahren den Charakter einer strafrechtsaffinen Kollektivstrafe aufweist. Wäre dabei die Entscheidung der antragsberechtigten Staatsanwaltschaft, d. h. (übertragen auf deutsche Verhältnisse) der Bundesanwaltschaft, von einem Verbotsantrag abzusehen, einem Klageerzwingungsverfahren der am Verbot interessierten konkurrierenden Partei unterworfen, wäre eine neutrale Ausgestaltung des Verbotsverfahrens gesichert. Als Alternative käme in Betracht, daß jede Partei unmittelbar im Wege der Organklage direkt ein Verbotsverfahren gegen eine konkurrierende Partei beim Verfassungsgericht beantragen könnte: Demokratisierung des Parteiverbotsverfahrens. Diese Demokratisierung des Verbotsverfahrens würde mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, daß derartige Verbotsforderungen dann nur noch auf rechtsstaatlich nachvollziehbare Gründe gestützt werden und damit eine Abkehr vom dem die bundesdeutsche politische Kultur prägenden demokratischen Schadenszauber (Kampf gegen „Gedankengut“) eines veralltäglichten ideologie-politischen Notstandes stattfindet, der unterstellt, „Gedankengut“ könnte die Verfassung „verletzen“.
Erst wenn (um konkret zu werden) die AfD die Möglichkeit hat, einen Verbotsantrag etwa gegen die wanderwitzige CDU stellen zu können, um damit eine realistische „Verbotsdiskussion“ zu beginnen, ist die Verfahrensgerechtigkeit des Verbotsverfahrens im bundesdeutschen „Parteienstaat“ gewährleistet. Falls dann die AfD der CDU nichts rechtsstaatlich Relevantes vorwerfen kann, hätte die CDU bei einem derartigen, gegen sie gerichteten Verbotsantrag nichts zu befürchten – dies muß dann allerdings nach dem für den Rechtsstaat grundlegenden Reziprozitätsprinzip auch umgekehrt gelten.
Der vorliegende Beitrag stellt den 1. Teil einer 28 Teile umfassenden Serie zur Kritik an der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption dar.
Die hier vorgeschlagene Demokratisierung des Parteiverbotsverfahrens zur Herstellung der rechtsstaatlichen Verfahrensgerechtigkeit und dabei zur Wahrung des Verfassungsprinzips der Chancengleichheit aller Parteien auch im Verbotsverfahrenhat den Zweck, auf eine Normalisierung der bundesdeutschen Demokratie hinzuwirken, die durch den friedlichen Links-Rechts-Antagonismus gekennzeichnet sein müßte. Dieser ist nur bei strikter formaler Wettbewerbsgleichheit der parteipolitischen Richtungen ohne verfassungsrechtliche oder zumindest verfassungsideologische Privilegierung einer bestimmten Richtung, die sich als „Mitte“ bezeichnen mag, zu verwirklichen.
Josef Schüßlburner
Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte
2010, Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe), 8,50 Euro
ISBN: 978-3-935063-94-4
Zur Herstellung der demokratischen Wettbewerbsgleichheit der Parteien zählt wesentlich die Verfahrensgleichheit bei einem Parteiverbotsverfahren. Nur durch diese Gleichheit bei Ausschluß einer nur einseitig wirkenden Verbotsdrohung, die als „Verbotsdiskussion“ verharmlost wird, kann die freie Wahl des Bürgers gesichert werden.
Es wird versucht, einen demokratie-feindlichen Verbotsantrag gegen eine konservativ-liberale Oppositionspartei beim BVerfG einzureichen. Dagegen dürfen kommunistische Parteien, die verfassungswidrig die Diktatur des Proletariats fordern weiter an den Wahlen teilnehmen dürfen.