Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen stürmten am 10. November 1914 deutsche Regimenter gegen englische Stellungen westlich der belgischen Ortschaft Langemarck in Flandern. Die vor allem aus unerfahrenen jungen Freiwilligen und Reservisten bestehenden deutschen Verbände erlitten dabei hohe Verluste. In der Folge entwickelte sich in Deutschland der patriotische „Mythos Langemarck“ als Sinnbild für die Opferbereitschaft der deutschen Jugend im Ersten Weltkrieg.
Der Sturm auf das kleine Dorf Langemarck geschah im Verlaufe der Ersten Flandernschlacht im Oktober und November 1914. Nach dem Scheitern des Schlieffenplanes und dem Verlust der Marneschlacht mussten die deutschen Truppen an die Aisne zurückgenommen werden. Im belgischen Flandern, nördlich der Grenze zu Frankreich, waren bis dahin noch keine Truppen der Kriegsmächte aufmarschiert. Das änderte sich nun: Es begann ein „Wettlauf zum Kanal“, mit dem beide Seiten versuchten, den Gegner an der Küste zu überflügeln und dadurch die Front zum Einsturz zu bringen.
Hauptträger der Kämpfe auf deutscher Seite war die 4. Armee unter Generaloberst Herzog Albrecht von Württemberg. Sie sollte unterstützt werden von der südlich anschließenden 6. Armee, die von Kronprinz Ruprecht von Bayern befehligt wurde. Die 4. Armee bestand aus fünf Reservekorps, in denen vor allem Kriegsfreiwillige dienten, die über noch wenig Ausbildung und unzureichende Ausrüstung verfügten. Mangelware war auch die Artillerie, was sich in den Kämpfen besonders nachteilig auswirkte.
Auf Seiten der Gegner standen im Norden der Front zunächst die Reste der belgischen Armee, die jedoch bald vom britischen Expeditionskorps ersetzt wurden. Weiter südlich befand sich die 10. französische Armee.
Den in Flandern angreifenden deutschen Verbänden der 6. Armee, etwa 100.000 Mann, standen im Wesentlichen die ebenso starken Engländer gegenüber. Die Engländer verfügten allerdings über durchgehend erfahrene Berufssoldaten und waren zudem in der Verteidigung.
Nachdem der Überflügelungsversuch des III. deutschen Reservekorps im Zuge der Kanalküste nach Westen gescheitert war, bildete sich die Hauptverteidigungslinie der Alliierten an dem von Ypern nach Ostende verlaufende Ypern-Kanal. Vorwärts von ihm hatten die Engländer Ortschaften und Waldstücke zur Verteidigung eingerichtet.
Vom Oktober 1914 an griffen die Deutschen die britische Verteidigung in sich wiederholenden Wellen an. Im Bereich der Ortschaften Langemarck und Paschendaele, einige Kilometer nordostwärts von Ypern gelegen, gingen zwei Divisionen des XXIII. Reservekorps unter General der Kavallerie Georg von Kleist und eine Division des III. Reservekorps vor. Die Engländer verteidigten sich zäh und warfen die Deutschen ein ums andere Mal zurück. Nur an wenigen Stellen konnten die Angreifer den Ypern-Kanal kurzzeitig erreichen und überschreiten, bevor sie wieder zurückgeworfen wurden.
Diese Kämpfe zogen sich bis in den November 1914 hinein, ohne dass eine Entscheidung auch nur abzusehen war. Die beiderseitigen Verluste waren hoch. Besonders zu bluten hatten die deutschen Freiwilligenverbände, bei denen sich auch viele Studenten befanden.
So kam es am 10. November 1914 zu jenem denkwürdigen Sturm von Soldaten der 44., 45. und 46. Reservedivision auf und um Langemarck gegen den Ypern-Kanal, der dadurch Berühmtheit erlangte, weil er im Bericht der Obersten Heeresleitung besonders erwähnt wurde:
„Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ‚Deutschland, Deutschland über alles‘ gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie. Etwa 2000 Mann französischer Linieninfanterie wurden gefangengenommen und sechs Maschinengewehre erbeutet.“
Dies war der Ausgangspunkt für den patriotischen Langemarck-Mythos, der sich vor allem in der Weimarer Republik und dem 3. Reich entwickelte. Das Ergebnis der Angriffe war allerdings ernüchternd. Die Freiwilligenverbände hatten Tausende Tote und Verwundete zu beklagen; die britische Verteidigung konnte – auch wegen der fehlenden Artillerie – nicht überwunden werden. Ende November wurden die Angriffe deutscherseits eingestellt, die gesamte Westfront kam zum Stehen. Es begann der blutige Stellungskrieg.
Bis Kriegsende 1918 gab es noch weitere drei Schlachten in Flandern, in denen beide Seiten jeweils versuchten, den Gegner an der Kanalküste zu überflügeln. Jedesmal endeten die Kämpfe wieder im Stellungskrieg.
Auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Langemarck ruhen 44.000 deutsche Soldaten, die während der Flandernschlacht 1914 fielen. Über dem Torbogen des Eingangsportals (siehe Foto oben) stehen die berühmten Worte des Dichters Heinrich Lersch: „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“.
Im ganzen Deutschen Reich entstanden Denkmäler und Gedächtnisstätten für die jungen Kriegsfreiwilligen von Langemarck, insbesondere an Universitäten. Bücher wurden geschrieben und Heldengedichte verfasst. Eines davon stammt von dem ebenfalls im Ersten Weltkrieg gefallenen Walter Flex:
»Wir sanken hin für Deutschlands Glanz.
Blüh, Deutschland, uns als Totenkranz!
Der Bruder, der den Acker pflügt,
ist mir ein Denkmal wohlgefügt.
Die Mutter, die ihr Kindlein hegt,
ein Blümlein überm Grab mir pflegt.
Die Büblein schlank, die Dirnlein blühn
mir als Totengärtlein Dank.
Blüh, Deutschland, überm Grabe mein
jung, stark und schön als Heldenhain!«
Heute wird der Langemarck-Mythos allgemein verspottet und in den Schmutz gezogen. Es fällt auf, dass dies auch in einer Zeit geschieht, in der Deutschland wieder „kriegstüchtig“ gemacht und die jungen Deutschen zu den Fahnen gerufen werden sollen. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied: Jene jungen Kriegsfreiwilligen in Flandern ließen ihr Leben für das eigene Volk und Vaterland, was sie bewusst taten und wofür ihnen Ehre zuteil wurde. Die heutigen Generationen sollen allerdings als Söldner für fremden Interesse in aller Welt sterben, was mit Patriotismus und Ehre nichts zu tun hat.
Stephan Ehmke
Karten: Frontverlauf im November 1914, Übersichtskarte Ypern.