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Religion und Nation sind Existenzformen des Menschlichen. Sie stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander, bedingen sich vielfach, können aber auch gegeneinanderstehen. In unseren westeuropäischen Breiten kann heute eine zunehmende Auflösung der verschiedenen Gemeinschaftsbande wie Ehe, Familie, aber auch der Kirchen und Nationen festgestellt werden, was durch den Verlust der Integrationskraft, welche die Religion und die Nation ermöglichten, verursacht ist. Diese Auflösung ist wiederum bedingt durch ein Verlustigwerden des christlichen Glaubens einerseits und insbesondere dessen, was auch die inhärente Eigenschaft und Aufgabe von Nation und Religion mitsamt ihren Traditionen ist, nämlich normatives kulturelles Gedächtnis zu sein.
Es sei an dieser Stelle die Frage gestellt: Gilt dieser Trend für den gesamten Globus? Der National Intelligence Council, einer der wichtigsten Thinktanks des US-amerikanischen Geheimdienstes, hob in seinem Zukunftsreport „Global Trends: Paradoxon of Progress“ hervor, dass als einer von sieben wesentlichen Trends bis 2035 ein Erstarken der nationalen Identitäten und der Religionen zu erwarten sei. In welcher historischen, geistig-seelischen Lage befinden wir uns heute in Europa? Es ist zunächst die Frage zu stellen, was es denn ist, was wir unter „Religion“ und „Nation“ verstehen. Und ferner etwa auch: Welche Bedeutung sollen ihnen für die Politik zukommen? Ein Christ soll am politischen Leben teilnehmen und dem guten Leben dienen – hierzu eine aktuelle Stellungnahme.
Die Frage: Was ist es?
Der Begriff religio, insbesondere auf Cicero zurückgehend, bedeutet so viel wie Bindung, Verbindung und Rückbindung. Gemeint ist der unbedingte Rückhalt, den unser Leben in Gott findet, worauf sich ein bestimmter Kult oder auch eine Lebensweise gründet. Christusgläubige Menschen bilden eine ekklesia, eine Gemeinschaft, die wie auch eine jede Nation oder auch politische Gesellschaft einen Kosmos (vgl. Platon oder Eric Voegelin) bildet. Der Kosmos ist eine geordnete Einheit, die auch ein „Sinnraum“ und das Gegenstück zum Chaos ist. Das Wort Nation entstammt dem Lateinischen natare, geboren werden, und bezeichnete ursprünglich eine Gemeinschaft von Menschen gleicher Herkunft, daran anschließend eine durch gemeinsame Sprache, Sitten und Bräuche kenntliche Gemeinschaft. Beide entsprechen einer Anthropologie, die den Menschen als soziales bzw. geselliges und politisches Wesen, als „zoon politikon“ (Aristoteles) sehen.
In der Geschichte Europas war es insbesondere der im Gefolge der Französischen Revolution entstandene moderne Staat, der Staatsvölker schuf. Hierbei ging der Nationalismus oft eine Allianz mit einem säkularen Liberalismus ein. Damit wurde die Nation jedoch, ähnlich wie die Reiche zuvor, ein je eigener (kleinerer) Kosmos. Die Gründungsmythen von Reichen unterscheiden sich meist von jenen moderner Staaten und zwar in der Frage, ob sie theozentrisch oder anthropozentrisch angelegt sind. Doch haben auch die jeweiligen Nationen ihre je eigene Gründungsgeschichte und auch -mythen, die oft mit dem Christentum verwoben sind. Das Selbstverständnis eines Staatsvolkes spiegelt sich meist in seiner Verfassung wider und kann somit im Sinne eines „Verfassungspatriotismus“ normativ wirken. (Positivbeispiel: Ungarn mit einer neuen Verfassung, die sich zu Christentum und dem Staatsgründer, dem Hl. Stephan, bekennt; dagegen ist in der rechtspositivistischen österreichischen Bundesverfassung weder die Religion noch etwa das Prinzip Menschenwürde verankert.)
Zum Vergleich sei angeführt, dass es in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Wörter gibt, die eine Typologie des Eigenen zum Ausdruck bringen. Franzosen würden etwa von patrie als dem Vaterland reden, für Briten gibt es auch heute noch neben den Nationen immer die größere Entität der Monarchie bzw. des commonwealth, welches Otto von Habsburg in seinem Buch „Die Reichsidee“ mit Reich übersetzt. Im Deutschen gibt es das besondere Wort Heimat. Heimat verbindet man mit Emotionen, man meint die Erinnerung an eine glückliche Kindheit und familiäre Geborgenheit oder an eine landschaftliche Eigenheit. Heimat kann für das große kulturelle Erbe stehen, ebenso für eine reiche Fauna und Flora und, damit verbunden, für einen intakten Bauernstand, der das „gute Brot“ sichert (und dafür fast nur in der Schweiz die gesellschaftspolitische Anerkennung erfährt, die er verdient). Das Heim ist ein Dach über dem Kopf und steht insbesondere in Österreich auch für Gemütlichkeit, die etwa Tolkien in seinen Büchern und deren Verfilmungen im Land der Hobbits vermittelt.1
Die Realität der Nation
Religion und Nation sind wie bereits angedeutet auch Existenzräume; sie sind eben ein Kosmos, der Sinnangebote zur Verfügung stellt. Damit prägen sie Lebensweisen, schaffen somit Kultur und sind Sinnstiftungskultur. Genauso wie die Religion umfasst die Nation eine geistige und metaphysische Realität, die man nicht ignorieren kann. Wir werden in eine Nation hineingeboren, und diese Tatsache beeinflusst unser ganzes Leben, und zwar nicht nur im materiellen Sinne – Teil einer Nation zu sein, geht mit Verpflichtungen und Loyalitäten moralischer und politischer Art einher. Ich habe oder hätte gegenüber meiner Familie und meinem Heimatland andere Verpflichtungen als gegenüber anderen Menschen und anderen Ländern und Staaten. Sie sind uns Gabe; ihre Wahrung und Bewahrung sollte uns damit wie das von Gott geschenkte Leben auch Aufgabe und Dankespflicht sein.
Wären alle Menschen der Erde Brüder, wie es das abstrakte Humanitätsideal der Aufklärung sehen will, wäre niemand wirklich Bruder, denn dies käme einer Überforderung gleich: Die Nächstenliebe beginnt bei einer gesunden Eigenliebe (auch seinem eigenen Volk gegenüber) und, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, bei der Eigenverantwortung; dann erst sollte sie sich in einer wohlgeordneten Weise auf den Nächsten und der eigenen Familie erweitern. Und es sei zur Klärung erwähnt, dass die verbindende Kraft von Religion und Nation im gemeinsamen Gedächtnis an die je eigene Geschichte liegt, und eine Gemeinsamkeit in der Verbundenheit in einem gemeinsamen Schicksal. Dieses Selbstverständnis wurde in der Geschichte insbesondere von den Eliten der Gesellschaft getragen; den heutigen linksliberalen, globalistisch ausgerichteten Machthabern im Westen mangelt es an einem solchen Verständnis; sie sehen andere (ideologische) Prioritäten.
Christentum und Nation
Wie steht nun die christliche Religion zum Volk? Die Kirche selbst wird in der Heiligen Schrift als ein „Volk unter Völkern“ (vgl. Apostelgeschichte 15,14) bezeichnet. Die Bibel spricht generell und deutlich von Völkern, ihrem Dasein, ihrem Recht auf Selbstbestimmung und insbesondere der Volkwerdung Israels am Berg Horeb und seiner Geschichte – Jesus selbst war mit seinem Volk und seiner Herkunft eng verbunden, was meist übersehen wird. Die Existenz von Nationen und die Einordnung des Menschen in einen Stamm oder ein Volk folgt der biblischen Weisung der göttlichen Weltregierung, wofür der Allmächtige Volksengel beauftragt hat (vgl. Deuteronomium 32,8). Auch wenn viele christliche Normen („Dein Reich kommen, Dein Wille geschehe“, Vaterunser) nicht unmittelbar auf einen politischen Kontext übertragen werden können, sei an eine zentrale christliche Forderung der Prioritätensetzung für das konkrete Leben erinnert:
„Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Matthäus 6,33).
Sein Reich und Seine Gerechtigkeit können synonym mit dem Gemeinwohl gesetzt werden, dem Zentralprinzip der Katholischen Soziallehre, das aus der göttlichen Offenbarung sowie auch der Vernunfteinsicht des Menschen erschlossen werden kann. Das Gemeinwohl entsteht zunächst aus Realisierung der göttlichen Gebote und der Tugenden, die die Religion lehren: „Meide das Böse, tue das Gute“ (Psalmen, Thomas von Aquin). Die zentrale christliche Tugend ist die Liebe und die Forderung dieser ist die Gerechtigkeit (Papst Benedikt XVI.). Ferner bedarf es für das (christliche) Leben insbesondere der Demut und des Opfers. Die für Christen verbindliche Forderung der Nächstenliebe, die im Gebot der Gottesliebe darf nicht dafür uminterpretiert werden, dem göttlichen Heilswillen zu widersprechen. Das Gemeinwohl (durch die Sünde) zu schädigen oder dessen Schädigung in Kauf zu nehmen, indem man etwa eine moralisch falsche, antichristliche Politik unterstützt.
Die Nation ist in den Worten des katholischen Sozialethikers Johannes Messner ein Kosmos gemeinsamer Ideen, Vorstellungen, Werte, Lebensformen, Traditionen, Sitten und Gebräuche; man könnte auch von Codes und somit über bestimmte Symbole reden. Messner: Die Nation kann
„nicht treffender als mit Hegels Ausdruck ‚objektiver Geist‘ gekennzeichnet werden, weil sie unabhängig von jedem Einzelnen besteht, während doch jeder Einzelne darin geistig wurzelt.“ (Das Naturrecht)
„Der Mensch verbindet seine tiefste menschliche Identität mit der Zugehörigkeit zu einer Nation“, erklärte Papst Johannes Paul II. Entsprechend ist für einen Katholiken die Heimatliebe eine „Dankespflicht“ und entspricht der „Ordnung der Liebe“, wie der Katechismus festhält (Nr. 2239). Die Vaterlandsliebe ist für den Katholiken die Erweiterung des 4. Gebots: das Volk ist die erweiterte Familie. Der (universale) Katholizismus ist somit, entgegen der heute herrschenden Verwirrung bezüglich seiner Lehre, zugleich übernational und national, nicht jedoch antinational. Der christliche Patriotismus ist Anerkennung einer guten, gerechten Ordnung. Gott selbst ist Garant einer jeden Ordnung, sei sie seelisch-persönlich oder gemeinschaftsbezogen. Entsprechend traditioneller katholischer Soziallehre ist das Volk wie die Kirche ein lebendiger geistiger Organismus, an dem die Einzelnen teilhaben (sollen) und seine ihm innewohnende Kraft ist die „soziale Liebe“ (Papst Pius XI.).
Als Beispiel eines Kosmos einer Nation, in der die Religion und die Nation eine integrative Kraft entfalten, sei der heutige Staat Israel genannt, der ein Staatsverständnis aufweist, wie es früher auch christliche Nationen und Staaten hatten. Israel besteht aus einer sehr inhomogenen Bevölkerung, die wie kaum eine andere durch die Religion zusammengehalten wird. Wobei in Bezug auf die jüdische Religion insbesondere der Sabbat als Feiertag und daneben das Militär eine integrierende Wirkung entfalten. In ähnlicher Weise taten dies die Kirche und das Militär, die neben einem König oder Kaiser die Grundpfeiler in den einst christlichen Monarchien im Abendland waren – man vergleiche das Vereinigte Königreich (Großbritanniens) als „christliche Zivilreligion“ mit einem König und einem (ein wenig vorhandenen) Ideal einer Mischverfassung aus Monarchie, Aristokratie und Demokratie.2
Das Nationale, das vom Nationalismus zu unterscheiden ist, weist immer auch metaphysische, mythische und mythologische Strukturen auf. Die Zugehörigkeit zu ihr wird meist auch als schicksalhaft verstanden, so wird das Nationale als generationenübergreifende Realität erfasst und begriffen. Ein nationaler Mythos ist wie jeder Mythos eine bestimmte Form der Wirklichkeitserfahrung. Die Nation hat ihre Geschichte und ihre eigenen nationalen Symbole, etwa der Fahnen. Diese Bezugspunkte sind nicht rein phänomenologisch, sie stehen eben in einer historischen Kontinuität, wie sie zum Beispiel im Einigungsvertrag der BRD mit der DDR aus dem Jahre 1990 auch festgehalten wurde. Das Bonner Grundgesetz verbürgt auch die Verbindung zu einem Überzeitlichen, wie einer ihrer Verfasser und der erste Bundespräsident der BRD, der Liberale Theodor Heuss, bezugnehmend auf den Gottesbezug („Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“), erklärte:
„In der Theologie gibt es das Wort von dem ‚Numinosen‘, von dem, was das Geheimnisvolle, das Zeichenhafte ist. Und etwas Numinoses muss in der Präambel drin sein; um Gottes willen nicht in der ganzen Verfassung. (…) Die Präambel muss eine gewisse Magie des Wortes besitzen.“ (Quelle: Das Nationale, Kurt Hübner)
Die Schmähung des Nationalen
Nationales und auch religiöses Denken ist und bleibt auch heute noch für den spätmodernen bzw. postmodernen, angeblich weltoffenen Menschen unwürdig, es gilt als überholt. Vor dem Nationalen wird gewarnt. Nationales Bewusstsein, Nationalismus und Nationalstaat werden undifferenziert in einen Topf geworfen. Zweifelsohne gab und gibt es Exzesse des Nationalen wie seine Entartung in Chauvinismus mitsamt Expansionsdrang. Es besteht die Gefahr, dass das Nationale maßlos wird, genauso wie jeder Mythos irrational werden kann. Es gibt aber auch die Gefahr des exzessiven Bezugs auf das Universale und Kosmopolitische, in der Vergangenheit wie auch der Gegenwart in Form von globalistischen Eliten. So wollen die linksliberalen Demokraten in den USA gewisse geopolitische und ökonomische Interessen einer liberalen Hegemonie mit ihren Vasallen durchsetzen – und nicht der nationale Donald Trump mit seiner „Amerika first“-Politik.
Doch ist es ein modernes, wissenschaftliches Weltbild, das die Religion, das Nationale und das damit verbundene mythologische Denken für überholt erachtet – es kam angeblich zur „Entzauberung der Welt“ (Max Weber). Jene gehören angeblich einer früheren, überwundenen Zeit der Menschheit an – der moderne Mensch meint, in Einklang mit der menschlichen Vernunft, der vorurteilsfreien Erfahrung, Rationalität samt Szientismus zu leben, und er meint, sich die Welt durch die Technik unterwerfen zu können. Es soll mit Ockhams Rasiermesser jede metaphysische Dimension im Namen eines neuen Rationalismus herausgelöst werden, weil sie ja angeblich keinen Bezug zur Wirklichkeit habe. Aber lässt sich das auch beweisen? Sind Metaphysik und der Mythos wirklich eine ungeheure, Jahrtausende währende Fiktion und Illusion, und hat der moderne Mensch, mit Nietzsche gesprochen, den Ausweg aus dem Labyrinth gefunden? Die Antwort lautet nein.3
Ein Erkenntnisverfahren, das nur auf Erfahrung und rein logischem Denken beruht, bleibt reduktionistisch und stellt eine Selbstbeschränkung dar. Was zweckrational ist, ist noch nicht unbedingt sinnvoll. Rationalismus oder Relativismus werden keine eigenen Inhalte und Prinzipien hervorbringen und einen Teil der Wirklichkeit ausblenden, womit auch die Quelle des echt Moralischen ausgetrocknet wird. Die „Vernunft“ der „Aufklärer“ sagt wenig bis nichts über die Menschennatur und somit auch die Natur aus. Dass die sogenannte „moderne Aufklärung“ in Verkennung des christlichen Logos das Licht der Vernunft gebracht und uns vom finsteren Mittelalter befreit hätte, wir somit in einem „fortschrittlichen Zeitalter“ leben, ist eines der Vorurteile, das sich hartnäckig hält. Es entspräche bester philosophischer und gleichwohl aufklärerischer Tradition, Dinge und damit „Werte“ – von der etwa eine Frau Ursula von der Leyen gerne spricht – zu hinterfragen.
Es hat sich gezeigt, dass trotz seiner Verdrängung und scheinbaren wissenschaftlichen Widerlegung metaphysisches und mythisches Denken und Vorstellen in wichtigen Bereichen unverändert weiterlebt, so in der Religion, aber auch der Kunst und eben auch der nationalen Identifikation – sie gehören zu den wichtigen existentiellen und „identitären“ Erfahrungen. Sie bestätigen, dass der Mensch ein Gemeinschaftswesen und kein autonomes, „nacktes“ Individuum ist. Es ist eben dieses Verständnis, das dem Menschen seine Freiheit gibt oder wiedergibt. Und es ist ein Verständnis, das eine Dimension der Liebe enthält – was ist der Patriotismus auch anderes als Liebe zur Heimat bzw. zur Nation? Es ist genau diese Nächstenliebe, die eben Gemeinschaft bildet, ein Gemeinwohl ermöglicht, worin der Mensch sich erst überhaupt als Mensch realisiert. Die Liebe ist bekanntlich das zentrale Gebot des Christentums:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Deuteronomium 6,5; Levitikus 19,18).
Die Ordnung von Seele und der Polis
Insbesondere Platon lehrte, dass die politische Ordnung oder auch Unordnung transzendenten Ursprungs sind und mit einer je spezifischen Seelenkonstitution zusammenhängen. Jede Staatsform, sei es die Aristokratie, Demokratie oder Tyrannis, entspricht einer je eigenen seelischen Verfassung seiner Bürger. Das anzustrebende Ziel einer Gemeinschaft sollte entgegen dem liberalistischen Selbstverständnis, wonach „jeder nach seiner Façon selig werden möge“ (Friedrich II.), entsprechend klassisch-christlichen Vorstellungen die Glückseligkeit bzw. das Heil der Menschen sein. Ohne die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen zu schmähen, ist die Entfaltung des Menschen durch eine gute Ordnung der Seele und durch die Gemeinschaft im Gemeinwohl – die in einen Wechselwirkung zu einanderstehen – als realisierbar anzusehen.
Platon geht davon aus, dass die Dinge als objektive Tatsachen Wesenheiten haben, die der Mensch erkennen kann, so daß es ihm möglich wird zu bestimmen, was gut und was schlecht für ihn ist. Der vernunftbegabte Mensch erkennt, was gut und auch gesund ist, und unterscheidet dies vom Schlechten, mithin Ungesunden. Was für die einzelne Seele gilt, gilt auch für das Gemeinwesen als Ganzes. Nicht die niederen Instinkte, Begehrlichkeit und Leidenschaft sollen herrschen, sondern eben die Vernunft. Diese vernimmt im Unterschied zum rein intellektuellen Verstand die tiefere, metaphysische Wirklichkeit, etwa auch des Gewissens. Mithilfe des Thymos, einer Beherztheit, Ehrenhaftigkeit und Kraft vermag der Mensch der Gerechtigkeit und das Gemeinwohl zu ihrem Recht zu verhelfen.
Vernünftige Menschen sind Philosophen, die nach Platons Ideal im Staate herrschen sollen und diesen zum guten Leben und damit auch zur Moral sowie guter Sitte animieren sollen. Gute Sitten wieder anzunehmen, ist schwierig in einer Gesellschaft, in der jeder nur tut, was er will und seinen Begierden oder dem bloßen Gelderwerb frönt. In einer solchen Gesellschaft werden Autoritäten aufgelöst und die Menschen immer empfindlicher, sodass jeder Versuch, Grenzen zu ziehen und ein Maß einzufügen, als unerträglich abgewiesen wird. Aus dieser liberalistischen Gesetzlosigkeit entspringt für Platon die Tyrannis. Und ein Tyrann wird nicht Werte wie Maßhalten, Frieden, Freundschaft bzw. Solidarität oder insbesondere die Gerechtigkeit vorleben oder gar einfordern.
Das heutige Gerede von „unseren Werten“ hat selten ein Verständnis für die seelische Gesundheit oder die Glückseligkeit des europäischen Menschen und dafür, welchen Beitrag die Politik zu einem solchen Zustand leisten könnte. Ganz im Gegenteil, nicht zuletzt etwa werden die seelischen Verwundungen von Frauen im Namen ideologischer Verblendung nur gefördert; Abtreibung soll zu einem Menschenrecht erklärt werden. Und im Namen dieser Ideologie gibt es auch so etwas wie ein Volk nicht mehr. Und wenn doch, dann hätte die EU auch kein Volk, sondern höchstens Völker. Die herrschende politische Elite des größten Landes in dieser EU hat sich auf den Weg des „Global-Nationalismus“ (Heinz Theisen) begeben und verlernt, eigene nationale Interessen überhaupt wahrnehmen und artikulieren, geschweige denn diese gegen raumfremde Partikularinteressen durchsetzen zu können.
Die normative Realität metaphysischer Werte
Eine Gottvergessenheit ist Programm der heutigen politischen Etablierten des Westens. Vom Wert der Religion und auch der Nation will man nichts mehr wissen. Doch die Blindheit so genannter linksliberaler Eliten für die Religion und das Nationale, die eine Blindheit für das Metaphysische ist und in offene Feindschaft ausartet, ändert nichts an ihrer Notwendigkeit als konstitutives Element jeder staatlichen Gesellschaft und Ordnung sowie auch Demokratie. Es ändert sich auch nichts an ihrer Notwendigkeit zum Gedeihen der Tugendhaftigkeit und somit der Vermeidung des Abfalls in die Korruption. Jeder Herrscher sollte zunächst dem Wohl seines Landes dienen; es zu einer echten Moral, welche die Religion lehrt und die einen angemessenen Patriotismus miteinschließt, ermutigen und ermuntern.
Wenig ändert sich auch an der Notwendigkeit eines Grundvertrauens der Bürger in vorpolitische Werte, derer die Politik und ein funktionierender Rechtsstaat bedürfen und die sie nur bedingt hervorbringen oder garantieren können. Nach dem bekannten Böckenförde-Diktum sind es die Homogenität und die Moral einer Gesellschaft. Eine Demokratie etwa bedarf eines Volkes. Wäre nicht ferner ein Staat notwendig, der sich des rechten Maßes bewußt ist und der in weiterer Konsequenz nicht paternalistisch oder expansiv sein sollte – und das auch nicht im Namen von fragwürdigen Werten eines selbstgerechten Moralismus? Und wäre nicht auch eine notwendige Forderung an den Staat, zur Selbstverteidigung und Durchsetzung eigener existentieller Werte fähig zu sein?4
Die europäischen Nationen bleiben mit einem noch zu klärenden und bestimmenden Mythos namens „Europa“ verbunden. Zu Europa gibt es viele unterschiedliche Konzeptionen und Visionen. Übernational und verbindend für unsere Kultur in Europa ist das Christentum. Das Christentum ist nicht nur der übernationale Kitt des Abendlandes, es wirkt auf Ebene kleinerer Einheiten gemeinschaftsbildend. Selbstverständlich ist und bleibt die wichtigste gesellschaftliche Einheit die Familie, in der der Mensch Moral, Sitte und Religion lernen sollte. Es gilt, die Weisheit der Religion und insbesondere auch einen gesunden Patriotismus und somit Existenzformen des Menschlichen, insbesondere der Liebe und somit der Bejahung, wiederzugewinnen, denn:
„Liebe zur Heimat ist ein Befehl der Vernunft, des Herzens und des Glaubens. Das ist der größte Reichtum, die höchste Volkskraft, der fruchtbarste Boden, auf dem die Kultur gedeiht. Nur in der Heimat und im eigenen Staat realisiert das Volk seine geistigen, moralischen und gesellschaftlichen Ideen, erreicht es den höchsten Grad der Ordnung, Sicherheit und des Wohlstands.“ (Zitiert aus einem Lemberg-Reiseführer)
Dr. Christian Machek (Wien)