Niemand muss sich beleidigen lassen. Wer sich beleidigt fühlt, kann Ehrenschutz beim Staat einfordern. Hierfür gibt es die einschlägigen Vorschriften im Strafgesetzbuch. Der Staat muss diesen Ehrenschutz ohne Ansehen der Person, nach dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, durchsetzen. Doch gerade hier hapert es in Deutschland.
Bürger, die sich freiwillig in die öffentliche politische Auseinandersetzung begeben, müssen bereits sein, mehr auszuhalten, als andere. Zuspitzungen und Satire sind erlaubt. Auch Schärfen. Natürlich gibt es Grenzen, deren Überschreitung für sich niemand dulden muss. Entscheidend ist, wieviel der Einzelne bereit ist, auszuhalten.
Auch Politiker sind Menschen, denen Ehrenschutz zukommt. Jeder von ihnen hat das Recht, Anzeige zu erstatten, wenn er sich in seiner Ehre verletzt fühlt. Die Justiz hat dann nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, ob tatsächlich eine möglicherwiese strafwürdige Ehrverletzung vorliegt.
Aktuell läuft die Diskussion um harte Strafen, welche die Justiz bei Ehrverletzungen von Politikern ausgesprochen hat. Zu Recht kann man fragen, ob die Höhe der Sanktionen in einigen Fällen verhältnismäßig ist, insbesondere dann, wenn auch noch Hausdurchsuchungen angeordnet werden.
In letzteren Fällen kam für viele der Verdacht auf, für Politiker würden anderen Maßstäbe des Ehrenschutzes gelten, als für normale Bürger. Jedenfalls ist bisher nicht bekannt geworden, ob das Mittel der Hausdurchsuchung bei relativ moderaten Fällen von Beleidigung auch früher bereits angewendet wurde. Vermutlich eher nicht. Kritiker beurteilten die Hausdurchsuchungen dann auch als Einschüchterungsversuch gegen Regierungskritiker.
Ebenso wurde kritisiert, dass Politiker aus der justiziellen Wahrnehmung des Ehrenschutzes eine Art Geschäftsmodell gemacht hätten. Anwaltskanzleien und private Vereine haben sich längst auf das Ausfindigmachen tatsächlicher oder vermeintlicher Politikerbeleidigungen spezialisiert. Diese weisen dann die Betroffenen auf den Sachverhalt hin und empfehlen kostenpflichtige Abmahnung bzw. Anzeige. Gemäß Presseberichten verdienen einige Politiker wie Anwälte damit viel Geld. Verboten ist das nicht, wohl aber moralisch fragwürdig.
Fragwürdig ist ebenso, wenn die regierende Klasse eine Sonderjustiz erlässt, mit der ihr ein gegenüber der einfachen Bevölkerung herausgehobener Ehrenschutz geschaffen wird. Dies in Form des § 188 des deutschen Strafgesetzbuches: „Gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung“. Es ist doch zweifelhaft, ob das mit dem verfassungsmäßigen Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz noch zu vereinbaren ist. Es ist nachvollziehbar, wenn der einfache Mann auf der Straße dies als Versuch der Mächtigen ansieht, sich vor Kritik zu schützen. Von „Majestätsbeleidigungs-Paragraph“ ist dabei die Rede.
Vollends unzulässig wird es aber, wenn bei Beleidigungen von Politikern verschiedener Couleur unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Nicht nur tätliche Angriffe, sondern auch Beleidigungen von Politikern der AfD sind an der Tagesordnung. Ob die Justiz zu Ihrem Ehrenschutz ähnlich scharf vorgeht, wie bei Politikern der Altparteien, wird zu Recht bezweifelt. Jedenfalls sind Hausdurchsuchungen in diesen Fällen noch nicht bekannt geworden.
Die Gleichbehandlung vor dem Gesetz ist eine Säule des Rechtsstaates. Ist der Staat nicht willens oder in der Lage, diesen Grundsatz durchzusetzen, droht eine Spaltung der Gesellschaft und Unfrieden. Dies sollte den Verantwortlichen bewusst sein.
Ein ebenso hohes Gut ist das Recht auf Freie Meinungsäußerung. Unter keinen Umständen dürfen sich die Mächtigen im Staat einen gesetzlichen Schutzwall gegen legitime Kritik schaffen, schon gar nicht, indem sie versuchen, die Bürger einzuschüchtern und Maulkörbe zu verpassen. Staatliche Zensur, und zwar vor und nach einer Meinungsäußerung, ist und bleibt in Deutschland verboten.
Die Politik täte gut daran, das Koordinatensystem des Rechtsstaates in den angesprochenen Fällen wieder zurecht zu rücken, bevor es zu irreparablen Schäden kommt.
Karl M. Richter