Erzwungenes „Misstrauen“, erzwungenes „Vertrauen“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Vertrauensfrage im Bundestag gestellt und verloren. Mit Ansage, könnte man sagen. Denn schon vor Wochen war durch ein Kartell von Parteipolitikern im Verein mit dem Bundespräsidenten bereits über die Neuwahl mit der Terminfestsetzung entschieden worden. Die Abstimmung vom 16.12.2024 hat dies also nur nachvollzogen. Auf diese Weise wurde das Parlament einmal mehr zum willigen Erfüllungsinstrument der Parteibüros degradiert.

Der Staatsrechtler Dr. Ulrich Vosgerau kommentierte den Vorgang am 16.12.24 Vorgang auf „X“ so:

>>Echte oder unechte Vertrauensfrage? Die heutige Vertrauensfrage bildet verfassungsrechtlich noch einmal eine neue Situation in der Geschichte der Bundesrepublik. Dies deswegen, weil man nicht wirklich entscheiden kann, ob es sich um eine echte oder unechte Vertrauensfrage handelt. Das Grundgesetz sieht nur die echte Vertrauensfrage vor, also der Bundeskanzler will weiterregieren, ist aber nicht sicher, ob er noch die Mehrheit hat (bzw. will seine eigene Partei disziplinieren). Das hat Helmut Schmidt z.B. in Zusammenhang mit der Nato-Nachrüstung gemacht.

Kontrovers war immer die unechte Vertrauensfrage, die im Grundgesetz gerade nicht vorgesehen ist – denn der Bundestag hat kein Selbstauflösungsrecht. „Unecht“ bedeutet, daß der Bundeskanzler Neuwahlen herbeizwingen will und daher seine Anhänger instruiert, ihm das Mißtrauen auszusprechen. Und daran, daß das Manöver gelingt, zeigt sich eigentlich gerade, daß der Bundeskanzler die Mehrheit noch hat! Das hat Gerhard Schröder 2005 gemacht oder bereits Helmut Kohl 1982/83. Die herrschende Meinung in der Verfassungslehre dürfte dahingehen, daß das unzulässig ist, weil de facto Selbstauflösung des Bundestages und Mißbrauch des Art. 68 GG. Das BVerfG hat dieses Vorgehen dennoch mehrfach gebilligt.

Für eine „echte“ Vertrauensfrage spricht, daß der Bundeskanzler wirklich die Mehrheit verloren hat. Für eine „unechte“ jedoch, daß die Auflösung des Bundestages bereits vorab unter mehreren Fraktionen verabredet und sogar bereits ein Zeitplan für Neuwahlen aufgestellt wurde, und daß die Grünen sich trotz Regierungsbeteiligung enthalten müssen, damit Scholz – etwa wegen Abweichlern aus der AfD – nicht aus Versehen doch Bundeskanzler bleibt…<<

Nun, Scholz blieb nicht „aus Versehen“ Kanzler, da die Parteidisziplin funktioniert hat. Dem Grundgesetz, dem Rechtsstaat und der Demokratie wurde dabei allerdings wieder einmal schwerer Schaden zugefügt.

Diesem praktisch erzwungenen „Misstrauen“ steht das „Vertrauen“ zu Staat und Regierung gegenüber, das heute vom Bürger ebenfalls erzwungen werden soll. Und dies mit autoritären und repressiven Mitteln, bis hin zur Geheimdienstverfolgung. Wer Regierung und Parteien kritisiert, wird vom so genannten „Verfassungsschutz“ schnell zum „Delegitimierer des Staates“ erklärt, einer Kategorie, die in keinem Gesetz vorkommt, sondern von dessen Ex-Chef, dem CDU-Parteisoldaten Haldenwang, erfunden wurde. Hiernach erschüttert Regierungskritik (v.a. wenn sie von falscher, d.h. rechter Seite geäußert wird) angeblich das Vertrauen in die Institutionen des Staates und ist damit verfassungsfeindlich. Gleiches gilt für Kritik an den Systemparteien. Kürzlich wurde dazu noch ein „Majestätsbeleidigungsparagraph“ ins deutsche Strafgesetzbuch aufgenommen“, durch den „Personen des politischen Lebens“ in Manier einer Sonderjustiz vor tatsächlichen oder angeblichen Beleidigungen in Schutz genommen werden.

All dies dient nichts anderem als der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Der Maulkorb wird so zum Symbol des erzwungenen „Vertrauens“ des Bürgers in Regierung, Parteien und Staat. Dass dies nichts mehr mit einer freiheitlichen Demokratie zu tun hat, muss nicht extra betont werden.

Lesen Sie zu diesem Themenkomplex ergänzend den Beitrag „Sollen wir dem Staat vertrauen“ von Henrieke Stahl auf cicero.de vom 15.12.2024.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert