Wie das Ende der Schuldenbremse Zauberei möglich macht

Dieser Beitrag erschien in der Jungen Freiheit Nr. 12/2025.

 

Milliarden über Milliarden Schulden nimmt die Bundesregierung in diesen Tagen auf. Die Schuldenbremse steht damit effektiv vor dem Aus. Doch was bedeutet das für die Zukunft?

Der Wirtschaftswissenschaftler Christopher Mensching gibt eine Einordnung.

Eins steht fest: Der Staat braucht Geld, viel Geld. Soziale Wohltaten wie das Bürgergeld wollen ebenso finanziert werden wie Waffenlieferungen in die Ukraine, Klimarettung und Massenmigration. Es ist daher kein Wunder, daß in Zeiten ausufernder Staatsverschuldung auch die Schuldenbremse ins Visier politischer Begehrlichkeiten gerät.

Während die vorgeblich hehren Ziele der Politiker in den Medien halbwegs ausgeleuchtet werden, bleibt eines jedoch im dunklen: Wo soll das viele Geld denn eigentlich herkommen, zumal es dem Staat doch verboten ist, sich zur Finanzierung seiner Defizite der Druckerpresse zu bedienen? Und worauf laufen die neuen Schulden, die in orwellschem Neusprech mitunter auch „Sondervermögen“ genannt werden, eigentlich hinaus?

Eine schwere Materie

Anlaß genug also, das Thema „Staatsfinanzierung durch die Notenbank“, auch „monetäre Haushaltsfinanzierung“ genannt, einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Da es sich hierbei um eine Materie handelt, die von den meisten Zeitgenossen nicht gerade als spannend wahrgenommen wird, ist dies, zumal in einer Wochenzeitung, eine große Herausforderung.

Fangen wir also an: Ausgangspunkt der Betrachtungen ist Art 123 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese Rechtsnorm verbietet es der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken (NZB) ausdrücklich, der öffentlichen Hand der Euro-Mitgliedstaaten Kredite zu gewähren. Auch verwehrt die Vorschrift der EZB und den NZB, neu herausgegebene Schuldtitel (insbesondere Staatsanleihen) von der öffentlichen Hand zu erwerben.

Das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank

Ein Euro-Mitgliedstaat, der Geld braucht und zu diesem Zwecke eine neue Anleihe ausgibt, kann also nicht auf die Hilfe von EZB und NZB hoffen, sondern muß sich statt dessen über die Kapitalmärkte finanzieren. Hierbei muß er sich den Gesetzen des Marktes unterwerfen und ggf. erhebliche Zinsen zahlen, wenn die Märkte Zweifel an seiner Bonität haben.

Dem Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank wird unisono hohe Bedeutung beigemessen, soll es doch die Unabhängigkeit von EZB und NZB sichern, indem es die Notenbanken vor politischem Druck schützt.

Wie die Inflation verhindern?

Auch sollen die Euro-Mitgliedstaaten auf diese Weise zu einer soliden Haushaltspolitik angehalten werden. Dahinter steht die Überlegung, daß haushaltspolitisch undisziplinierte Länder mit einer Verteuerung ihrer Refinanzierungsmöglichkeiten, d.h. steigenden Zinsen, rechnen müssen. Steigende Zinsen beugen auf diese Weise – so zumindest die Theorie – weiterer Staatsverschuldung vor. Kritische Stimmen weisen allerdings zu Recht darauf hin, daß die im Zusammenhang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009/2010 offenbar gewordene Überschuldung Griechenlands gezeigt habe, daß das auf die Marktmechanismen vertrauende Modell nicht funktioniert, wenn nicht sogar versagt habe.

Generell soll das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank verhindern, daß im Zuge der Finanzierung staatlicher Defizite neue Zahlungsmittel geschöpft werden. Auf diese Weise soll eine potentiell inflationsfördernde Finanzierungspraxis unterbunden werden. So weit, so gut.

Zahlungsmittel durch die Hintertür

Für den Finanzhunger des Staates ist es aber einerlei, wenn er sich – aufgrund des Verbotes in Art. 123 Abs. 1 AEUV – zur Finanzierung seiner Defizite kein neues Zentralbankgeld beschaffen kann, sofern und solange er statt dessen von den Geschäftsbanken Geld (genauer: Geschäftsbankengiralgeld) erhält.

Fakt ist, daß neu emittierte Staatsanleihen aufgrund des ausdrücklichen Verbotes der Staatsfinanzierung durch die Notenbank nicht von EZB und NZB, sondern von Geschäftsbanken übernommen bzw. erworben werden.

Was wäre aber, wenn eben dieser Vorgang in gleicher Weise dazu führen würde, daß in diesem Zuge neue Zahlungsmittel entstehen? Die Antwort lautet: Art. 123 Abs. 1 AEUV würde dann quasi durch die Hintertür ausgehebelt bzw. seiner wesentlichsten Funktion beraubt, und die öffentliche Hand könnte trotz des Verbots in Art. 123 Abs. 1 AEUV zur Finanzierung ihrer Defizite virtuell „Geld drucken“.

Geld aus dem Nichts

Und jetzt kommt es: Genau dies ist Realität. Statt einer Staatsfinanzierung durch die Notenbank, verbunden mit der Schöpfung neuen Zentralbankgeldes, findet eine Staatsfinanzierung durch die Geschäftsbanken, verbunden mit der Schöpfung neuen Geschäftsbankengiralgeldes, statt.

Der Mechanismus der „Staatsfinanzierung durch Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken“ ist im Ergebnis relativ einfach, aber gleichwohl einer breiten Öffentlichkeit nicht geläufig. Daher soll er kurz erklärt werden:

Neu emittierte Staatsanleihen werden nicht direkt an Unternehmen und Privathaushalte verkauft, sondern über einen ausgewählten Kreis großer Banken plaziert. Die Transaktion kann, je nach Land, sowohl über Girokonten als auch über Zentralbankkonten abgewickelt werden.

Auch Staaten haben Konten

Bei der Abwicklung über ein Girokonto des Staates bei einer Geschäftsbank kommt es zu einer Schöpfung von Giralgeld, die sich als Verlängerung der Bankbilanz niederschlägt. Dem Aktivum „Staatsanleihe“ steht auf der Passivseite ein entsprechendes Sichtguthaben des Staates bei der Geschäftsbank gegenüber.

Dieses neu geschaffene Sichtguthaben erhöht die Geldmenge, die zum weit überwiegenden Teil aus Geschäftsbankengiralgeld besteht. Im Zuge der Begebung der Anleihe ist also neues Geld geschöpft worden.

Bei der Abwicklung über Zentralbankkonten stellt sich die Situation etwas komplexer dar: Bei dieser Variante müssen die Geschäftsbanken den Kaufpreis für die Anleihen zunächst in voller Höhe mit Zentralbankgeld begleichen. In der Bankbilanz kommt es daher zunächst nur zu einem Aktivtausch. Am Gesamtbild der Giralgeldschöpfung im Zuge des Erwerbs von Staatsanleihen ändert dies indes nichts: Da der Staat das, was er im Zuge der Begebung der Staatsanleihe einnimmt, zeitnah wieder ausgibt, fließt dem Bankensektor das für die Transaktion benötigte Zentralbankgeld wieder zu, wobei sich dieser Zufluß wiederum in einer Bilanzverlängerung ausdrückt: Der Erhöhung der Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken auf der Aktivseite stehen auf der Passivseite der Bankbilanz entsprechende Sichtguthaben der Zahlungsempfänger gegenüber.

Verbote, die schon lange umgangen werden

Wenn Banken durch den unmittelbaren Erwerb von neu ausgegebenen Staatsanleihen Giralgeld erzeugen, dann tun sie genau das, was EZB und NZB verboten ist: Sie finanzieren den Staat und schöpfen dabei neue Zahlungsmittel.

Das Verbot der Staatsfinanzierung durch die Notenbank ist daher (zumindest im bestehenden Geldsystem) ein Trugbild. Art. 123 Abs. 1 AEUV möchte verhindern, daß im Zuge der Finanzierung staatlicher Defizite neue Zahlungsmittel geschöpft werden, vermag dieses Ziel aber nicht zu erreichen.

Die potentiellen Gefahren, die dieser Sachverhalt für die Geldwertstabilität birgt, liegen auf der Hand. Demgemäß ist höchste Vorsicht geboten, wenn finanzpolitische Begehrlichkeiten die Schuldenbremse ins Visier nehmen. Denn eine Schuldenbremse gleicht Sand im Getriebe einer Gelddruckmaschine, und letztere wiederum läßt sich mit einem Zauberstab vergleichen, der es ermöglicht, Dinge zu finanzieren, die anders nicht finanzierbar oder deren Finanzierung anders nicht politisch durchsetzbar wären. Was liegt näher, als die benötigten Finanzmittel herbeizuzaubern?

Zaubershow mit Staatsgeldern

Wie in einer echten Zaubershow mag das Publikum dabei zunächst noch begeistert klatschen, aber spätestens beim Blick auf gestiegene Inflationsraten dürfte so manchem dämmern, daß wohl doch nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist.

Damit aber noch nicht genug: Den „Service“ der Staatsfinanzierung lassen sich die Geschäftsbanken in Form von Zinsen, denen nur geringe Refinanzierungskosten gegenüberstehen, vergüten. Der Staat erlaubt also den Geschäftsbanken, Giralgeld zu schöpfen, um sich dann gegen Zahlung von Zinsen in eben diesem Geld zu verschulden. Der 2010 verstorbene US-amerikanische Geschäftsmann und Buchautor William F. Hixson hat diesen bemerkenswerten Sachverhalt auf eine einfache Formel gebracht:

„Daß eine Regierung Banken erlaubt, Geld zu schaffen, sich dann dieses Geld von ihnen leiht und dafür auch noch Zinsen zahlt, ist idiotisch.“ Auch wenn man sich diesem apodiktischen Urteil nicht anschließen sollte, bleiben folgende Fragen offen: Was ist besser daran, wenn statt der Notenbank Geschäftsbanken das Geld schöpfen, mit dem der Staat seine Defizite finanziert? Die Antwort lautet: nichts! Denn in beiden Fällen kommt es zu einer Ausweitung der Geldmenge, von der – je nach Lehrmeinung – eine mehr oder weniger große Inflationsgefahr ausgeht.

Ein idiotischer Zustand

Was ist besser daran, wenn die Zinsen, die auf aus dem Nichts geschöpftes Geld gezahlt werden, den Geschäftsbanken zufließen? Auch hier wird die Antwort wohl lauten müssen: nichts! Dies gilt um so mehr, als die Zinsen, die der Staat an die ihn finanzierende Notenbank zahlt, über den Notenbankgewinn wieder an den Staatshaushalt zurückfließen und somit allen Bürgern zugute kommen würden.

Wenn man den von William F. Hixson als idiotisch bezeichneten Zustand beseitigen wollte, blieben indes nur zwei Möglichkeiten: Zum einen könnte man eine direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank für zulässig erklären. Dies ist allerdings ein ganz heißes Eisen. Wer eine direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank erlauben möchte – und sei es in noch so engen Grenzen – muß damit rechnen, auf schärfsten Widerstand zu treffen. Und in der Tat drängt sich die Befürchtung auf, daß auf diese Weise die Büchse der Pandora geöffnet und einer Hyperinflation der Weg bereitet würde. Daß letzteres in gleicher Weise auch bei einer Aufweichung der Schuldenbremse und einer damit einhergehenden ausufernden Geschäftsbankengeldschöpfung droht, steht auf einem anderen Blatt.

Direkte Staatsfinanzierung – das letzte Tabu

Zum anderen könnte man den Geschäftsbanken durch eine Geldreform (wie zum Beispiel das Vollgeldkonzept von Professor Joseph Huber, aber ggf. auch durch die Rückkehr zu einer goldgedeckten Währung) die Möglichkeit nehmen, Giralgeld zu schöpfen. Es wäre dem Staat dann schlicht nicht mehr möglich, seine Defizite in der Weise zu finanzieren, daß dabei neue Zahlungsmittel geschöpft werden. Es würde dann im Ergebnis der Zustand herbeigeführt werden, den der jetzige Art. 123 Abs. 1 AEUV vergeblich zu schaffen versucht. Beide der vorstehenden Möglichkeiten sind unrealistisch. Eine direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank gleicht einem Tabubruch, den zu begehen sich keine Partei erlauben kann.

Und eine Geldreform, welche die Giralgeldschöpfung der Geschäftsbanken unterbindet, würde den verantwortlichen Politikern den Zauberstab aus der Hand nehmen, mit dessen Hilfe sie die Kunststücke vollbringen, die ihre Wiederwahl wenn nicht garantieren, so doch wahrscheinlicher machen. Wir werden also weiterhin einer finanziellen Zaubershow beiwohnen dürfen, und wie spektakulär die künftigen Zaubertricks sein werden, hängt maßgeblich davon ab, was von der Schuldenbremse noch übrigbleibt. Entsprechendes gilt für den Inhalt unserer Geldbeutel oder, genauer gesagt, für die Kaufkraft dieses Inhaltes. Eins jedenfalls ist sicher: auch herbeigezaubertes Geld gibt es nicht zum Nulltarif.

 

Dr. Christopher Mensching, Jahrgang 1969, Rechtsanwalt, hat in Freiburg, Erlangen und Würzburg studiert und als DFG-Stipendiat in Bonn promoviert. Publiziert Fachaufsätze zu Finanz- und Wirtschaftsfragen. Seit 2014 mit eigener Kanzlei in Lüneburg. 

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