Ewald von Kleist-Schmenzin* schrieb das Folgende 1930, als die Weimarer Republik niederging und drei Jahre später die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Fällt Ihnen etwas auf?
„Das ganze System atmet den Geist der Religionsfeindschaft und -verfolgung. Folgerichtig und planmäßig wird versucht, dem Volk, insbesondere der Jugend, die Religion auszutreiben, die Menschen Gott zu entfremden. Korruption in jeder Form macht sich breit und entsittlicht das Volk. Landesverrat findet Verteidiger, vaterländisches Streben wird unterdrückt. Niemals wird die historische Legitimation erworben, wenn weder Willen noch Fähigkeit, das eigene Volk von fremden Fesseln zu erlösen, vorhanden ist und dem Freiheitsdrang des Volkes nicht Unterstützung, sondern Verhinderung zuteil wird, wenn vor aller Welt dem eigenen Volk Schimpf angetan wird. Durch Unfähigkeit, Verschwendung und Mangel an gutem Willen wird das Volk auch wirtschaftlich zugrunde gerichtet. Recht und Gerechtigkeit werden mit Füßen getreten. Verfassungswidrige Gesetze werden verkündet. Beamte dürfen sich ungestraft Gesetzesverletzung auf Gesetzesverletzung zuschulden kommen lassen. Der gesamte Geist des öffentlichen Lebens atmet Willkür, Parteilichkeit, Ungerechtigkeit. Längst haben wir zweierlei Recht. Was aber das Schlimmste ist, wir haben keine unbeeinflusste und unabhängige Rechtsprechung mehr. Die Justiz ist zur Dirne der Politik geworden. Die Staatsanwälte werden angewiesen, gegen missliebige Personen mit allen Mitteln vorzugehen. Wer aber den Machthabern nahestehende Verbrecher zu überführen versucht, dem droht Disziplinierung. Wer als Richter sich nicht willfährig zeigt, hat auf keine Beförderung, wohl aber auf zermürbende Widerwärtigkeiten zurechnen. Ja, noch mehr. Wenn die Disziplinarsenate mit Richtern besetzt sind, die nicht nach Recht, sondern nach Parteizweckmäßigkeit fragen, dann gibt es auch praktisch keine Unabsetzbarkeit der Richter mehr. In die letztinstanzlichen Gerichte werden Richter gesetzt, die der Denkungsart und Rechtsauffassung der heutigen Machthaber nahestehen. Der deutsche Richterstand ist rühmenswert unbestechlich. Aber in einem so großen Personenkreis wird es immer so viele minderwertige Persönlichkeiten geben, um die wichtigsten letztinstanzlichen Urteile zu bestimmen. Außerdem steht der richterliche Nachwuchs auch nicht mehr auf der Höhe des alten Richterstandes. Niemand kann bestreiten, das in der letzten Zeit Urteile gefällt worden sind, die eine Rechtsbeugung darstellen, ohne dass es noch Rechtsmittel dagegen gebe. Es gibt in Deutschland kein Recht mehr, es gibt keinen Rechtsstaat mehr. Damit hat der Staat selbst seit Daseinsrecht verwirkt und widerlegt.“
Quelle: Ewald von Kleist-Schmenzin: Reformation oder Revolution? In: Der Nahe Osten. Berlin, 1930, Seite 13f.
*) Ewald von Kleist-Schmenzin (1890-1945) war Landwirt in Hinterpommern und christlich-konservativer Politiker (DNVP). Kleist war Gegner der Nationalsozialismus, beteiligt am 20. Juli 1944 und wurde im April 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.