„Weder Israel noch die USA haben hier ein Interventionsrecht“

Der Völkerrechtler Alfred de Zayas über das völkerrechtswidrige Vorgehen der USA und Israels gegen den Iran und den mangelndem Respekt vor dem Völkerrecht

erschienen am 26. Juni 2025 auf dezayasalfred.wordpress.com

Herr Professor de Zayas, am 13. Juni 2025 hat Israel den Iran angegriffen, worauf hier der Westen – konkret die G7 in einer Erklärung – behauptete, Israel würde sich selbst verteidigen und der Iran müsse seine Gegenangriffe einstellen. Wird hier nicht Ursache und ­Wirkung verwechselt?

Alfred de Zayas: Die G-7 ist offenbar im Krieg gegen das Völkerrecht, gegen die UNO-Charta und gegen die Nürnberger Prinzipien. Durch ihre Unterstützung Israels machen sich die G-7-Staaten zu Komplizen, bzw. Mittäter. Israel hat gar kein Recht auf Selbstverteidigung, denn Israel ist der Aggressor im Sinne des Artikels 6a des Statuts des Nürnberger Tribunals vom 8. August 1945, im Sinne des Nürnberger Urteiles vom Oktober 1946, im Sinne des Artikels 5 des Statuts von Rom von 1998, im Sinne der Kampala-Definition von „­Aggression“, im Sinne der Resolutionen 2625 und 3314 der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Es ist der Iran, der ein Recht auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UNO-Charta hat.
Die Verwechslung von Ursache und Wirkung ist eine bewusste und leider allzu häufige Umkehrung der Fakten und des Völkerrechts. Hier geht es zugleich um Fake News und Fake Law.
Israel ist ein Terroristenstaat, der seit 1946–48 aus Terrorismus entstanden ist, mit ständigen Terrorakten wie das Sprengen des King David Hotels – mit etwa 100 Opfern – Mord und Vertreibung von Palästinenser, das Attentat und Mord an dem UNO-Vermittler Graf Fokke Bernadotte in 1948, ein Fall, der zu einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs gegen Israel führte. Man kann ich nicht genug wiederholen: Israel ist ein Täterstaat. Opfer sind die Palästinenser, die Syrer, die Libanesen, die Iraker, die Iraner.

Die USA sind an der Seite Israels in den Krieg gegen den Iran eingetreten und haben iranische Nuklearanlagen angegriffen. Wie beurteilen Sie die Rolle der Vereinigten Staaten in diesem Konflikt?

De Zayas: Donald Trump wollte ein „Friedenspräsident“ sein. Er hat uns alle betrogen. Dies habe ich gefürchtet, und deshalb habe ich nicht für ihn im November 2024 gestimmt. Auch nicht für Kamala Harris. Beide scheren sich einen Dreck um das Völkerrecht. Schlimmer noch, die Republikaner und die Demokraten sind machtbesessen und wollen den Willen der Vereinigten Staaten allen anderen Ländern aufzwingen. Ihr Mantra heißt „Macht ist Recht“. Die USA und Israel sind dabei, das Völkerrecht, die internationale Ordnung, die Traditionen der Diplomatie, die Verpflichtungen gemäß der UNO-Charta, die Rechtsstaatlichkeit aufzuheben. Die Angriffe gegen den Iran sind sämtlich völkerrechtswidrig und verbrecherisch. Es gibt absolut keine Rechtfertigung im Völkerrecht. Die USA sind seit eh und je an der Seite Israels und tragen die Mitverantwortung nicht nur für die Angriffe seit dem 13. Juni, sondern auch für den laufenden Völkermord gegen die Palästinenser. Die USA haben die militärische, finanzielle, politische, diplomatische und propagandistische Unterstützung des Staates Israels seit Jahrzehnten betrieben.
Die einzige Hoffnung liegt bei den Ländern des „globalen Südens“, bei Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien, die die Aggressionen durch die USA und Israel ablehnen. Was tun? Kommerzielle Beziehungen abbrechen. Die Lage könnte nicht ernster sein. Es geht um Völkermord und ständige Aggressionen. Wir beobachten einen Aufstand gegen die Zivilisation.

Irgendwie erinnert mich die Behauptung von Israels Premier Netanjahu, der Iran entwickle Atomwaffen, um sie gegen Israel einzusetzen, an die Entstehungsgeschichte des Irakkriegs 2003, als die USA das Schreckgespenst von den angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins als Rechtfertigung für den Einmarsch in den Irak an die Wand malten. Wie sehen Sie das?

De Zayas: Die Situation 2025 ist noch dreister als 2003. Damals versuchten die USA, alle möglichen Lügen in der Welt zu setzen, und die UNO-Inspektoren inm Irak direkt zu bedrohen, wie wir von den Büchern von Hans Blix und Mohammed El-Baradei wissen. Damals haben die gesamten westlichen Medien die Lügen verbreitet und eine psychotische Atmosphäre künstlich erschaffen. Damals wurde eine sogenannte „Koalition der Willigen“ eingesetzt, wobei mehr dann 40 Staaten mitmachten. Es ging um einen Aufstand gegen das damals gültige Völkerrecht und gegen die internationale Moral. Allerdings haben sich der französische Präsident Jacques Chirac und der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder aus der Aggression herausgehalten. Heute stellen sich Emmanuel Macron und Friedrich Merz auf der Seite des Aggressors. Das Unheil kennt kein Ende. Die G-7 heute spielen mit Feuer, denn andere Staaten der Region wie die Türkei, Irak und Pakistan könnten sich einmischen. Die Gefahr eines Nuklearkrieges ist da.

Es geht um Völkermord und ständige Aggression, wir beobachten einen Aufstand gegen die Zivilisation.

Israel und die USA wollen, dass der Iran sein Atomprogramm vollkommen einstellt. Der Atomwaffensperrvertrag räumt aber seinen Mitgliedern – und damit auch dem Iran – das Recht auf friedliche Nutzung der Kernenergie ein. Ist es nicht verwunderlich, wenn ein Nichtmitglied des Atomwaffensperrvertrags (NPT), also Israel, einem Mitglied dieses Vertrags, dem Iran, seine Rechte aus diesem Vertrag vorweigern möchte?

De Zayas: Natürlich ist es absurd, hirnverbrannt, illogisch. Aber dieser Mangel an Wahrheit und Gerechtigkeit zieht sich bereits durch Jahrzehnte. Nun möchte ich zwei juristische Punkte erklären. Wenn Iran eine Atombombe bauen möchte, ist das sein souveränes Recht. Der Iran kann tun, was Nordkorea bereits tat, aus dem Atomsperrvertrag austreten, was ausdrücklich im Artikel X des NPT vorgesehen wird. Der Iran hat es bisher nicht getan, weil der Iran verstand, dass er bedroht war und deshalb nicht provozieren wollte. Von der US-Geheimdienstchefin Tulsi Gabbard wissen wir, dass absolut kein Beweis vorliegt, dass der Iran dabei ist, eine Atombombe zu bauen oder ein Atombombenprogramm überhaupt hat. Ebenfalls hat die Internationale Atomenergieorganisation in Wien bestätigt, dass es kein Beweis eines solchen Programms vorliegt. Aber gesetzt den Fall, dass der Iran den Atomsperrvertrag verletzen sollte, hat nur und ausschließlich der UNO Sicherheitsrat das Recht zu intervenieren. Da müsste eine Resolution gemäß Art. 39 der Charta vorliegen, gefolgt von Sanktionen gemäß Art. 41, und eventuell nur dann eine militärische Intervention durch die UNO erfolgen. Weder Israel noch die USA haben hier ein Interventionsrecht.

Wie beurteilen Sie den Charakter des iranischen Atomprogramms?

Die Zayas: Ich bin kein Experte auf dem Gebiet. Nach den Fakten, die uns Laien vorliegen, war es bisher ein legitimes Programm für die friedliche Nutzung der Atomenergie, was expressis verbis im Atomsperrvertrag vorgesehen ist.

Der „kollektive Westen“, allen voran die Vereinigten Staaten, ist dabei, das gesamte Völkerrecht zu zerstören.

Warum darf sich Israel scheinbar ungestraft über das Völkerrecht hinwegsetzen? Das betrifft ja auch den Krieg Gazastreifen?

De Zayas: Bisher ungestraft. Man darf nicht vergessen, dass die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs bereits vor acht Monaten die Verhaftung von Benjamin Netanjahu und seinen ehemaligen Kriegsminister Gallant angeordnet haben. Die bisherige Straflosigkeit ist die Folge der Mittäterheit von vielen Staaten, u.a. die USA, UK, Frankreich und Deutschland. Hinzu kommt, dass die Medien diese Straflosigkeit gutheißen. Der Sicherheitsrat hat nicht agieren können, denn die USA haben alle Resolutionen blockiert. Die Generalversammlung hat auch versagt, die vor Jahren eine „Uniting for Peace“-Resolution hätte verabschieden müssen. Aber nichts verhindert, dass die Staaten im „Globalen Süden“, Staaten in Lateinamerika, Afrika und Asien Sanktionen gegen Israel verhängen und sämtliche kommerzielle und diplomatische Beziehungen zu Israel brechen. Es mangelt an Organisation, mangelt an Führung, mangelt an Ehre, mangelt an Vernunft.

Sehen Sie noch Möglichkeiten, dass das Völkerrecht bei künftigen Konflikten wieder mehr Geltung bekommt oder wird künftig das Recht des Stärkeren Vorrang haben?

De Zayas: Der „kollektive Westen“ vor allem die USA, UK, Frankreich und Deutschland sind dabei, das gesamte Völkerrecht zu zerstören. Dies wird verheerende Konsequenzen haben. Als Professor des Völkerrechts beobachte ich, wie die Organisationen der Völkerrechtler Amerikas – the American Society of International Law – in Deutschland – Die Deutsche Gesellschaft für Internationales Recht – versagen. Sie hätten vor Jahren protestieren müssen, „speak Truth to Power“ – Wahrheit an die Mächtigen sprechen müssen. Aber sie beugen sich, und geben Machiavelli Recht – „Macht ist Recht“ und „Der Zweck heiligt die Mittel“. Die UNO-Charta wird ausgeschaltet, die Rechtstaatlichkeit aufgehoben. Da sind einige große Völkerrechtler wie Professor Richard Falk, Michael Lynk, John Dugard , die sich mutig gegen diese Entwicklungen wehren. Auch meine „Menschenrechtstrilogie“, vor allem mein Buch „Building a Just World Order“ und meine „25 Prinzipien der Weltordnung“ wirken dagegen. Aber, gutta cavat lapidem. Steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn wir uns nicht alle vorher in die Luft sprengen.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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