Die Obrigkeit verlässt zunehmend den Weg des Rechts

Staatsrechtler Dr. Ulrich Vosgerau schreibt am 1.7.2025 auf „X“:

Zwei Nachrichten des Tages geben Anlaß zu großer Beunruhigung, hier paßt wirklich einmal der Slogan „Nie wieder ist jetzt“.

Nämlich: (1) Die Enthüllungen bei NiUS über den Brief des Bundesfamilienministeriums an die „Partnerschaften für Demokratie“ über eine von diesen durchzuführende „Situations- und Ressourcenanalyse“, und (2) der Versuch der Stadt Augsburg, einen Vortrag von Martin Sellner mithilfe eines „Betretungs- und Aufenthaltsverbots“ zu unterbinden.

In dem Schreiben des Bundesfamilienministeriums werden offenbar regional „zuständige“, zumeist wohl staatlich mitfinanzierte NGOs dazu aufgefordert, die politischen Ansichten und das Wahlverhalten von Bürgern auszuforschen und insbesondere „vielfaltsablehnende“ Akteure namhaft zu machen. Diese sollen dann offenbar durch den organisierten Linksextremismus im Verein mit Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutzbehörden irgendwie politisch unschädlich gemacht werden. Daß die „Vielfaltsablehnung“, die nun offenbar im Wege einer „Public/Private Partnership“ zwischen staatlichen Stellen und organisiertem Linksextremismus bekämpft werden soll, an sich weder verboten noch strafbar ist, liegt dabei auf der Hand.

Aber auch in der Verfügung gegen Martin Sellner fällt auf, daß die Stadt Augsburg, die sich auf Auskünfte der Verfassungsschutzbehörden beruft, keineswegs behauptet, Martin Sellner habe Straftaten begangen oder werde (möglicherweise) in Augsburg Straftaten begehen oder Dritte dazu auffordern. Das schließen sie nachgerade aus. Die Stadt Augsburg behauptet nur eben, darauf komme es gar nicht an, da die Ordnungsbehörde ganz unabhängig von der Begehung auch nur möglicherweise rechtswidriger Handlungen das Recht und die Pflicht habe, „verfassungsfeindliche Handlungen“ zu unterbinden. Diese könnten auch in völlig legalem Verhalten und an sich der Meinungsfreiheit unterfallenden Äußerungen bestehen (!).

Der freiheitliche Rechtsstaat, ja das Recht selber beruht aber auf dem „binären Code“ (Luhmann) von rechtmäßig/rechtswidrig sowie auf der Annahme, daß das, was nicht verboten ist, im allgemeinen erlaubt sein muß. (Von gewissen, praktisch wenig relevanten Unschärfen wie dem zivilrechtlichen Schikaneverbot einmal abgesehen). Nun versucht man, systematisch ein Parallelregime aufzumachen, in dem die Unterscheidung zwischen legal und illegal gar keine Rolle mehr spielt, sondern Handlungen – wobei es im allgemeinen nur auf die sprachliche Äußerung bestimmter Ansichten geht! – die „Vielfaltsablehnung“ indizieren sollen, unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit mit massiven Repressionsmaßnahmen unterdrückt werden sollen. 

Wer würde hier nicht unwillkürlich an Ernst Fraenkels Analyse des „Doppelstaats“ denken? Denn: auf der einen Seite geht das alte, rechtsstaatliche Regime weiter, in dem Zivilgerichte und ggf. Staatsanwaltschaften für das Äußerungsrecht zuständig sind und die Frage nach rechtmäßig/unrechtmäßig mehr oder weniger rational und normtextbezogen abarbeiten. Parallel dazu wird ein neues Regime errichtet, das auf einer sich „hinter den Kulissen“ abspielenden Kooperation zwischen NGOs, „Sicherheitsbehörden“ und Geheimdiensten beruht und in dessen Rahmen die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer Äußerung keine Rolle mehr spielt, d.h. der Bürger sich offenbar nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns berufen kann. Hier wird dann nach der „Methode Correctiv“ gearbeitet: sollten Linksextremisten am Ende einer Assoziationskette oder aufgrund mehrerer, aufeinander aufbauenden Spekulationskaskaden eine oft nur unterstellte Ansicht als „vielfaltsfeindlich“ empfinden, so gibt es eben keine Meinungsfreiheit mehr…

Zum Beitrag auf Nius.de:

nius.de/politik/news/d

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