Eberhard Hamer prangert einmal mehr die mittelstandsfeindliche Politik der Bundesregierung an. Im folgenden Beitrag geht es um das Funktionärswesen und die Zwangsmitgliedschaften in den Handelskammern, die steuerliche Schlechterbehandlung kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüber Großkonzernen sowie die ausbleibenden oder stockenden Corona-Hilfen für Mittelständler, was zu Massenkonkursen führen wird.
Altmaiers Funktionärsfürsorge im DIHT
von Prof. Dr. Eberhard Hamer
Der Zusammenbruch Deutschlands nach dem letzten Weltkrieg hat nicht nur die größte Katastrophe, sondern damit auch einen wirtschaftlichen Vorteil gebracht: Alle Nazi-Gesetze galten als abgeschafft. Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft hatten damals die Unternehmer die größte Handlungsfreiheit, die sie je gehabt hatten, konnten fast 10 Millionen Unternehmer in Deutschland Unternehmen gründen oder wiederaufbauen und wurde ihre Initiative kaum noch durch Gesetzesgrenzen und Bürokratielasten ausgebremst.
Mit zunehmendem Aufbau des Bonner Staates wuchsen auch wieder Regulierungen, Gesetzesbeschränkungen und Gesetzesauflagen, wurde nicht nur der Staat stärker, sondern konnten sich auch öffentliche Institutionen wieder zunehmende Verwaltungsmacht über die Wirtschaft erkämpfen. Beispiel dafür sind die Industrie- und Handelskammern. Sie wurden unter Hitler als Mittel des Wirtschaftsdirigismus gegründet, um durch Parteifunktionäre die „Vertretung der Wirtschaft“ zu gewährleisten, waren also weniger Organ der Wirtschaft als des Staates in der Wirtschaft.
Zwar wurden nach dem Kriege die Rechte der Mitgliedsunternehmen durch Vollversammlungen teilprivatisiert; – der öffentlich-rechtliche Status und deshalb die Zwangsmitgliedschaft blieben aber erhalten und damit letztlich die Zwangsmacht der Kammerfunktionäre über die Mitglieder.
Wer in Deutschland ein gewerbliches Unternehmen gründet, bekommt als einen der ersten staatlichen Grüße den Beitragsbescheid einer Industrie- und Handelskammer. Dabei hat der FDP-Minister Rexroth das Beitragswesen „gerechter“ verteilt, nämlich die Beiträge der Großkonzerne dramatisch abgesenkt, um gleichzeitig die Beiträge für den Mittelstand ebenso kräftig anzuheben („gerechtere Beitragsverteilung“). Seitdem ist der Mittelstand in den Kammern aufsässig und will sich nicht wie bisher von Konzernmanagern dirigieren lassen, sondern mitsprechen. In einigen Fällen haben sie auch die Konzernfunktionäre abgewählt oder sogar „freie Kammern“ ausgerufen, die nicht mehr von Zwangsbeiträgen, sondern von Dienstleistungen leben sollen.
Dies hat nun den als freien Verein organisierten Dachverband DIHT mobilisiert. Die Oberfunktionäre fürchten, dass immer mehr freie Kammern auch aus dem DIHT-Verein austreten würden und damit die Pfründe schmälern, mit denen die Oberfunktionäre bisher ein Feudalleben geführt und „das Recht zur Vertretung der Gesamtwirtschaft“ begründet haben. Kein Wunder, dass Funktionärsfreund Altmaier diesem Wunsch nun mit einem Gesetz nachkommen will, den DIHT ebenfalls zum Zwangsverband mit Zwangsmitgliedschaften und Zwangsbeiträgen, nämlich zur „öffentlichen Körperschaft“ umzuwandeln.
Eine solche Umwandlung liegt im Interesse der meisten von Konzernen gestellten Kammer-Funktionäre, nicht aber im Interesse der 5 Millionen mit Zwangsbeiträgen belasteten mittelständischen Unternehmen. Denn die IHK-Oberfunktionäre haben bisher immer „Konzernpolitik auf Mittelstandskosten“ betrieben, haben dafür gesorgt, dass die Politik die Wirtschaft nach Konzerninteressen geordnet hat (Beispiel: Beitragsabwälzung), so dass
-
die Kleinbetriebe heute von der von den IHKs mitgestalteten Bürokratieüberwälzung 14-mal so stark betroffen sind wie Großunternehmen,
-
die Privatisierung der noch immer amtlichen Statistik am Widerstand der Kammerfunktionäre gescheitert ist, so dass mehr als 4 Millionen Kleinbetriebe mehr als 100 Stunden pro Jahr Zwangsstatistik erfüllen müssen und nicht wie im Ausland die Statistik privat und nur durch den, der sie will, repräsentativ erhoben und bezahlt wird.
-
Auch die Unternehmenssteuern sind mit Kammersegen mittelstandsfeindlich. Kapitalgesellschaften haben nicht nur geringere Steuern (15 bzw. 35 %) als die Personalunternehmen (42 %), sondern die größten Unternehmen mit Milliardengewinnen (Amazon, Google, Wirecard, Microsoft, Facebook, Apple u.a.) dürfen zweistellige Milliardengewinne aus Deutschland jährlich in die Steueroasen verschieben. Auch die Gewinne von 70 % der DAX-Firmen gehen ins Ausland, weil sie in ausländischer Hand sind. Großbanken und Konzernwirtschaft werden also steuerlich geschont und entlastet, während bei den ortsansässige mittelständischen Personalunternehmen und Selbständigen jeder Kilometer ihrer Fahrtkosten und jede andere Auslage penibel überprüft und versteuert wird1.
-
Auch die Coronasubventionen sind mittelstandsfeindlich. Internationale Großunternehmen in mehrheitlich ausländischer Hand wie TUI, Lufthansa u.a. werden mit hohen Milliardenbeträgen subventioniert (so dass die Lufthansa ihre Piloten nicht mehr mit 5.000 Euro in „Kurzarbeit“ schicken muss, sondern ihr Gehalt von 15.000 Euro monatlich ohne Fliegen weiterzahlt). Die Selbständigen und Personalunternehmen, welchen der Staat weiteres Arbeiten verboten hat, warten monatelang auf versprochene Beträge, so dass das Mittelstandsinstitut Niedersachsen mit 600.000 bis 800.000 Konkursen dieser mittelständischen Betriebe in den nächsten Monaten rechnet.
-
Auch die Art der Gewinnbesteuerung diskriminiert den Mittelstand. Würde die Mittelstandsforderung erfüllt, dass bei allen Unternehmen nur Ausschüttungen als Gewinn gelten (nicht wie jetzt auch für Schein-Bilanzgewinne), hätten die Firmen mit ihren Erträgen erst einmal betriebliche Investitionen und Arbeitsplatzsicherungsmaßnahmen selbst finanzieren und hätten die internationalen Kapitalgesellschaften die in Deutschland erzielten Erträge nicht steuerbegünstigt ins Ausland abschieben können. Selbstfinanzierung ist nämlich überwiegend Mittelstandsanliegen, weil der Unternehmer nicht wie Kapitalgesellschaften aus den Börsen Eigen- und von Banken Fremdkapital bekommt.
-
Die Kammern haben dazu geschwiegen, dass diese steuerlichen Ungerechtigkeiten zu Lasten des Mittelstandes zum Vorteil der großen Kapitalgesellschaften eingeführt und aufrechterhalten wurden, so dass erstere mit 69,9 % aller Unternehmenssteuern ausgeplündert wurden, Konzerne aber 95 % der Subventionen aus den Geldern des Mittelstandes bekommen2.
Vertretung der Gesamtwirtschaft ist das nicht, sondern Diskriminierung von 94 % der Kammermitglieder zugunsten der in den Kammern herrschenden 4 % Großunternehmen. Kein Wunder, dass die mittelständischen Zwangsmitglieder in den Kammern Funktionärsorganisationen der Großwirtschaft sehen und ihnen überwiegend kritisch gegenüberstehen.
Die Kammern selbst haben im Kampf des Mittelstandes gegen die Zwangsbeiträge immer argumentiert, freiwillige Beiträge würden zur Massenflucht aus den Kammern und zu deren finanziellem Zusammenbruch führen. Staat und Konzerne wollen also egoistisch gegen den Willen der Masse der Betroffenen die von Hitler gegründeten Wirtschaftsführungsorganisationen zur Zwangsverwaltung trotz Marktwirtschaft und gegen den Willen der Betroffenen erhalten.
Eigentlich müsste ein Aufschrei gegen einen weiteren Ausbau dieser Zwangsverwaltung durch Altmaier bei den 94 % davon geschädigten Mittelständlern zu hören sein. Die meisten haben es aber noch gar nicht mitbekommen. Deshalb will auch Altmaier das Thema im Eiltempo bis Februar hinter sich bringen – nach dem Juncker-Motto: „Wir beschließen etwas, stellen es in den Raum und wenn sich dann kein großer Protest dagegen erhebt, machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt!“
Wir werden aber daran denken, wenn im Wahlkampf die Täter-Parteien sich beim Mittelstand wieder anbiedern wollen!
1 Vgl. Hamer, E. + I. „Mittelstand unter lauter Räubern“, Hannover 2011
2 Vgl. Hamer, E. „Wer finanziert den Staat?“, Minden 1983, s. 131 ff.