Dieser Beitrag erschien in der „Jungen Freiheit“ Nr. 39/25.
Pickup-Trucks statt Pferdefuhrwerk
Paraguay: Spaß an der Arbeit, kinderlieb und bibelfest – die deutschen Mennoniten als Stabilitätsfaktor
Wolfgang Bendel
Hohenau, Kolonie Neuland oder Hochstadt. Städte und Ortschaften, die nicht etwa in Deutschland oder Österreich liegen, sondern in Paraguay, einem Land im Herzen des südamerikanischen Halbkontinents. Gegründet wurden sie von deutschstämmigen Mennoniten. Diese Religionsgemeinschaft leitet sich von der Täuferbewegung der Reformationszeit ab. Charakteristisch für sie ist die Erwachsenentaufe. Benannt sind sie nach Menno Simons, einem Theologen aus Nordfriesland, der im 16. Jahrhundert lebte.
Aufgrund politischer Repressalien, damals wie auch heute wieder lehnte die Mehrheitsgesellschaft Lebensentwürfe ab, die nicht dem jeweiligen Zeitgeist entsprechen, wanderten viele von ihnen nach Rußland aus. Wegen der Unruhen vor, während und nach der Russischen Revolution zogen sie nach Kanada weiter. Auch dort ließ man sie nicht in Ruhe. Die kanadischen Behörden wollten sie unter anderem dazu bringen, ihren althergebrachten Dialekt, das mit dem Plattdeutschen eng verwandte „Plautdietsch“, zugunsten der englischen Sprache aufzugeben respektive zu vernachlässigen. Einige wollten da nicht mitmachen und suchten sich eine neue Heimat. Diese fanden sie in Paraguay.
„Moderne“ Mennoniten haben in der Regel drei bis vier Kinder
Paraguay war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach dem verheerend verlorengegangenen Krieg gegen die „Tripleallianz“ bestehend aus Brasilien, Argentinien und Uruguay mit einer Bevölkerung von etwas über 800.000 Menschen auf einer Fläche von 406 000 Quadratkilometer (inklusive der mit Bolivien umstrittenen Territorien) sehr dünn besiedelt. Gleichzeitig bahnte sich ein neuer bewaffneter Konflikt mit Bolivien um das als Gran Chaco bekannte Grenzgebiet zwischen beiden Ländern an.
In einer solchen Situation war es für Paraguay von entscheidender Bedeutung, das umstrittene Territorium besiedeln zu können, um seine Gebietsansprüche zu unterstreichen. Insofern waren die Mennoniten hoch willkommen. Der Chaco, eine Trockensavanne, war zu dieser Zeit weitgehend unbewohnt und völlig unerschlossen. Lediglich kleine Gruppen indigener Völker durchstreiften das Gebiet als Jäger und Sammler. Weder Bolivien noch Paraguay verfügten dort über nennenswerte Strukturen. Staatliche Grenzen existierten nur auf dem Papier. Eine Art Wilder Westen im Herzen Südamerikas. Noch Ende des 20. Jahrhunderts konstatierte die Bibel der Südamerikareisenden, das „South America Handbook“: „Wir erhielten keine Berichte von Reisenden, die den Gran Chaco zwischen Paraguay und Bolivien auf dem Landweg durchquerten.“
Paraguay wird durch den Rio Paraguay in einen Ost- und einen Westteil getrennt. Den wesentlich dichter besiedelten und höher entwickelten Ostteil und die flächenmäßig größere Westhälfte, die im wesentlichen den schon mehrfach erwähnten Gran Chaco umfaßt. In beiden Landesteilen siedelten sich die Mennoniten an. Schwierig wird es, wenn man die genaue Zahl der deutschen Mennoniten beziffern soll, die in Paraguay ihre Heimat gefunden haben. Die Zahlen schwanken zwischen 13.000 deutschstämmigen Mennoniten nur im Gebiet des Chaco bis zu 67.000 Mennoniten in ganz Paraguay, wobei unklar ist, ob bei letzterer Zahl auch Mennoniten nichteuropäischer Herkunft inkludiert sind oder nicht. Insgesamt leben laut der Volkszählung von 2020 166.000 Deutschsprachige und 19.000 Personen, die noch Plautdietsch sprechen, im Land. Die Zahl der Deutschstämmigen wird mit 419.000 angegeben. Das entspricht in etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung.
Laut JF-Autor Alexander Deitner, der in Paraguay lebt, sind die deutschen Mennoniten grob in zwei Gruppen unterteilt: „Zum einen gibt es die modernen Mennoniten im Chaco und Asunción, welche ein durchaus modernes Leben führen und sich vom Äußeren nicht von Deutschen unterscheiden. Wobei deren Lebensstil natürlich deutlich wertkonservativer ist als der eines Durchschnittsdeutschen. Zum anderen gibt es sehr traditionelle/orthodoxe Mennoniten in Ostparaguay zum Beispiel in Sommerfeld.“ Diese leben sehr geschlossen nur unter sich. Hierbei geht es laut Deitner ähnlich zu wie bei den Amischen in den USA, wobei die traditionellen Mennoniten durchaus SUV oder Traktoren fahren würden. Man erkenne diese Mennoniten sehr häufig am Aussehen; so tragen die Frauen Kopftücher.
Die Mennoniten haben eigene deutsche Schulen. Seit diesem Jahr ist das Lehrerinstitut, welches die Lehrer für die Privatschulen ausbildet, sogar offiziell als Universität anerkannt. Die Schulen kennzeichnen sich dadurch, daß im Vergleich zu den staatlichen paraguayischen Privatschulen das Bildungsniveau sehr hoch ist, als auch Deutsch als Hauptsprache praktiziert wird. Die Schulen sind laut Deitner wertkonservativ und der Religionsunterricht spiele mit seiner mennonitischen Ausrichtung eine wichtige Rolle.
Dessen ungeachtet besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Paraguay-Aufenthalt Anfang März dieses Jahres ein Schulfest des Colegio Goethe der deutschen Schule in Asuncion. „Die Goethe-Schule wurde 1893 von deutschen Einwanderern gegründet und zählt zu den besten Schulen des Landes“, so stolz das Präsidialamt.
Vor allem sind die Mennoniten eine wachsende Gemeinschaft. Die „modernen“ Mennoniten haben in der Regel drei bis vier Kinder, bei den „traditionellen“ Mennoniten in Ostparaguay sind acht Kinder eher die Regel als die Ausnahme.
Alexandra Allover, eine Österreicherin, die durch ihre kenntnisreichen Videos aus und über Süd-amerika bekannt wurde, wollte sich nicht auf die in traditionellen Medien verbreiteten Behauptungen verlassen und sich stattdessen ein eigenes Bild machen. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten bereiste sie drei Wochen das Gebiet der deutschen Mennoniten im paraguayischen Chaco, besuchte viele Orte und führte zahlreiche Gespräche. Das Video, das dabei entstand, wurde zu einem Überraschungserfolg. Innerhalb weniger Wochen erzielte es über 82.000 Aufrufe – ein Beleg dafür, wie groß das Interesse der Menschen an authentischen Informationen über diese religiöse Gemeinschaft ist.
In einem Gespräch berichteten die beiden Österreicher noch einmal über ihre Erfahrungen und Beobachtungen. Eine weit verbreitete Meinung sei, daß diese Gemeinschaften technologiefeindlich seien, sich dem Fortschritt verschließen würden und sogar noch mit Pferdefuhrwerken unterwegs seien. Nichts könne weiter von der Realität entfernt sein. Dort benutze man große Pick-ups und sei über Starlink mit dem Internet verbunden. „Wir waren auf der Expo Pioneros 2025 in Loma Plata, einer Ausstellung modernster landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen. Solch technisch hochwertige und vor allem auch große Geräte wie dort haben wir in Österreich noch nie gesehen. (…) Die haben hier Drohnen, die drei Meter Spannweite haben und Düngemittel oder Saatgut versprühen beziehungsweise verteilen können. Wir sahen Traktoren mit acht Rädern.“
Die Akzeptanz von Technologie auf dem neuesten Stand bedeute aber nicht, daß traditionelle Verhaltensmuster grundsätzlich in Frage gestellt werden: „Sie haben ein tolles Familienverständnis, treffen sich jeden Sonntag in der Kirche und anschließend zum Frühschoppen. Genauso wie das früher bei uns in Österreich auf dem Land (ebenso in Bayern, Anmerkung des Verfassers) üblich war. Neben der religiösen Komponente besitzt die Kirche vor allem einen gemeinschaftsbildenden Charakter. Sie stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.“ Ein interessantes Detail für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, dort ansässig zu werden und Land zu erwerben. Bevor das möglich ist, muß man eine einjährige Probezeit durchlaufen. Danach wird entschieden, ob man zur Gemeinschaft paßt oder nicht.
Die beiden Besucher zogen ein sehr positives Fazit: „Als Zivilisation, als Gesellschaft sind das freie, erfolgreiche und glückliche Menschen. Das ist total faszinierend zu sehen, wie es ihnen gelingt, ihre gesellschaftlichen Werte so zu belassen wie sie vor hundert oder zweihundert Jahren waren und dabei den technologischen Fortschritt nicht ignorierten.“ Fast schon euphorisch meinten die beiden abschließend: „Wir sind schon viel auf der Welt und vor allem in Südamerika herumgekommen und wir können sagen, die Mennoniten in Paraguay sind ein absolutes Erfolgskonzept. Es sind die freiesten deutschen Menschen, die wir jemals gesehen haben.“
Große finanzielle Kluft zwischen Mennoniten und Indigenen
Allen ist allerdings das Streben nach wirtschaftlicher Autarkie und einer möglichst großen Autonomie gemeinsam. Eine weitgehende Unabhängigkeit dem Staat gegenüber ist ja einer der Grundgedanken mennonitischen Selbstverständnisses. Dennoch ist es inzwischen keine Seltenheit mehr, daß man sich aktiv und passiv an politischen Wahlen beteiligt und Mennoniten bei nationalen und internationalen sportlichen und kulturellen Ereignissen vertreten sind. Interessant ist, daß das Bevölkerungswachstum in den orthodoxen Gemeinden deutlich höher ist als in den moderneren. Bei ersteren eine Folge einer strikt an christlichen Moralvorstellungen orientierten Sexualmoral.
Natürlich gibt es auch dort Probleme und Widersprüche. So ist das Zusammenleben mit den einst frei herumstreifenden Ureinwohnern des Chaco nicht immer reibungslos. Dazu sind die Mentalitäten beider Volksgruppen, ihre Lebenseinstellungen und ihre Kulturen zu unterschiedlich. Das Pro-Kopf-Einkommen der Mennoniten liegt um ein Vielfaches höher als das der indigenen Bewohner. Letztere kannten als Jäger und Sammler keine Vorratswirtschaft, die Mennoniten als Menschen europäischer Abstammung hingegen schon.
Das daraus resultierende Einkommensgefälle führt unvermeidlich zu Widersprüchen und Gegensätzen. Bei der Krankenversicherung verlangen die Mennoniten von ihren Angestellten fünf Prozent Selbstbeteiligung, der von ihrem Lohn abgezogen wird. Der Arbeitgeber zahlt zehn Prozent. Diese fünf Prozent stoßen bei den betroffenen Indigenen auf wenig Gegenliebe, weil die Krankenvorsorge im Rest Paraguays kostenlos ist. Da hilft es auch wenig, daß die Qualität der ärztlichen Versorgung bei den Mennoniten besser ist.
„Die Mennoniten sind sehr durch die deutsche Arbeitsmentalität geprägt und im wirtschaftlichen Sinne sehr effektiv. Dadurch konnten sie sich einen Wohlstand über die Generationen hinweg erarbeiten, der heute immer sichtbarer wird. Während der Paraguayer seinen Fokus eher auf die ‘Tranquilidad’ legt“, so Deitner. Dementsprechend bestehe zwischen beiden Gruppierungen eine finanzielle Kluft.
Doch lebten beide Gruppen gemeinsam nebeneinander, und Mennoniten beschäftigen auch oft Paraguayer als Angestellte. „Allerdings“, so Deitner, „werden die Mennoniten aufgrund der sich oftmals stark unterscheidenden Lebensverhältnisse als sehr geschlossene Gemeinschaft gesehen und somit oft als arrogant von den Paraguayer wahrgenommen. Es ist als Nicht-Mennonit sehr schwierig, in die mennonitische Gesellschaft reinzukommen. Bei traditionellen Mennoniten sogar so gut wie unmöglich.“
Hohenau, Kolonie Neuland oder Hochstadt. Städte und Ortschaften, die nicht etwa in Deutschland oder Österreich liegen, sondern in Paraguay, einem Land im Herzen des südamerikanischen Halbkontinents. Gegründet wurden sie von deutschstämmigen Mennoniten. Diese Religionsgemeinschaft leitet sich von der Täuferbewegung der Reformationszeit ab. Charakteristisch für sie ist die Erwachsenentaufe. Benannt sind sie nach Menno Simons, einem Theologen aus Nordfriesland, der im 16. Jahrhundert lebte.
Aufgrund politischer Repressalien, damals wie auch heute wieder lehnte die Mehrheitsgesellschaft Lebensentwürfe ab, die nicht dem jeweiligen Zeitgeist entsprechen, wanderten viele von ihnen nach Rußland aus. Wegen der Unruhen vor, während und nach der Russischen Revolution zogen sie nach Kanada weiter. Auch dort ließ man sie nicht in Ruhe. Die kanadischen Behörden wollten sie unter anderem dazu bringen, ihren althergebrachten Dialekt, das mit dem Plattdeutschen eng verwandte „Plautdietsch“, zugunsten der englischen Sprache aufzugeben respektive zu vernachlässigen. Einige wollten da nicht mitmachen und suchten sich eine neue Heimat. Diese fanden sie in Paraguay.
„Moderne“ Mennoniten haben in der Regel drei bis vier Kinder
Paraguay war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach dem verheerend verlorengegangenen Krieg gegen die „Tripleallianz“ bestehend aus Brasilien, Argentinien und Uruguay mit einer Bevölkerung von etwas über 800.000 Menschen auf einer Fläche von 406 000 Quadratkilometer (inklusive der mit Bolivien umstrittenen Territorien) sehr dünn besiedelt. Gleichzeitig bahnte sich ein neuer bewaffneter Konflikt mit Bolivien um das als Gran Chaco bekannte Grenzgebiet zwischen beiden Ländern an.
In einer solchen Situation war es für Paraguay von entscheidender Bedeutung, das umstrittene Territorium besiedeln zu können, um seine Gebietsansprüche zu unterstreichen. Insofern waren die Mennoniten hoch willkommen. Der Chaco, eine Trockensavanne, war zu dieser Zeit weitgehend unbewohnt und völlig unerschlossen. Lediglich kleine Gruppen indigener Völker durchstreiften das Gebiet als Jäger und Sammler. Weder Bolivien noch Paraguay verfügten dort über nennenswerte Strukturen. Staatliche Grenzen existierten nur auf dem Papier. Eine Art Wilder Westen im Herzen Südamerikas. Noch Ende des 20. Jahrhunderts konstatierte die Bibel der Südamerikareisenden, das „South America Handbook“: „Wir erhielten keine Berichte von Reisenden, die den Gran Chaco zwischen Paraguay und Bolivien auf dem Landweg durchquerten.“
Paraguay wird durch den Rio Paraguay in einen Ost- und einen Westteil getrennt. Den wesentlich dichter besiedelten und höher entwickelten Ostteil und die flächenmäßig größere Westhälfte, die im wesentlichen den schon mehrfach erwähnten Gran Chaco umfaßt. In beiden Landesteilen siedelten sich die Mennoniten an. Schwierig wird es, wenn man die genaue Zahl der deutschen Mennoniten beziffern soll, die in Paraguay ihre Heimat gefunden haben. Die Zahlen schwanken zwischen 13.000 deutschstämmigen Mennoniten nur im Gebiet des Chaco bis zu 67.000 Mennoniten in ganz Paraguay, wobei unklar ist, ob bei letzterer Zahl auch Mennoniten nichteuropäischer Herkunft inkludiert sind oder nicht. Insgesamt leben laut der Volkszählung von 2020 166.000 Deutschsprachige und 19.000 Personen, die noch Plautdietsch sprechen, im Land. Die Zahl der Deutschstämmigen wird mit 419.000 angegeben. Das entspricht in etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung.
Laut JF-Autor Alexander Deitner, der in Paraguay lebt, sind die deutschen Mennoniten grob in zwei Gruppen unterteilt: „Zum einen gibt es die modernen Mennoniten im Chaco und Asunción, welche ein durchaus modernes Leben führen und sich vom Äußeren nicht von Deutschen unterscheiden. Wobei deren Lebensstil natürlich deutlich wertkonservativer ist als der eines Durchschnittsdeutschen. Zum anderen gibt es sehr traditionelle/orthodoxe Mennoniten in Ostparaguay zum Beispiel in Sommerfeld.“ Diese leben sehr geschlossen nur unter sich. Hierbei geht es laut Deitner ähnlich zu wie bei den Amischen in den USA, wobei die traditionellen Mennoniten durchaus SUV oder Traktoren fahren würden. Man erkenne diese Mennoniten sehr häufig am Aussehen; so tragen die Frauen Kopftücher.
Die Mennoniten haben eigene deutsche Schulen. Seit diesem Jahr ist das Lehrerinstitut, welches die Lehrer für die Privatschulen ausbildet, sogar offiziell als Universität anerkannt. Die Schulen kennzeichnen sich dadurch, daß im Vergleich zu den staatlichen paraguayischen Privatschulen das Bildungsniveau sehr hoch ist, als auch Deutsch als Hauptsprache praktiziert wird. Die Schulen sind laut Deitner wertkonservativ und der Religionsunterricht spiele mit seiner mennonitischen Ausrichtung eine wichtige Rolle.
Dessen ungeachtet besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Paraguay-Aufenthalt Anfang März dieses Jahres ein Schulfest des Colegio Goethe der deutschen Schule in Asuncion. „Die Goethe-Schule wurde 1893 von deutschen Einwanderern gegründet und zählt zu den besten Schulen des Landes“, so stolz das Präsidialamt.
Vor allem sind die Mennoniten eine wachsende Gemeinschaft. Die „modernen“ Mennoniten haben in der Regel drei bis vier Kinder, bei den „traditionellen“ Mennoniten in Ostparaguay sind acht Kinder eher die Regel als die Ausnahme.
Alexandra Allover, eine Österreicherin, die durch ihre kenntnisreichen Videos aus und über Süd-amerika bekannt wurde, wollte sich nicht auf die in traditionellen Medien verbreiteten Behauptungen verlassen und sich stattdessen ein eigenes Bild machen. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten bereiste sie drei Wochen das Gebiet der deutschen Mennoniten im paraguayischen Chaco, besuchte viele Orte und führte zahlreiche Gespräche. Das Video, das dabei entstand, wurde zu einem Überraschungserfolg. Innerhalb weniger Wochen erzielte es über 82.000 Aufrufe – ein Beleg dafür, wie groß das Interesse der Menschen an authentischen Informationen über diese religiöse Gemeinschaft ist.
In einem Gespräch berichteten die beiden Österreicher noch einmal über ihre Erfahrungen und Beobachtungen. Eine weit verbreitete Meinung sei, daß diese Gemeinschaften technologiefeindlich seien, sich dem Fortschritt verschließen würden und sogar noch mit Pferdefuhrwerken unterwegs seien. Nichts könne weiter von der Realität entfernt sein. Dort benutze man große Pick-ups und sei über Starlink mit dem Internet verbunden. „Wir waren auf der Expo Pioneros 2025 in Loma Plata, einer Ausstellung modernster landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen. Solch technisch hochwertige und vor allem auch große Geräte wie dort haben wir in Österreich noch nie gesehen. (…) Die haben hier Drohnen, die drei Meter Spannweite haben und Düngemittel oder Saatgut versprühen beziehungsweise verteilen können. Wir sahen Traktoren mit acht Rädern.“
Die Akzeptanz von Technologie auf dem neuesten Stand bedeute aber nicht, daß traditionelle Verhaltensmuster grundsätzlich in Frage gestellt werden: „Sie haben ein tolles Familienverständnis, treffen sich jeden Sonntag in der Kirche und anschließend zum Frühschoppen. Genauso wie das früher bei uns in Österreich auf dem Land (ebenso in Bayern, Anmerkung des Verfassers) üblich war. Neben der religiösen Komponente besitzt die Kirche vor allem einen gemeinschaftsbildenden Charakter. Sie stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl.“ Ein interessantes Detail für alle, die sich mit dem Gedanken tragen, dort ansässig zu werden und Land zu erwerben. Bevor das möglich ist, muß man eine einjährige Probezeit durchlaufen. Danach wird entschieden, ob man zur Gemeinschaft paßt oder nicht.
Die beiden Besucher zogen ein sehr positives Fazit: „Als Zivilisation, als Gesellschaft sind das freie, erfolgreiche und glückliche Menschen. Das ist total faszinierend zu sehen, wie es ihnen gelingt, ihre gesellschaftlichen Werte so zu belassen wie sie vor hundert oder zweihundert Jahren waren und dabei den technologischen Fortschritt nicht ignorierten.“ Fast schon euphorisch meinten die beiden abschließend: „Wir sind schon viel auf der Welt und vor allem in Südamerika herumgekommen und wir können sagen, die Mennoniten in Paraguay sind ein absolutes Erfolgskonzept. Es sind die freiesten deutschen Menschen, die wir jemals gesehen haben.“
Große finanzielle Kluft zwischen Mennoniten und Indigenen
Allen ist allerdings das Streben nach wirtschaftlicher Autarkie und einer möglichst großen Autonomie gemeinsam. Eine weitgehende Unabhängigkeit dem Staat gegenüber ist ja einer der Grundgedanken mennonitischen Selbstverständnisses. Dennoch ist es inzwischen keine Seltenheit mehr, daß man sich aktiv und passiv an politischen Wahlen beteiligt und Mennoniten bei nationalen und internationalen sportlichen und kulturellen Ereignissen vertreten sind. Interessant ist, daß das Bevölkerungswachstum in den orthodoxen Gemeinden deutlich höher ist als in den moderneren. Bei ersteren eine Folge einer strikt an christlichen Moralvorstellungen orientierten Sexualmoral.
Natürlich gibt es auch dort Probleme und Widersprüche. So ist das Zusammenleben mit den einst frei herumstreifenden Ureinwohnern des Chaco nicht immer reibungslos. Dazu sind die Mentalitäten beider Volksgruppen, ihre Lebenseinstellungen und ihre Kulturen zu unterschiedlich. Das Pro-Kopf-Einkommen der Mennoniten liegt um ein Vielfaches höher als das der indigenen Bewohner. Letztere kannten als Jäger und Sammler keine Vorratswirtschaft, die Mennoniten als Menschen europäischer Abstammung hingegen schon.
Das daraus resultierende Einkommensgefälle führt unvermeidlich zu Widersprüchen und Gegensätzen. Bei der Krankenversicherung verlangen die Mennoniten von ihren Angestellten fünf Prozent Selbstbeteiligung, der von ihrem Lohn abgezogen wird. Der Arbeitgeber zahlt zehn Prozent. Diese fünf Prozent stoßen bei den betroffenen Indigenen auf wenig Gegenliebe, weil die Krankenvorsorge im Rest Paraguays kostenlos ist. Da hilft es auch wenig, daß die Qualität der ärztlichen Versorgung bei den Mennoniten besser ist.
„Die Mennoniten sind sehr durch die deutsche Arbeitsmentalität geprägt und im wirtschaftlichen Sinne sehr effektiv. Dadurch konnten sie sich einen Wohlstand über die Generationen hinweg erarbeiten, der heute immer sichtbarer wird. Während der Paraguayer seinen Fokus eher auf die ‘Tranquilidad’ legt“, so Deitner. Dementsprechend bestehe zwischen beiden Gruppierungen eine finanzielle Kluft.
Doch lebten beide Gruppen gemeinsam nebeneinander, und Mennoniten beschäftigen auch oft Paraguayer als Angestellte. „Allerdings“, so Deitner, „werden die Mennoniten aufgrund der sich oftmals stark unterscheidenden Lebensverhältnisse als sehr geschlossene Gemeinschaft gesehen und somit oft als arrogant von den Paraguayer wahrgenommen. Es ist als Nicht-Mennonit sehr schwierig, in die mennonitische Gesellschaft reinzukommen. Bei traditionellen Mennoniten sogar so gut wie unmöglich.“