Ritterlichkeit

Die preußischen und deutschen Soldatentugenden werden so recht eigentlich durch das Eiserne Kreuz von 1813 symbolisiert. Die Kreuzesform deutet darauf hin, dass sich der Soldat unter Gottes Schutz stellen soll und in seinem Handeln nicht nur seinem Volk und Vaterland, sondern auch ihm gegenüber verantwortlich ist. „Gott mit uns“ stand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges auf den Koppelschlössern aller deutschen Soldaten.

Die vier Arme des Eisernen Kreuzes symbolisieren die vier Soldatentugenden Ritterlichkeit, Tapferkeit, Treue und Kameradschaft. Hinzu treten auch die klassischen Kardinaltugenden Mäßigkeit und Klugheit. Die Ritterlichkeit aber ist die höchste unter ihnen.

Ritterlichkeit meint, dass der Soldat verpflichtet ist, die Schwachen und Wehrlosen im Kriege zu schonen und zu schützen. Dies schließt die Zivilisten (oder „Nichtkombattanten“) ebenso ein, wie den Gegner, der durch  Verwundung kampfunfähig geworden ist oder der sich ergeben hat.

Nach preußischer und deutscher Tradition ist der kampfunfähige und gefangene Gegner nicht mehr Feind. Er wird behandelt wie die eigenen Soldaten, was insbesondere die Verpflegung und die sanitätsdienstliche Versorgung betrifft. Selbstverständlich werden gegnerische Soldaten, die sich im Gefecht Verbrechen schuldig gemacht haben, nach Recht und Gesetz abgeurteilt. Dies ist auch allgemeingültiges Recht der Völker. Es gilt aber stets, dass Kriegsgefangene anständig behandelt werden müssen.

Ritterlichkeit bedeutet aber auch, den im Kampf gefallenen Gegner mit Respekt zu begegnen und ehrenvoll zu behandeln. Auch die Toten des Feindes sollen mit Ehren bestattet werden und dem Gegner  – sofern möglich – der Ort der Gräber und die Identität der Toten genannt werden. Das persönliche Eigentum der Gefallenen soll durch Parlamentär an den Gegner geschickt werden, damit es den Angehörigen übergeben werden kann.

In Zeiten des Krieges, in denen wir leider wieder leben müssen, ist es wichtig, an diese Tugenden zu erinnern. Denn allzu oft werden sie vergessen oder durch eine politische Propaganda, die zum Hass gegen den Feind aufstachelt, verschüttet.

Anton von Werner malte im Jahre 1890 das Bild „Kronprinz Friedrich an der Leiche des Generals Abel Douay“. Es stellt eine Episode aus dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 dar. Am 4. August 1870, kurz nach Beginn des Krieges, eroberte die 3. deutsche Armee unter dem Oberbefehl des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen (später Kaiser Friedrich III.) die Stadt Weißenburg im Elsass, die von einer französischen Division verteidigt wurde. In den Kämpfen fiel der französische Divisionskommandeur, General Abel Douay.

In der überlieferten und von Werner dargestellten Szene erweist der preußische Kronprinz als Sieger dem geschlagenen und in tapferem Kampf gefallenen Gegner die letzte Ehre. Hinter Friedrich Wilhelm stehen die Angehörigen seines Stabes. Am Tisch lehnt der französische Militärarzt. Das kleine Schoßhündchen des Gefallenen drängt sich auch im Tode noch an seinen Herrn.

Das Gemälde stellt in schöner Weise nicht nur die persönliche ritterliche Haltung des preußischen Kronprinzen dar, sondern repräsentiert gleichzeitig auch die hohen Soldatentugenden, die stets alle deutschen Armeen bis hin zur Wehrmacht beseelt haben.

Stephan Ehmke

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