Wir wollen an diesem 9. Mai, 78 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, nicht wieder in die Diskussion einsteigen, ob es sich für die Deutschen um einen Tag der Befreiung oder einen der Niederlage handelt. Es sei dennoch festgestellt, dass es für diejenigen, welche vom nationalsozialistischen Terrorregime gequält und verfolgt wurden, insbesondere für die, welche unschuldig in den Gefängnissen und Konzentrationslagern saßen, ohne jeden Zweifel eine Befreiung war. Es sei aber auch festgestellt, dass es keine Befreiung für die Mehrheit der Deutschen war, die dies auch nie so empfunden haben. Insbesondere nicht die Millionen Kriegsgefangenen, Vertriebenen, Flüchtlinge und hungernden Zivilisten, für die das Martyrium am 9. Mai 1945 erst begann. Über ihr Leiden schweigend hinwegzugehen, ist nichts als menschenverachtender Hohn. Es war auch kein Tag der Befreiung für die Mutter des Autoren dieses Beitrages und ihre Schwester, die an diesem 9. Mai 1945 (und auch noch danach!) auf einer Landstraße in Schleswig-Holstein von britischen Tieffliegern beschossen wurden, als sie hungernd nach Lebensmitteln suchten und sich nur durch ständige Sprünge in den Straßengraben vor dem sicheren Tod retten konnten. Von ihnen allen zu verlangen, diese unsere heutigen „Alliierten“ als Befreier zu feiern, ist grenzenloser Zynismus.
An diesem 9. Mai ist vor allem daran zu erinnern, dass in Europa wieder Krieg herrscht. Es ist die Unerträglichkeit zu beklagen, dass diejenigen, welche an diesem Tag zum Frieden aufrufen, beleidigt und diffamiert werden. Dass es ausgerechnet die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist, die trotz der besonderen verfassungsmäßigen Verpflichtung der Deutschen zur Friedfertigkeit und ihrer historischen Verantwortung für ein gutes Verhältnis zu Russland diesen Krieg befeuert und antreibt. Es ist auch daran zu erinnern, dass in diesem Deutschland, 78 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Unschuldige unter Beugung des Rechts verfolgt und eingesperrt werden. Dass Menschen, wenn sie ihre Grundrechte wahrnehmen, diffamiert und beleidigt werden, nur weil es den Herrschenden politisch nicht passt. Dass es wieder furchtbare Juristen und Mediziner gibt, die ihre Karriere, Macht und Geld vor das Recht und vor die Moral stellen. Dass es wieder eine Journaille gibt, die den Machthabern und dem Unrecht das Loblied singen.
Wenn dieser 9. Mai einen Sinn haben soll, dann nur durch den Ruf nach Frieden und nach Recht. Durch die Forderung an alle Seiten, die Kampfhandlungen in der Ukraine (und überall, wo Gewalt herrscht auf der Welt) sofort und bedingungslos einzustellen und Verhandlungen aufzunehmen, alle Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet zu beenden und die völkerrechtswidrigen Sanktionen aufzuheben.
Unsere Gedanken und Gebete müssen an diesem Tag vor allem bei denjenigen sein, die in diesem Krieg und in anderen Kriegen auf der Welt Unsägliches erleiden müssen. Es sind dies die Soldaten, die von den Mächtigen missbraucht werden, es sind die Zivilisten, vor allem die unschuldigen Kinder, die verletzt oder getötet werden und die ihre Eltern verlieren. Die unter der Kriegsnot und dem Hunger leiden. Die in den kriegführenden Ländern verfolgt werden, weil sie für den Frieden eintreten.
Mit ihnen allen rufen wir an diesem 9. Mai: „Die Waffen nieder!“
Stephan Ehmke