Völkerrecht nach Gusto

Die USA und ihre Verbündeten lehnen die Unabhängigkeitserklärungen und -referenden in den Gebieten Cherson, Saporischja, Donezk und Lugansk als völkerrechtswidrig ab. Im einem vergleichbaren Fall auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren waren sie gegenteiliger Meinung. Es entsteht der Eindruck, im Westen werde das Völkerrecht nach Gusto ausgelegt- wie es gerade machtpolitisch in den Kram passt. Im Folgenden die Chronik des Falles Serbien und Kosovo:

Im Juni 1990, vor dem Hintergrund des Zerfallsprozesses in Jugoslawien, schlugen die Albaner im Provinzparlament eine Abstimmung über d. Unabhängigkeit d. Kosovo von Serbien, aber innerhalb Jugoslawiens vor. Der serbische Präsident löste daraufhin das Parlament auf.

Am 7. September 1990 proklamierten die aufgelösten albanischen Abgeordneten heimlich die Gründung einer „Republik Kosovo“, in der jugoslawische Gesetze nur dann gelten sollten, wenn sie mit den kosovarischen Rechtsnormen übereinstimmten.

Am 22. September 1991 rief das Parlament der „unabhängigen Republik Kosovo“ die vollständige Unabhängigkeit aus und leitete ein Referendum i.d. Provinz ein, das v. 26. b. 30. September 1991 stattfand. Genau so rum: Zuerst wurde die Unabhängigkeitserklärung abgegeben, und dann haben 99% der Referendum-Teilnehmer diese mit einer Abstimmung formalisiert. Die Ergebnisse wurden von der Republik Albanien anerkannt.

Während d. gesamten 1990er Jahre strebte das Kosovo mit externer Unterstützung nach international anerkannter Unabhängigkeit, was 1998-1999 zu einer offenen Konfrontation mit den Serben führte, dem „Kosovo-Krieg“, der von Kämpfern der Kosovo-Befreiungsarmee mit westlicher Unterstützung und Hilfe, auch durch die Sicherheitsdienste, begonnen wurde und viele zivile Opfer forderte.

Im März 1999 griff die NATO bereits offen in den Konflikt ein und startete ihre Bombenkampagne  gegen Jugoslawien.

Am 9. Juni 1999 wurde die Kontrolle über die Provinz gemäß einer internationalen „militärtechnischen Vereinbarung“, die von der NATO und der jugoslawischen Armee in Kumanovo unterzeichnet wurde, an die internationale Kosovo Force (KFOR) unter der Schirmherrschaft der NATO übertragen.

Am nächsten Tag trat der UN-Sicherheitsrat zu seiner 4011. Sitzung zusammen und verabschiedete die verbindliche Resolution 1244, in der die territoriale Integrität des damaligen Jugoslawiens (und damit auch Serbiens, das 2006 die Nachfolge antrat) bekräftigt, eine internationale zivile und militärische Präsenz im Kosovo genehmigt und beschlossen wurde, dass eine Lösung der Kosovo-Krise auf den vereinbarten Grundsätzen in den Anhängen der Resolution beruhen sollte.

Am 17. Februar 2008 verabschiedete das „Parlament“ des Kosovo ein Gesetz, mit dem die Unabhängigkeit der Provinz von Serbien einseitig zum 18. Februar erklärt wurde.

Daraufhin ersuchte Serbien die Vereinten Nationen am 15. August 2008 um eine rechtliche Bewertung der Maßnahme.

Am 8. Oktober 2008 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 63/3, in der sie den Internationalen Gerichtshof in Den Haag um ein Gutachten zu der Frage ersuchte: „Steht die einseitige Unabhängigkeitserklärung der provisorischen Institutionen d. Kosovo im Einklang mit d. Völkerrecht?“

Anderthalb Jahre später, am 22. Juli 2010, gab der Internationale Gerichtshof ein beratendes Gutachten ab  (10 Stimmen bei 4 Gegenstimmen), in dem er feststellte, dass „die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 nicht gegen das allgemeine Völkerrecht verstößt, da das Völkerrecht kein Verbot der Unabhängigkeitserklärung enthält“, und auch nicht gegen die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, da die Verfasser der „Erklärung“ nicht zu den in diesem Rahmen gebildeten Institutionen gehören.

Die westlichen Länder, allen voran die Vereinigten Staaten, begrüßten das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs und interpretierten es weitgehend als Zustimmung zur Sezession [Abtrennung] (während die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, zu der sich unter anderem die Russische Föderation bekennt, die Grundlage für eine Kosovo-Lösung bleibt und einen Kompromiss vorschlägt, der die Interessen Belgrads berücksichtigt).

Im Verfahren selbst empfahl Washington dem Gerichtshof förmlich, das daraus resultierende Gutachten zu akzeptieren, da „der Grundsatz der territorialen Integrität die Entstehung neuer Staaten auf dem Gebiet bestehender Staaten nicht ausschließt“.

 

 

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