Im Neuen Jahr: Meinungsfreiheit!

von Karl M. Richter

Die Erfahrungen in der Zeit der so genannten „Corona-Pandemie“ mit ihren ausufernden staatlichen Repressionen dürfte auch bei den eingefleischtesten Konservativen zu seiner gewissen Skepsis gegenüber staatlicher und politischer Macht geführt haben. Und zwar nicht gegen die Macht einer bestimmten politischen Richtung, sondern im allgemeinen. Macht korrumpiert. Sie neigt zum Missbrauch. Dies liegt an der Natur des Menschen, der nun einmal anfällig für Korruption ist. Und dies insbesondere in Staat und Politik. Es müssen schon standhafteste Charaktere sein, die dem widerstehen können. Und die sind gerade in der heutigen politischen Landschaft ausgesprochen dünn gesät.

Der Autor dieser Zeilen hätte es noch vor drei Jahren nicht für möglich gehalten, in welchem Maße ein demokratischer Rechtsstaat, welcher die Bundesrepublik Deutschland bis dahin war, trotz aller Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen machtpolitischer Willkür unterfallen könnte. Insbesondere dem Machtmissbrauch der herrschenden politischen Klasse gegen den Souverän, des Landes, den Bürger. In welchem Maße in vorsätzlich rechtsbrecherischer Weise Freiheitsrechte beschränkt, Grundrechte rasiert werden konnten. Wie sich der Parteienstaat, der an sich schon eine „Zerfallserscheinung der Republik“ (K. A. Schachtschneider) darstellt, die drei Gewalten untertan gemacht und sie gleichgeschaltet hat. Und wie sich die „vierte Macht“, die Presse, in willfähriger Weise zum Handlanger dieses Freiheitsraubes machen konnte.

Bürger, die sich den Corona-Repressionen entgegenstellten, sei es bei Versammlungen und Demonstrationen oder in Wort und Schrift, haben diesen Freiheitsraub am deutlichsten zu spüren bekommen. Nicht bloß in Form von Polizeiaggression, sondern auch als Zensur. Die Beschränkung des freien Wortes dürfte dabei wohl die umfassendste und ausuferndste Form der Repression darstellen: als Selbstzensur in den Medien, in Form von Denunzierung als „verfassungsfeindlich“ und als Kriminalisierung in strafrechtlichem Sinne.

In dem Maße, wie die Meinungsäußerung eingeschränkt wurde, vergrößerte sich das ohnehin bestehende Machtungleichgewicht zwischen Bürger und Staat weiter zuungunsten des Bürgers. Denn das Wort, die freie Rede, vor allem in Form der Regierungskritik, stellt neben Wahlen und Gerichtsklagen die wichtigste Möglichkeit des Bürgers dar, sich gegen staatliche Willkür zur Wehr zu setzen.

Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten „Lüth-Urteil“ vom 15. Januar 1958 feststellte, sind „Grundrechte in erster Line Abwehrrechte gegen den Staat“, also Bollwerke gegen den Machtmissbrauch. In demselben Urteil führt das Gericht aus, warum dies besonders für das Grundrecht der freien Meinungsäußerung zu gelten hat:

„Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus précieux de l“homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, „the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom“ (Cardozo).[1]

Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ist also für eine Demokratie konstitutiv. Fehlt dieses Recht oder wird es unrechtmäßig eingeschränkt, ist auch keine Demokratie vorhanden.

Freiheit ist freilich nicht unbeschränkt, sondern findet ihre Grenzen in der Freiheit der Mitbürger. Keine Inanspruchnahme von Freiheit darf zur Beschneidung der Freiheit anderer führen. Freiheit unterliegt insofern dem allgemeinen Sittengesetz, das wir insbesondere im Kant´schen Kategorischen Imperativ formuliert finden[2].

Bestimmte Grundrechte können gem. Grundgesetz durch spezielle Gesetze eingeschränkt werden, so auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dies betrifft vor allem strafrechtliche Vorschriften wie Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede. Niemand darf durch die Äußerung anderer in seiner Menschenwürde beschädigt werden.

Wie weit der Schutz der Meinungsäußerung im Anschluss an die eben zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes aber geht, kann im Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch von Grünberg/Spau[3] nachgelesen werden:

„Werturteile, Meinungsäußerungen genießen Schutz nach Inhalt und Form (…), auch wenn es sich um eine Außenseitermeinung handelt (…). Unerheblich ist die Qualität der Äußerung (…), ob etwa geäußerte Gründe emotional oder rational sind, und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten werden (…). Bei kritischen Werturteilen ist eine Angabe tatsächlicher Bezugspunkte nicht erforderlich (…), selbst wenn sie im politischen Meinungskampf ehrverletzend sind (…). Enthält aber die Äußerung Tatsachenbestandteile, fällt deren Richtigkeit/Unrichtigkeit im Rahmen der Abwägung maßgeblich ins Gewicht (…).  Die subjektive Meinung darf gerade in Streitigkeiten des allgemeinen Interessen hart, scharf und überspitzt (…), provokativ (…), abwertend, übersteigert, polemisch und ironisch geäußert werden (…). Auch abwertende Kritik darf, solange sie sachbezogen ist, scharf, schonungslos, ausfällig sein (…)“[4].

Diese weitgehende Auslegung der Meinungsfreiheit wird der Forderung nach einer „Waffengleichheit“ im ansonsten ungleichen Machtverhältnis zwischen Bürger und Staat gerecht. Gleichzeitig dürfte klar sein, dass eine unverhältnismäßige Einschränkung dieser Rechte durch den Staat absolut unzulässig ist.

Diese unverhältnismäßige und damit grundrechtwidrige Einschränkung findet aber heute zunehmend durch das Mittel der Zensur statt, welche nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 3 GG eigentlich verboten ist. Und dies gilt nicht nur für die so genannte „Vorzensur“, wenn z.B. Schriften vor ihrer Veröffentlichung von einer staatlichen Behörde genehmigt werden müssten, sondern auch für die „Nachzensur“, so ein Einzug oder Vernichtung von Schriften, Löschung von elektronischen Inhalten, Sperrung von Präsenzen, Einschränkung von Reichweiten oder auch Repressionen und Sanktionen aller Art gegen Personen, die ihre Meinung öffentlich geäußert haben.

Gerade die „Nachzensur“ treibt aber ihr Unwesen in Deutschland und darüber hinaus. Vor allem, wenn es um die so genannten „sozialen Netzwerke“ im Internet geht. Dort hat sich in den letzten Jahren geradezu eine Zensurkultur herausgebildet, die von staatlicher oder halbstaatlicher (z.B. NGOs, die staatlich bezahlt werden) ausgeführt wird. Das grassierende „Faktenchecker“-Unwesen sei hier nur als Beispiel genannt. Dabei geht es, wie gesagt, nicht nur um zwangsweise Löschungen von Meinungsäußerungen, sondern auch um deren Denunzierung als „Fakenews“, „Verschwörungstheorien“ oder schlicht als „gefährlich“ oder „schädlich“.

Übrigens betrifft das Zensurverbot nicht nur den Staat. Im Zusammenhang mit der „Drittwirkung“[5] von Grundrechten ist eine Zensur von privater Seite ebenso unzulässig, auch in Form einer „Selbstzensur“; wie wir sie oft in den Systemmedien finden.

Auf besonders unrühmliche Art und Weise tobt sich der so genannte „Verfassungsschutz“ auf dem Sektor der „Nachzensur“ aus. Die üble Praxis, Meinungsäußerungen unzutreffend als „extremistisch“ oder „verfassungsfeindlich“ zu diffamieren, gipfelt in dem Vorwurf der Verwendung so genannter „Chiffren“ oder einer „Symbolsprache“. Da nach Auffassung des so genannten „Verfassungsschutzes“ und der ihn lenkenden Parteipolitik alle Nicht-Linken automatisch Verfassungs- und Staatsfeinde sein müssen, sagen sie natürlich auch Verfassungs- und Staatsfeindliches, auch wenn sie es nicht sagen. Man muss es nur ausfindig machen. Finden tun die Staatsschnüffler solche angeblichen Äußerung dann in „Chiffren“ bzw. in einer „Symbolsprache“. So wird gemeinhin die Verwendung des Begriffes „Globalisten“ oder „Hochfinanz“ bereits als „antisemitische Chiffre“ gewertet. Solche willkürlichen und böswilligen Auslegungen verdienen eigentlich nur die Bezeichnung „Verschwörungsgeschwurble“ und sind jedenfalls ein Ausdruck der zunehmenden politischen Extremisierung des Inlandsgeheimdienstes in Form einer (selbst verfassungsfeindlichen) Gedankenpolizei.

Seit einiger Zeit nimmt auch der staatliche Versuch der Kriminalisierung von Meinungsäußerungen zu. Und dies betrifft nicht nur die schon lange andauernde Inflationierung des Tatbestandes der so genannten „Volksverhetzung“. Neuerdings existiert im deutschen Strafrecht mit dem Paragraphen 188 StGB wieder die „Majestätsbeleidigung“. Ein Sondertatbestand zum Schutz der Ehre und der Würde von „Repräsentanten des Staates“, also von Parteipolitikern, die sich damit gegenüber ihren Untertanen ein neues Privilegium selbst  geschaffen haben. Galt bisher die Rechtsauffassung, dass Amts- und Mandatsträger, aber auch andere Personen den öffentlichen Lebens, selbst harsche Kritik (immer jenseits von Beleidigungen usw.) ertragen müssten, so tritt heute bereits bei mäßigen und zum Teil auch ironischen bzw. satirischen Politikerschelten der Staatsanwalt auf. So wurde nach § 188 gerade ein Bürger verurteilt, der eine korpulente Politikerin einer Regierungspartei als solche bezeichnete, also eigentlich bloß eine Tatsache feststellte. „Majestätsbeleidigung“!

Das Ungleichgewicht des Machtverhältnisses zwischen Staat und Bürger, welches eigentlich ständig dessen Freiheit bedroht, wurde damit noch einmal erheblich zugunsten der Obrigkeit verschoben.

Der bekannte Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider schrieb:

„Nicht nur staatlicher, sondern auch privater, gesellschaftlicher Zwang, um Meinungsäußerungen zu unterbinden, ist zutiefst rechtlos. Er ist durch keinen Moralismus zu rechtfertigen, der die Verbreitung irgendeiner politischen Sichtweise behindern oder verhindern will“. [6]

Gerade dieser Moralismus ist es aber, der das Recht in Deutschland immer weiter durch die Ideologie ersetzt. Dazu weiter Schachtschneider:

„Zunehmend setzt sich der Moralismus, nicht zu verwechseln mit der Moralität als Triebfeder der Sittlichkeit, gegen das Recht durch, selbst, wie dargelegt, gegen das Verfassungsrecht. »Politik ist ausübende Rechtslehre«, sagt Kant. Der Rechtsstaat ist demgemäß die Wirklichkeit des Rechts. Es gibt keine Moralität gegen das Recht. Das Prinzip der Sittlichkeit, das Sittengesetz, ist die Pflicht, das Recht zu verwirklichen. Nicht jedes Gesetz ist im positivistischen Sinne schon Recht, aber die Gesetze müssen geachtet werden, solange sie nicht geändert sind. Moralität ist der gute Wille, das Rechtsprinzip zu verwirklichen, in allem Handeln. Wenn sich alle Bürger dessen befleißigen, geht es dem Gemeinwesen gut, sonst nicht. Der Moralismus ist eine Form der Rechtlosigkeit. Seine Maxime ist gegenwärtig der Egalitarismus. Moralismus ist das Gegenteil von Humanität und führt in den Bürgerkrieg“[7].

Dieser „Moralismus“, der Recht und Moral verdrängt, ist es aber auch, der die freie Meinungsäußerung gefährdet. Erinnern wir noch einmal daran, dass das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung als den Lackmustest für Freiheit und Demokratie erkannt hat. Wo das freie Wort nicht gilt, ist auch keine allgemeine Freiheit, keine Demokratie und letztlich auch keine Moral.

Lassen Sie uns daher das angebrochene Jahr 2024 zum Streitjahr für die Wiederherstellung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung ausrufen, so wie unser Grundgesetz es vorsieht und seine Gründungsväter es sich gedacht haben. Dies gebietet unsere Pflicht als freie Bürger, und das dieser Freiheit zugrunde liegende Sittengesetz. 

Der überbordende Staat aber sowie die ihn beherrschende Parteipolitik, seien in ihre verfassungsmäßigen Schranken zurückverwiesen!

Anmerkungen:

[1] Urteil des Ersten Senats d. BVerfG vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 -. Das gesamte Urteil kann hier nachgelesen werden: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1958/01/rs19580115_1bvr040051.html

[2] „Handle so, dass die Maximen deines Handels allgemeines Gesetz werden könnten“.

[3] Grünberg/Spau, BGB, 82. Aufl. 2023, RNr. 102 zu § 823 BGB.

[4] Die Auslassungen in den Klammern stehen für Gerichtsentscheidungen, die den Zitaten zugrunde liegen.

[5] Bezeichnet die Rechtsauffassung, dass Grundrechte nicht nur zwischen Staat und Bürgern Wirkung haben, sondern auch zwischen Bürgern.

[6] Zitiert nach K.A. Schachtschneider: Erinnerung ans Recht: Essays zur Politik unserer Tage . Kopp Verlag. Kindle-Version.

[7] A.a.O.

Foto: (2ADY65J) „Artikel 5“, Glaswand, Kunstwerk von Dani Karavan „Grundgesetz 49“, Spreepromenade, Mitte, Berlin, Deutschland.

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